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Die große Pest zur Zeit Justinians.
und
die ihr voraus und zur Seite gehenden
ungewöhnlichen Natur-Ereignisse.
Ein Beitrag zur Geschichte ides sechsten Jahrhunderts
christlicher
Zeitrechnnng.
Durchaus aus den Quellen bearbeitet
als
Programm
zum Schlusse des Studien-Jahres 1856-57
von
Valentin Seibel,
Prof. d. Philologie u. Geschichte am k. bayer. Lyceum zu
Dillingen.
______________________________________
Dillingen 1857
Druck der A. Kranzle'schen Officin
Vorwort.
Die Geschichtsschreibung hat im Allgemeinen gegenüber
den Ereignissen der Natur in verschiedenen Perioden ihrer Entwicklung ein
verschiedenes Verfahren beobachtet. In der Periode der annalistischen
Darstellung - dem Kindesalter der Historiographie -, welche
die Begebenheiten in ihrer Besonderheit auffaßte, wurde Alles, was da
Bemerkenswerthes geschah, gleichviel, ob es der Sphäre der freien
Geistesthätigkeit, oder dem Bereiche der unfreien Natur angehörte,
sorgsam aufgezeichnet. So hielten es die Römischen Annalisten,
angefangen von den ältesten Aufzeichnungen der Pontifices (wie aus
Cic. de republ. I. c. 16 und Gellius II. 28 ersichtlich ist) bis auf Livius,
so die byzantinischen Chronographen und ihre lateinisch schreibenden
Zeitgenossen, so die Chronisten des Mittelalters. Anders gestaltete
sich allmählig die Sache in der Periode der pragmatischen
Geschichtsschreibung, die schon im Alterthüme durch den ersten
Verfasser einer Universalgeschichte, den vielseitig gebildeten, tief
blickenden Polybios, vertreten ist. Wie die pragmatische Auffassung die
Ereignisse in ihrem Zusammenhange betrachtete, den geschichtlichen
Stoff zu größeren, in sich abgeschlossenen Ganzen gruppirte
und
innerhalb derselben den Causal-Zusammenhang der einzelnen Begebenheiten
nachwies, um in letzter Instanz die Gründe des Steigens und
Sinkens der
Staaten darzulegen, so ward ihr allmählig der Staat und das Leben
im
Staate zur leitenden Idee und zum einschließenden Rahmen ihrer
Geschichtsgemälde. Alles, was außerhalb dem Kreise der
staatlichen
Entwicklung geschah, erschien ihr von untergeordneter Bedeutung oder
überhaupt nicht Gegenstand der Geschichte.
Die neuere Darstellung der Universalgeschichte, welche sich
ebenfalls mehr oder minder entschieden auf den Standpunkt des
politischen Pragmatismus stellte, hat zwar der Würdigung der
culturhistorischen Erscheinungen überhaupt und ihres
mächtigen
Einflusses auf die Staatengeschichte und auf das Gesammtgebiet der
geistigen Entwicklung der Menschheit, so wie - seit Schlossers
Vorgang
- der Literatur der Völker insbesondere, die gebührende
Rechnung
getragen, der Beachtung großartiger Naturereignisse aber im
Allgemeinen
einen Platz nicht gewährt, den selbe nur noch in
Specialgeschichten,
insbesondere einer älteren Schule von Historikern, eines Gibbon,
J. v.
Müller, C. A. Menzel u. A. zu finden vermochten.
Kein Zweifel allerdings, daß es der
Universalgeschichtschreibung,
deren Zweck die Darstellung der bisherigen Fortschritte und Erfolge
ist, welche die Menschheit in geistiger und sittlicher Veredlung auf
ihrem Wege zur möglichsten Annäherung an Gott, den Endpunkt
aller
Geschichte, errungen hat, nicht zur Aufgabe gemacht werden kann, die
Begebnisse der unfreien Natur als solche in ihr Bereich zu ziehen;
ebenso gewiß aber auch, daß, wenn es Natur-Ereignisse
ungewöhnlicher
Art gibt, welche einen wesentlichen Einfluß auf die geistige
Entwicklung der Völker in der angedeuteten Richtung übten,
diese
offenbar in den Kreis der allgemeinen Geschichtsdarstellung fallen. Hat
ja auch die Berücksichtigung der geographischen Verhältnisse
der
verschiedenen Länder, seit dem man durch das bleibende Verdienst
eines
Ritter zur Ueberzeugung gelangt ist, welchen Einfluß dieselben
auf die
Richtung der geistigen Thätigkeit ihrer Bewohner zu üben
vermögen,
ihren wohlberechtigten Platz im Gebiete der universalhistorischen
Darstellung gefunden. Solcher Ereignisse aber gibt es nicht wenige in
der Geschichte. Oder wer möchte in Zweifel ziehen, daß
mörderische
Pesten, welche die Runde um den bewohnten Länderkreis gemacht,
ihre
Opfer vorzugsweise gerade unter den vollkräftigen Jünglingen
und
Männern (der "militaris aetus") gesucht, und während
mehrerer
Jahrzehnte ihrer Andauer die Bewohnerschaft nicht bloß gezehntet,
sondern selbst gedrittelt und gehälftet haben, von
welthistorischer
Bedeutung seien? Gleichwohl findet man in namhaften Werken über
Weltgeschichte ihrer mit keiner Silbe gedacht; nur Eine derselben, die
attische Pest im peloponnesischen Kriege, unter vielen Schwestern bei
weitem noch nicht die schlimmste, hat wie durch Tradition ihre Stelle
bis jetzt noch zu behaupten gewußt.
Dem großen Geschichtsforscher Niebuhr, welcher durch
seine streng
sichtende historische Kritik eine neue Aera der Geschichtswissenschaft
begründet hat, gebührt auch das Verdienst, zuerst -
soweit dem
Verfasser bekannt ist - auf die vielfach unterschätzte
historische
Bedeutsamkeit gewisser Epidemien aufmerksam gemacht, und darauf
hingewiesen zu haben, wie nicht wenige Abschnitte in der Geschichte
seien, die erst durch gehörige Würdigung jener
Naturereignisse ihr
volles Verständniß erhielten. "Die Geschichte der
Krankheiten - sagt
derselbe (Vorträge über alte Geschichte, gehalten von B. G.
Niebuhr,
herausgegeben von M. Niebuhr, Berlin 1848 II. Bd. p. 64) - ist
ein
Zweig der Weltgeschichte, der noch gar nicht bearbeitet, und doch so
wichtig ist. Ganze Abschnitte in der Geschichte werden erklärt
durch
das Verschwinden und Eintreten mörderischer Epidemien. "Sie
sind vom
größten Einflüße auf die moralische Welt; fast
alle großen Epochen des
moralischen Sinkens sind mit großen Seuchen verbunden."
In der That, erwägt man, wie bei einzelnen Menschen,
namentlich in
gewissen Lebensperioden, schwere Krankheiten nicht selten einen
Wendepunkt in ihrer ganzen Geistesrichtung und Entwicklung
herbeiführten, indem sie, je nach der Individualität des
Ergriffenen,
hier noch schlummernde Kräfte weckten oder schon früher
erwachte in
andere Bahnen lenkten, dort die Energie des Willens brachen oder andere
nachtheilige Wirkungen im Gebiete des Geistes-Lebens
hinterließen: so
wird man, wofern anders vom Individuum auf die Gattung ein Schluß
der
Induktion giltig ist, wenigstens die Möglichkeit nicht bestreiten,
daß
derartige furchtbare Heimsuchungen auch für ganze Volker zu einem
Wendepunkte ihrer geistigen Entwicklung werden konnten, wobei
natürlich
die Wirkungen und Folgen solcher Heimsuchungen sich verschieden
gestalten mußten, je nachdem die heimgesuchten Völker auf
dem vor- oder
außer-christlichen Standpunkte des religiösen
Bewußtseins, oder aber
auf der Höhe der christlichen Lebens- und Welt-Anschauung standen,
je
nachdem ferner jene Geißeln die Völker in der frischen
Blüthe ihrer
Jugendzeit, oder an der Schwelle des ermatteten und entkräfteten
Alters
trafen. Eine derartige vergleichende Untersuchung über die
Wirkungen
und Folgen welthistorischer Seuchen in verschiedenen Geschichtsperioden
dürfte gewiß von allgemeinem Interesse und für die
Wissenschaft nicht
ohne Gewinn sein.
Unter die Zahl jener universalhistorischen Epidemien
gehört auch
die große Pest im Zeitalter Justinians, welche mit den ihr voraus
und
zur Seite gehenden ungewöhnlichen Naturereignissen ein
großes in sich
geschlossenes Ganzes einer gewaltigen Revolution bildet. Hievon hat der
Verfasser versucht im Nachfolgenden einen Abriß zu entwerfen,
wobei er
sich, um die Gräuzen eines Programmes nicht über Gebühr
zu
überschreiten, hauptsächlich auf die beiden ersten Perioden
ihres
Verlaufes beschränkte.
Zu der Wahl dieses Stoffes bestimmte den Verfasser ein
zweifacher
Grund. Einmal schien ihm eine auf eingehendes Quellenstudium basirte
Schilderung jener Pest welche, ungeachtet ihrer ungewöhnlichen
Heftigkeit und Andauer nicht nur in universalhistorischen Werken in der
Regel mit Stillschweigen übergangen wird, sondern auch bis jetzt
noch
keinen speziellen Darsteller gefunden hat, während mehrere ihrer
älteren und jüngeren Schwestern, wie die attische Pest, der
schwarze
Tod, die englische Schweißsuchten in besonderen Monographien
behandelt
sind, nicht ohne Belang für die richtige Signatur eines
Geschichtsabschnittes zu sein, den man sich mitunter als eine
Glanzperiode des oströmischen Reiches vorzustellen geneigt ist.
Hiemit möchte der Verfasser aber noch einen weitem Zweck
verbinden.
Seit mehreren Jahren hat derselbe durch näheres Studium der
betreffenden Quellen, behufs einer gründlichen Darstellung der
hervorragendsten Epidemien des Alterthums und des Mittelalters vom
kulturhistorischen Standpunkte, Materialien gesammelt und dieselbe auch
theilweise zu verarbeiten unternommen. Indem er nun im Nachstehenden
-
wie er offen gesteht, bei der Neuheit des betretenen Weges nicht ohne
Befangenheit - eine Probe seiner Studien einer, wenn auch
beschränkten,
Oeffentlichkeit zu übergeben wagt, hegt er die Hoffnung,
vielleicht von
ehrenwerthen Collegen und werthen Freunden, oder sonst von competenter
Seite, wenn er nicht zu Viel erwartet, belehrende Winke und Fingerzeige
zu erhalten, um, je nach dem Ergebnisse derselben, entweder unter
dankbarer Benützung derartiger Weisungen das Begonnene
fortzusetzen und
mit Gottes Hilfe zum Ziele zu führen, oder von dieser Arbeit, als
einer
seine geringen Kräfte und Vorkenntnisse übersteigenden,
gänzlich
abzustehen.
Daß - wie der Titel besagt - die
nachfolgende Darstellung durchaus
aus den Quellen bearbeitet ist, wird schon bei flüchtiger
Einsichtnahme
erhellen, abgesehen davon, daß bei den wenig erheblichen
Vorarbeiten
der Verfasser fast lediglich an die Quellenschriftsteller gewiesen war.
Schließlich bittet derselbe für die fast
unvermeidlichen Irrthümer
und Verstöße, denen er als Laie auf einem ihm theilweise
fremden
Gebiete ausgesetzt war, allenfallsige Leser unter den Männern vom
Fache
um wohlwollende Nachsicht.
Quellen und Hilfsmittel.
A. Quellen.
a) Gleichzeitige Schriftsteller.
1. Prokopios aus Kaisareia in Palästina, seit 527 Rechtsbeistand
(συγκάϑεδρος) und Geheimschreiber Belisars, berichtet als Augenzeuge. Seine geschichtlichen Werke - für uns die
Hauptquelle - gehen bis auf das Jahr 553.
2. Cassiodorius, geb. um 469 und bis über die Mitte des
6. Jahrhunderts lebend, unter Theodorich und seinen Nachfolgern mit der
Leitung der Angelegenheiten des ostgothischen Reiches in Italien
betraut. Seine 12 Bücher "Variarum" (sc. epistolarum), welche hieher
als Quelle gehören, erstrecken sich auf den Zeitraum von 493-538.
3. Agathias aus Myrina in Aiolis, seit 534 in
Constantinopel lebend, wo er um 582 starb. Seine Geschichts-Werke, eine
Fortsetzung von denen des Prokopios, umfassen den Zeitraum von 553-559.
4. Euagrios von Epiphaneia in Koilesyrien, Sachwalter
(σκολαστικός)
in Antiocheia, Verfasser einer Kirchen-Geschichte von 431
bis 593. Augenzeuge der Pest, wie der Vorige, ward er selbst von ihr
ergriffen. Er starb bald nach 593.
5. Marcellinus, comes in Illyricum, verfaßte,
unter
Kaiser Justinian I. lebend, eine Chronik von 379 bis 584.
6. Victor Tunnunensis, Bischof zu Tunis in Africa,
lebte
im 6. Jahrhundert. Seine Chronik umfaßt die Jahre 444-566.
7. S. Gregorius Turonensis, als Bischof von Tours
gestorben um 595, schrieb als Augenzeuge des späteren Auftretens
der
Pest in Gallien.
8. Marius Aventicensis, Bischof zu Avenche, der letztern
Hälfte des
6. Jahrhunderts augehörig, behandelte in seiner Chronik die Zeit
von
455-581.
b) Spätere.
1. Das griechisch geschriebene Chronicon Paschale,
s.
Alexandrinum, von dessen unbekannten Autoren der Verfasser des
letzteren Theiles um 630 gelebt haben muß.
2. Paulus Diaconus (Warnefridi sc. fil.), Notar
oder
Kanzler des Longobardenkönigs Desiderius, starb als Mönch im
Kloster
von Monte Cassino 799.
3. Theophanes, des Isaakios Sohn, von
Constantinopel, Abt
eines griechischen Klosters, starb 818. Seine Chronik, wie er selbst
angibt, mit Benützung alter Historiker und Logographen bearbeitet,
reicht von 285-813.
4. Joannes von Antiocheia, genannt Malalas d. i.
Rhetor,
dessen Chronik von dem Anfange der Geschichte bis auf 556 n. Chr. sich
erstreckt, lebte im 9. Jahrhunderte.
5. Anastasius, römischer Abt und Presbyter,
Verfasser
einer lateinisch geschriebenen, aus Theophanes u. A. compilirten
historia ecclesiastica, lebte in der zweiten Hälfte des 9.
Jahrhunderts.
6. Der unbekannte Verfasser der historia miscella,
einer
Geschichte des Röm. Reiches von der Gründung der Stadt bis
auf 813 n.
Chr., welche aus verschiedenen, zum Theil verloren gegangenen,
römischen Historikern, in den letzteren Theilen aber aus dem Werke
des
Vorgenannten compilirt ist.
7. Kedrenos, Mönch des 1l. Jahrhunderts und
Verfasser
einer Chronik vom Anfange der Geschichte bis auf 1057.
8. Nikephoros, Sohn des Kallistos, der Mitte des
14.
Jahrhunderts angehörend, Compilator einer ziemlich werthlosen
Kirchen-Geschichte von Chr. Geb. bis auf 611.
Die oben sub a) 1. 3. 4. und b) 3. 4. 5. angeführten
Schriftsteller
wurden in der Bonner Ausgabe des corpus script. hist. Byzantinae; die
unter b) 1. 7. 8. verzeichneten in der Venetianer Ausgabe des corpus
Byzant. histor. von 1789 i. e., die sub a) 5. und 6. genannten in der
biblioth. veter. Patrum etc. cura Gallandii Tom. X. benützt.
-
Enagrios, Gregor von Tours und Cassiodor waren dem Verfasser in den
Ausgaben von Valesius, beziehungsweise von Ruinart und Garetius zur
Hand; Paul. Diacon. stehenden 40-tägigen Erdbeben dortselbst zu
identificiren sein, da jene von Agathias als gleichzeitig mit der
Katastrophe von Berytos bezeichnet wird, wofür das Jahr 551
feststeht.
- Schnurr. I. p. 130. führt es mit dem von Berytos
gleichzeitig zum
Jahre 553 an und die historia miscell. sind nach dem Text-Abdrucke in
Muratori, rer. italic. scriptor. Tom. I. pars l. benützt.
B. Hilfsmittel.
Gibbon, history of the decline and fall of the
Roman
empire. Vol. VII.
Zinkeisen, Geschichte Griechenlands. I. Bd.
Schnurrer, Chronik der Seuchen. I. Bd.
Hoff, Geschichte der Veränderungen der
Erd-Oberfläche.
IV. Bd.
Kraus, de natura morbi Atheniensium.
Ueber Chronologie.
Almeloveen, Fast. Roman. consular.
Weigel, über das wahre Geburts- und Sterbe-Jahr
Jesu Christi.
A.
Von
den ungewöhnlichen Natur-Erscheinungen.
Einleitendes.
Es ist eine eigenthümliche, in der Geschichte constant
sich
wiederholende Erscheinung, daß weitverbreiteten mörderischen
Epidemien
ungewöhnliche Natur-Erscheinungen der verschiedensten Art, als
verheerende Erderschütterungen, vulkanische Ausbruche,
ungewöhnliche
Ueberschwemmungen und Meeres-Einbrüche, Erscheinen von Kometen,
von
seltsamen Meteoren, allgemeiner Mißwachs, Auftreten massenhafter
Heuschrecken-Schwärme, Veränderungen im Streichen der Fische
und im
Zuge der Vögel, Wanderungen und Krankheiten unter den Thieren u.
s. w.
voraus oder zur Seite gehen, daß also ungewöhnliche
Revolutionen im
physischen Leben der Menschheit entsprechende Störungen im
tellurischen
und atmosphärischen Gebiete, sowie mannigfaltige Alterationen des
vegetabilischen und niederen animalischen Lebens auf der
Erdoberfläche
als Vorboten und Begleiter haben.
Um nur einige der hervorragendsten Fälle
anzuführen, so war z. B.
die große Epidemien-Periode, welche von 436 bis 427 incl. v. Chr.
einen
großen Theil der alten Erdveste - die Länder
Aethiopien und Aegypten,
die meisten Provinzen des Persischen Reiches, beträchtliche
Strecken
der Hämus- und der Apenninen-Halbinsel - durchwanderte, und
wozu die
von Thukydides geschilderte attische Pest nur als ein kleiner Theil
jener großen Gesammt-Erscheinung gehört, 1 von einer
ununterbrochenen
Kette gewaltiger Erderschütterungen in Italien und Hellas
begleitet,
die, mit vulkanischen und neptunischen Revolutionen, mit
Mißernten und
Mangel untermischt, in ihren letzten Schwingungen über die Dauer
der
Epidemie hinaus bis zum Jahre 412 herabreichen. So wurde die
mörderische Epidemie unter Titus durch gewaltige
Erdbeben
eröffnet, die ihre Erderschütterungskreise über Kypros,
Hellas und
Campanien ausdehnten und in dem stärksten der bis jetzt bekannten
Vesuv-Ausbrüche und der schreckensvollen Katastrophe von Pompeji,
Herculanum und Stabiä ihren Abschluß hatten. So war ferner
die Periode
der großen Epidemie unter Marc Aurel und Commodus - die
furchtbarste im
Alterthum an Ausdehnung und innerer Stärke, da sie von Persien aus
über
Süd- und Mitteleuropa bis an den Rhein vordrang, in Rom aber zur
Zeit
ihrer Kulmination täglich über 2000 Menschen dahinraffte
- auch durch
Hungersnoth, häufige Erschütterungen, mehrtägige
Verdunklungen des
Sonnenlichts, verheerende Insecten-Schwärme und Ueberschwemmungen
bezeichnet, also, daß nach dem Ausdrucke eines Berichterstatters
(Aurelius Victor) in diesem Zeitraum sich alle Schrecken und
Verderbnisse der Menschheit zusammendrängten. Auffallender aber
als
irgendwo gaben sich diese Erscheinungen bei der Pest-Seuche des
schwarzen Todes im Mittelalter kund. In dem Maße, als diese
fürchterlichste aller Geißeln des Menschengeschlechts seit
der
historischen Zeit, welche, von China aus über Mittel- und
Südasien
vorschreitend, nebst der Nordküste Afrikas ganz Europa bis zu
seinen
äußersten Spitzen im Süden, Westen und Norden
durchdrang, ja von dem
äußersten nordwestlichen Posten der alten Erdveste, der
Insel Island,
den Weg nach dem nächsten Punkte des neugeschichtlichen
Continents, dem
unwirthlichen Küstensaume von Grönland fand, überall
aber, im heißen
Süden, wie im eisumstarrten Norden, mit gleich verheerender Wuth
hausete, und nach dem niedrigsten Berechnungs-Ergebnisse von der
damaligen Bevölkerung Europa's ein Vierttheil d. i. 25 Millionen
Menschen - in manchen Orten aber 90 bis 95 Prozent der Bewohner 2
-
hinraffte, an Ausdehnung und mörderischer Wuth alle früheren
Epidemien
übertraf, traten auch die vor- und gleichzeitigen Revolutionen im
tellurischen und atmosphärischen Gebiete und in der Sphäre
des
vegetabilischen und niederen animalischen Lebens in einer bis dahin
unerhörten Ausdehnung und Heftigkeit auf. 3 Schon seit mehr als
einem
Jahrzehnte vor dem Auftreten dieser Pest in Europa bebte von China bis
zum Atlantischen Ocean die Erde in gewaltigen Erschütterungen,
welche
auf Cypern, der Apeninnen-Halbinsel, im Alpengürtel und den nord-
und
südwärts demselben vorgelagerten Ebenen ihre Knotenpunkte
fanden und
von diesen Hauptherden ihre zerstörende Thätigkeit einerseits
nach
Aegypten, anderseits über Mittel-, West- und Nord-Europa
verbreiteten;
unerhörte Ueberschwemmungen 4, Meeres-Einbrüche,
Bergstürze und
Seenbildungen in Folge vulkanischer Revolutionen, bei welchen Tausende
von Menschen ihren Tod fanden, veränderten an vielen Orten die
Erdoberfläche; betäubende Dämpfe, zum Theil während
der Erdbeben den
aufgähnenden Schlünden entsteigend, oder unabhängig von
diesen, in
Gestalt eines dichten, das Sonnenlicht verfinsternden Rauches über
die
Erde sich lagernd, verpesteten weithin die Atmosphäre 5, in der
außerdem ungewöhnliche Feuer-Meteore die vielfach
geängstigten Gemüther
mit neuem Schrecken erfüllten; wiederholte gänzliche
Mißärnten, wie sie
seit einem Jahrhunderte nicht mehr vorgekommen waren, und in Folge
davon die bitterste Noth in Toskana und Genua, in der Provence,
Avignon, Burgund und Frankreich, in Schlesien und Polen, also,
daß in
Schlesien die Menschen das Gras auf den Feldern aßen, und in dem
volkreichen Florenz selbst durch die großartig entfaltete
Fürsorge der
städtischen Behörden von zahlreichen Familien kaum die
Schrecken des
Hungertodes mochten abgewendet werden 6, zeugten von der Alteration des
vegetabilischen Lebens; endlich unübersehbare Schwärme von
Wanderheuschrecken, welche erst im östlichen Asten, dann in Europa
sich
zeigten und hier von Ungarn und Polen her in östlicher Richtung
Ober-Italien und ganz Deutschland drei Sommer nacheinander
(1337-1339)
unter schrecklichen Verheerungen an Bäumen, in Gärten und
Saatfeldern
durchzogen, ungeheure Wanderzüge von Fischen nach Orten, wo sie
sonst
gar nicht, oder in geringerer Zahl bemerkt worden waren 7, endlich
tödtliche Seuchen unter den Heerde-Thieren an verschiedenen Orten
gleich nach dem Ausbruche der schwarzen Pest bekundeten, daß der
allgemeine Aufruhr der Natur auch in den höheren Ordnungen ihres
Lebens
seinen Wiederhall gefunden hatte, bis zuletzt selbst der Organismus der
obersten Thierklassen nicht minder als der Menschen so vielfachen
Stürmen erlag.
Angesichts solcher Thatsachen, denen sich leicht noch andere
in
großer Zahl anreihen ließen, wird man die
Wahrscheinlichkeit eines
notwendigen, inneren Zusammenhanges zwischen jenen physischen
Revolutionen und den gleichzeitigen großen Epidemien kaum in
Abrede
stellen können. Die Art und Natur dieses Zusammenhanges näher
zu
untersuchen und zu bestimmen, muß selbstverständlich den
einschlägigen
Gebieten der Naturwissenschaften überlassen bleiben. Die Aufgabe
der
Geschichte hiebei kann nur darin bestehen, in den hierauf
bezüglichen
Ueberlieferungen das Thatsächliche, mit besonderer
Berücksichtigung des
chronologischen Moments, kritisch festzustellen, damit für weitere
Untersuchungen ein sicherer Grund gewonnen werde. -
Kaum minder auffallend nun als bei dem schwarzen Tode ist bei
der
großen Pest unter Justinian die Ausdehnung und intensive Kraft
der
Erdbeben und anderen ungewöhnlichen Naturerscheinungen, auf deren
düsteren Hintergrunde das schauerliche Bild jenes riesenhaften
Kampfes
menschlicher Kraft mit der zerstörenden Gewalt einer
tödtlichen Seuche
sich entfaltet.
Ein vergleichender Blick auf die beigefügte Tabelle
ergibt, daß die
Gesammtmasse der ungewöhnlichen Natur-Ereignisse dieser Zeit von
513
bis gegen das Jahr 570, um welche Zeit die Pest selbst die zweite
Periode ihres Verlaufes beendigte, und die gleichzeitigen physischen
Revolutionen ihren Schauplatz aus dem Orient fortan nach dem Occidente
zu versetzen begannen, in drei größere Gruppen
zerfällt, von denen die
erste die Naturbegebnisse von 512 bis 533 umfaßt und ihren
Culminationspunkt in der fürchterlichen Katastrophe von Antiocheia
(526) erreichte; die zweite von da bis 547 sich erstreckt und in den
ganz Europa und einen Theil Kleinasiens durchzuckenden
Erderschütterungen von 544 ihre größte Thätigkeit
entfaltet; die dritte
aber, nachdem sie gleich Anfangs die Mittagshöhe ihrer
Schrecknisse in
dem Erdbeben von 551 erstiegen, dessen Erschütterungskreise
sämmtliche
das östliche Becken des Mittel-Meeres begränzenden
Länder der drei
Erdtheile unter fürchterlichen Zerstörungen umspannten, in
verschiedenen mehr oder minder heftigen Schwingungen und
Nachklängen
bis gegen den Ausgang des 6. Jahrzehntes sich hinzieht. Die erste
dieser Gruppen liegt noch jenseits des Auftretens der großen
Pest; die
zweite fällt mit dem ersten Haupt-Ausbruche derselben und den
minder
bedeutenden Epidemien, die ihr als Vorläufer vorausgehen,
zusammen; die
dritte endlich geht dem zweiten Hauptausbruche der Pest theils voraus,
theils gleichmäßig zur Seite.
Wir betrachten die mannigfaltigen Natur-Ereignisse dieser
dreifachen Gruppe der leichteren Uebersicht wegen nach folgenden
Kategorien:
I. Tellurische Revolutionen durch Vulkanismus oder
Neptunismus;
II. Atmosphärische Phänomene;
III. Erscheinungen kosmischer Natur;
IV. Störungen im vegetabilischen und niederen
animalischen Leben,
und sprechen zunächst .
I Von den tellurischen
Revolutionen
a) der ersten Gruppe.
Die Reihenfolge derselben eröffnet ein Ausbruch des
Vesuv im Jahre
513, welcher Campanien verheerte. 8 Die hiebei aus seinem Krater
aufgewirbelte Asche ward durch Winde bis Constantinopel und dessen
ganze Umgegend fortgetrieben, wo sie als dichter Staubregen
niedersielt. 9 Daß eine so weite Verbreitung der Vesuv-Asche
nicht ohne
Beispiele dasteht, erhellt theils aus den gelegentlichen Bemerkungen
des Cassiodorius a. a. O. (siehe Note 8)) und Prokopios 10
über
die Natur dieses Vulkans und seiner Eruptionen, theils finden sich
hierüber besondere Fälle bei den Eingangs aufgeführten
Quellenschriftstellern verzeichnet. So war im Jahre 472 in der ersten
Hälfte des Novembers zu Constantinopel aus feurig schimmernden
Wolken
eine Aschenmasse gefallen 11, welche die Dächer eine
παλαστή (vier
Finger) hoch bedeckte, daß in der bestürzten Stadt
öffentliche
Bittgänge angestellt wurden, welche, seitdem an der
alljährlichen
Gedächtnisfeier dieses Ereignisses am 7. November wiederholt, noch
zu
des Prokopios Zeiten bestanden. Als Ursache jenes Aschenregens, der
auch auf andere Gegenden sich erstreckt zu haben scheint, wird von
Marcellinus ausdrücklich ein gleichzeitiger Vesuv-Ausbruch
genannt. 12
Ein anderes Mal hatte sich die ausgeworfene Vesuv-Asche über die
libysche Stadt Tripolis in einem ähnlichen Staubregen ergossen. 13
Kurze Zeit darauf (wahrscheinlich um 515) ward Rhodos
nächtlicher
Weile durch ein Erdbeben erschüttert, nicht ohne Verlust an
Menschen.
14 Den Ueberlebenden wurden namhafte Geschenke des Kaisers Anastasios
zu Theil.
Von dem Jahre 518 finden wir die Erschütterungskreise
der
Erdbeben bereits über die Länder im Westen des
Aegäischen Meeres
ausgedehnt. Im rauhesten und höchsten Theile des
Hämus-Gebirges, am
Süd-Abhang des Orbelos liegt, zur Provinz Ober-Mösien
gehörig, die
Landschaft Dardania, mit zahlreichen Felsenschlössern, den
Hütern
wichtiger Pässe nach Macedonien, bewehrt. Dort brachen die
Erderschütterungen zuerst, und zwar sogleich mit großen
Verheerungen
aus. Vier und zwanzig jener Castelle, berichtet Marcellinus 15, der
nach Zeit und Wohnort diesem Ereignisse so nahe stand, daß er
möglicherweise von Augenzeugen unterrichtet sein mochte, wurden
fast im
selben Momente von dem Unheil betroffen und ganz oder theilweise in
Schutthaufen verwandelt, unter denen ein Theil der Bewohner sein Grab
fand. Auch das feste Skupoi, der Hauptort des Landes (jetzt Uskub),
stürzte bis auf den Grund; doch war es damals von seinen
Einwohnern aus
Furcht vor einem feindlichen Ueberfalle verlassen. In einem Schlosse,
welches Sarnunto genannt wird, klaffte ein Erdspalt auf, aus welchem
wie aus einem erhitzten Ofen längere Zeit sich ein glühender
Regen
ergoß ("fervens imber," wahrscheinlich Massen heißen
Wassers). An sehr
vielen Orten der Landschaft barsten Berge, rissen sich Felsblöcke
los,
wurden Bäume aus dem Grunde gerissen, und eine aufgähnende
Kluft
erstreckte sich bei 12 Fuß Breite auf eine Länge von 30.000
Schritten.
Vier Jahre darauf (522), in der ersten Zeit der Regierung des
Kaisers Justin I., erscheint das Erdbeben-Gebiet über den
westlichen
und südlichen Theil der Hämus-Halbinsel erweitert.
Durrhachion an der
illurischen Küste, des vorigen Kaisers Anastasios Geburts-Stadt,
und
durch seine Munificenz mit vielen neuen Bauwerken geschmückt,
desgleichen Korinthos, litten schwer unter dieser Geißel, die
auch
manches Menschenleben kostete 16.
Nicht unwahrscheinlich ist die Vermuthung Zinkeisens,
daß damals
noch andere Orte von Hellas 17, namentlich Küstenstädte,
welche nebst
Gebirgsländern - wie schon die Alten wußten 18 -
den
Erdbeben vorzugsweise ausgesetzt sind, von gleichem Unheil
mögen betroffen worden sein, und die bezeichneten Orte nur
deßhalb
genannt sind, weil sie Hauptstädte ihrer Provinzen waren, und der
Kaiser große Summen zu deren Wiederherstellung anwies.
In gleicher Weise wie gegen Westen dehnten die tellurischen
Revolutionen von dem Herde ihres ersten Auftretens auf Rhodos ihre
zerstörenden Schwingungen auch rückwärts nach Osten aus,
und Anazarbos,
die Metropolis der Provinz Cilicia secunda, am Südabhange des
Taurus,
unfern dem Busen von Issos gelegen, stürzte im Jahre 525 in Folge
einer
furchtbaren Erschütterung gänzlich in Trümmer 19. Es war
dies schon das
vierte Erdbeben-Unglück, das die Stadt betraf. Sehr wahrscheinlich
ist,
daß bei diesem Vordringen der Erdbeben-Schwingungen in
östlicher
Richtung auch manche Zwischenpunkte, westwärts von Anazarbos, auf
der
kleinasiatischen Halbinsel mögen berührt worden sein, und
vielleicht
sind in diese Zeit die zerstörenden Erschütterungen in
einigen Städten
Phrygiens einzureihen, die in den
‚Ανεκδοτ' (c. 18)
des Prokopios
zugleich mit den Ereignissen in Anazarbos und Korinth erwähnt
werden.
Damit es aber neben diesen vulkanischen Empörungen auch den
neptunischen nicht an Vertretung fehle, ward im selben Jahre die
volkreiche Stadt Edessa in Mesopotamien, Hauptstadt der Provinz
Osrhoëne, das Opfer einer furchtbaren Ueberschwemmung. Diese
Stadt,
unter gleichem Breitengrade mit Anazarbos und 4 Grade weiter
ostwärts,
am Südabhange des Masion im Flußgebiete des Euphrat gelegen,
wird vom
Skirtos durchströmt, welcher damals zur Größe eines
Meeres anschwellend
die Häuser sammt den Einwohnern wegriß und in seine Tiefen
stürzte 20.
Ein Drittheil der Letzteren fand in dieser furchtbaren Katastrophe
seinen Tod.
Doch alle diese Schrecken waren nur ein schwaches Vorspiel zu
dem
grauenvollen Vernichtungsschlage, den im folgenden Jahre empörte
Naturkräfte mit vereinter Macht wider eine der größten
und
volkreichsten Städte der damals bekannten Erde führten. Von
Anazarbos,
der Stätte der letzten Erschütterung, etwa einen Breite-Grad
südlich,
einen halben Länge-Grad östlich, in einer Entfernung von 120
Stadien
(drei geogr. Meilen) von der Küste des Mittelmeers gelegen, erhob
sich
am südlichen Ufer des Orontes, in einem Umkreis von dritthalb g.
Meilen, Antiocheia, die Hauptstadt Syriens, ehemals der Seleukiden
stolzer Herrschersitz, auch noch in damaliger Zeit die erste Stadt des
Morgenlandes 21, eine Weltstadt wie Alexandreia, Rom und
Constantinopel, die bis zum Jahre 380 nach und nach zehn
Kirchen-Versammlungen in ihren Mauern gesehen, und ein bevorzugter
Aufenthaltsort mancher Römischer Kaiser gewesen. Viermal war die
Stadt
schon in früherer Zeit von Erdbeben heimgesucht
worden, und
noch wenige Jahre vorher - um 522 - hatte sie durch heftige
Feuersbrünste gelitten 22, die im Laufe von 6 Monaten sich stetig
wiederholten, ohne daß ihre Veranlassung ermittelt werden konnte
23. Da
brach - es war am 29. Mai 526 24, den Tag nach dem Feste der
Himmelfahrt Christi, als in der volkreichen Stadt noch eine zahllose
Menge von Fremden aus Anlaß des Festes vorhanden war - in
der glühenden
Schwüle der ersten Nachmittagsstunde - wie es scheint, ohne
alle
warnenden Vorzeichen 25 - jene entsetzliche Katastrophe herein,
welche
die Stadt durch die gedoppelte Macht eines fast beispiellosen Erdbebens
und eines verheerenden Feuers in einen rauchenden Schutthaufen
verwandelte 26. Ueber die Natur dieses Feuers, welches sich mit dem
Erdbeben in das Geschäft der Zerstörung theilte
und, was
dieses übrig gelassen, völlig verzehrte 27, lauten die
Berichte
verschieden. Von den Schriftstellern, die dem Ereignisse der Zeit nach
am nächsten stehen, erwähnt Prokopios des Feuers gar nicht;
Euagrios
aber, welcher, als geborner Syrer und da er einige Zeit nach dem
Vorfalle in Antiocheia sich wohnlich niederließ, aus den
verlässigsten
Quellen unterrichtet sein konnte, desgleichen Marcellinus stellen
dasselbe als eine von vulkanischen Ursachen unabhängige, mit dem
Erdbeben nur im äußeren Zusammenhange stehende Feuersbrunst
dar 28. Die
späteren Berichterstatter dagegen, unter ihnen auch der
Antiocheier
Joannes Malalas, dessen Nachrichten hierüber am
ausführlichsten sind,
sprechen mit Bestimmtheit von unterirdischem, vulkanischem Feuer.
"Die
Flammen" - so berichten sie - "schlugen theils aus
dem Boden hervor,
theils wirbelten sie als Funkenregen durch die Luft, dem Wetterstrahle
gleich diejenigen, die sie trafen, verzehrend; und während die
Grundvesten und Gebäude durch die Erschütterung wankten, sah
man Blitze
in ihre Giebel schlagen." So sehr diese Schilderungen den Stempel
rhetorischer Ausschmückung tragen, so ist doch das gleichzeitige
Hervorbrechen vulkanischen Feuers an der Stätte eines heftigen
Erdbebens oder in deren unmittelbaren Nähe an sich nicht
unwahrscheinlich, und durch Beispiele der neuern Zeit bestätigt
29. Wie
dem übrigens sein mag, Antiocheia war unmittelbar nach dem
Ereignisse
unbewohnbar: nur das am Gebirge liegende Quartier der Stadt
überdauerte
die Zerstörung; der übrige Theil lag mit allen Kirchen,
öffentlichen
Gebäuden und Monumenten in Trümmern und Asche; 250.000
Menschen hatten
in dem Gräuel der Verheerung ihren Tod gefunden 30, die
Überlebenden
verließen die Stadt. Der allgemeinen Bestürzung und
Theilnahme, welche
die Nachricht von diesem beispiellosen Unglücke aller Orten im
Römischen Reiche hervorbrachte, verlieh der Kaiser dadurch
Ausdruck,
daß er längere Zeit öffentliche Trauer in der
Hauptstadt anordnete und
persönlich am nächsten Pfingstfeste ohne Diadem und Purpur
und - gleich
den sämmtlichen Senatoren - im Sacke (,,εν
σακκωι" Theoph.) in der
Kirche erschien. Zugleich ließ er es an rascher und
kräftiger Hilfe
nicht fehlen. Angesehene Männer von des Kaisers nächster
Umgebung
wurden mit beträchtlichen Geldmitteln abgeordnet, um sofort das
Dringendste anzuordnen; später noch weitere Summen zum
Wiederaufbau
angewiesen.
Uebrigens währte es noch über ein Jahr, bis die
entfesselte Wuth
der tellurischen Kräfte für einige Zeit wieder in Ruhe kam.
Denn so
lange dauerten noch - wie Aehnliches auch von der Katastrophe zu
Lissabon berichtet wird, und die neueren wissenschaftlichen
Beobachtungen in der Regel bei allen heftigen Erdbeben gefunden haben
31 - die nachschwingenden Stöße. 32 Bei ein derselben
verlor (i. J. 527
33), der Bischof des Sprengels, Euphrasios, das Leben. Auch auf die
Umgegend, bis auf 20 Römische Meilen, erstreckten sich die
Nachwirkungen dieser Erschütterung und zerstörten die
Städte Seleukeia,
3 Meilen westlich von Antiocheia, am Mittelmeer, und Daphne, eine Meile
südlich von Antiocheia 34.
Gleichwie aber heftige Epidemien, ehe sie die
geängstigten Völker
ganz verlassen, nach kurzer Rast ihre mörderische Wuth zu einem
neuen
letzten Angriffe zusammenzuraffen Pflegen, so erhoben sich hier auch
die Erderschütterungen, 30 Monate nach dem letzten
zerstörenden
Schlage, zu einem neuen heftigen Stoße. Am 29. November 528,
Vormittags
gegen 9 Uhr, wurde die schwer geprüfte Stadt Antiocheia wieder von
einem Erdbeben heimgesucht 35, dessen Zuckungen unter schreckhaftem
Gebrüll 36, das aus der Luft zu kommen schien, eine volle Stunde
andauerten und eine reiche Nachlese hielten. Die Ringmauern der Stadt
und die Gebäude, welche das vorige Erdbeben verschont hatte,
stürzten
nebst den schönen Bauwerken, die sich inzwischen wieder erhoben
hatten,
in Trümmer, unter denen an 4800 Menschen umkamen. Die
Ueberlebenden
wanderten theils in andere Städte aus, theils siedelten sie sich
auf
den Bergen unter Hütten an. Gleich seinem Vorgänger wandte
übrigens
auch Kaiser Justinian, der inzwischen auf den Thron gelangt war,
für
die unglücklichen Einwohner große Summen auf, so daß
die Stadt in der
Folge allmählig wieder aus den Trümmern erstand. Auch diesmal
blieb das
Erdbeben nicht auf jene Hauptstätte des Unglücks
beschränkt;
gleichzeitig ward die syrische Stadt Laodikeia, etwa einen Breitengrad
von Antiocheia südlich am Mittelmeere gelegen, zur Hälfte in
Trümmer
gestürzt und hiebei achthalbtausend Menschen getödtet. 37
Wenn Malalas berichtet, daß noch im Jahre 530
"aller Orten" (κατα
τοπον) Erderschütterungen
empfunden worden seien, in Folge deren in allen Städten
öffentliche
Gebete veranstaltet wurden 38; daß ferner 533 in einer
späten
Abendstunde in Constantinopel die Erde erzitterte, und daß die
ganze
Stadt in voller Bestürzung nach dem Forum Constantins
zusammenströmte
und unter Gebeten die Nacht durchwachte 39, so muß man bei dem
Mangel
anderweitiger Nachrichten die Richtigkeit dieser Angaben auf sich
beruhen lassen. Jedenfalls scheinen diese letzteren Erdbeben eine
größere Bedeutung nicht gehabt zu haben, und so mögen
sie vielleicht
als die letzten abgeschwächten Vibrationen zu betrachten sein, mit
denen der erste Akt der gewaltigen tellurischen Revolution
abschloß.
b) Tellurische Bewegungen der
zweiten
Gruppe.
Der Herd der zweiten Erdbeben gruppe scheint anfänglich
jener
gebirgige, rauhe Landstrich im Nordwesten Vorderasiens, am Nordabhange
des Antitauros, gewesen zu sein, wo die Länder Paphlagonien,
Galatien,
Pontos und Kappadokien zusammengränzten. Höchst
wahrscheinlich ist
nämlich jenes Pompejopolis, von welchem berichtet wird, daß
es im Jahre
535 oder 536 von einem schweren Erdbeben betroffen worden sei 40, die
paphlagonische Stadt dieses Namens, die am Südabhange des rauhen
Olgassys lag. Es spaltete sich hierbei der Boden und verschlang die
Hälfte der Stadt sammt den Bewohnern, also daß man noch
einige Zeit das
Jammergeschrei der Versunkenen aus der Tiefe vernommen haben soll.
Ungefähr in dieser Zeit mag auch die Verschüttung Amaseia's
41 zu
setzen sein, der Metropolis von Pontos, welche etwa zwei
Längengrade
östlich von Pompejopolis am Abhange der nördlichen
Ausläufer des
Antitauros lag, als Vaterstadt des Geographen Strabon bekannt. Das
Erdbeben daselbst erstreckte sich auch auf einen Theil der Umgegend.
Nachdem im folgenden Jahre der Vesuv ein unheimliches
Gebrüll -
jedoch ohne eigentlichen Ausbruch - hatte vernehmen lassen 42,
trat im
Gebiete der tellurischen Stürme eine mehrjährige Pause ein,
welche
indeß durch ungewöhnliche Natur-Ereignisse und
Phänomene anderer Art,
so wie durch den ersten großen Pest-Ausbruch ausgefüllt ist.
Dann aber
erfolgte vom Jahre 542 an wieder eine ununterbrochene Reihe
vulkanischer und neptunischer Revolutionen, die bis zum Jahre 547 jedes
Jahr mit einem Ausbruche bezeichneten und, wenn sie auch nicht die
intensive Stärke erreichten, mit der die Revolutionen der vorigen
Gruppe in ihrer Culminationszeit gewüthet hatten, doch durch ihre
ungewöhnliche Ausbreitung das Culminiren dieser zweiten Gruppe
bekundeten.
Am 16. August 542, nachdem im Frühjahre und Sommer
unmittelbar
vorher die Pest das erste Mal in Constantinopel aufgetreten war, ward
diese Stadt durch ein furchtbares Erdbeben erschüttert, welches
nebst
mehreren Kirchen und Häusern die Ringmauern in der Gegend des
goldenen
Thorrs niederwarf, vielen Menschen den Untergang brachte und die Stadt
mit Bestürzung erfüllte.43
Im folgenden Jahre am 6. September durchzuckten Erdbeben den
ganzen damals bekannten Länderkreis (όλον
τον κοσμον 44). Der
Hauptausbruch traf jedoch die blühende See- und Handelsstadt Kyzikos in der
Propontis, welche mit Pompejopolis und Amaseia unter gleicher Breite
und gegen Constantinopel etwa einen Grad südlicher lag. Sie wurde
jetzt, nachdem sie schon früher unter Kaiser Hadrian durch ein
Erdbeben
gelitten, zur Hälfte in Trümmer gelegt. Daß aber die
Nachricht über die
ungewöhnliche Ausdehnung dieses Erdbebens keineswegs
unbegründet oder
übertrieben ist, erhellt aus dem Berichte eines, von den
Byzantinischen
Chronographen, welche sie geben, ganz unabhängigen
Schriftstellers, des
hl. Gregor v. Tours 45, demzufolge ungefähr um dieselbe Zeit die
Civitas Arverna, das heutige Clermont am Puy de Dome in der Auvergne,
von heftigen Erdbeben stößen erbebte, die
Erschütterungskreise
demnach bis in den Westen Europa's sich erstreckten.
Das folgende Jahr zeigte unfern jener Hauptstätte des
Erdbebens
auch eine große neptunische Revolution. Eine ungewöhnliche
Fluth des
Pontos Eureinos überströmte, 4000 Schritte weit in das Land
eindringend, die Thrakische Küste in der Gegend des heutigen
Varna; die
ganze Umgegend von Odyssos, Dionysopolis und Aphrodision 46 ward
überschwemmt, und die Nachricht, daß hiebei viele Menschen
umkamen,
zeugt ebenso von der großen Heftigkeit und der
ungewöhnlichen
Schnelligkeit, mit der das Unglück hereinbrach 47.
Auch im Jahre 545 wurde Constantinopel wieder durch ein
starkes
Erdbeben beunruhigt 48; insbesondere aber bezeichneten das Jahr 547
ungewöhnliche Phänomene vulkanischer und neptunischer Art.
Erdbebenstoße von furchtbarer Gewalt erschütterten im Winter
dieses
Jahres 49, am stärksten im Februar, wiederholt und mit kurzen
Zwischenpausen 50 - sämmtlich zur Nachtszeit eintretend
- die
Hauptstadt Constantinopel und andere Orte, deren Bewohner
angsterfüllt
jeden Moment ihren Untergang gewärtigten und öffentliche
Gebete
anstellten. Höchst merkwürdig aber ist eine im
Spätsommer desselben
Jahres beobachtete Unregelmäßigkeit in der
Nil-Ueberschwemmung, welche
uns der zuverlässige Prokopios 51 aufgezeichnet hat. Nach einer
sehr
reichlich eingetretenen Anschwellung, wobei der Strom über 18
Ellen
stieg, blieb in den untern Theilen Aegyptens das Wasser
ungewöhnlich
lange, und während der ganzen Zeit, wo die Aussaat gemacht werden
sollte, stehen; die Felder konnten deshalb nicht bestellt werden; an
einigen Orten aber, wo das Wasser so weit gefallen war, daß die
Aussaat
vorgenommen werden konnte, begann es gleich darauf neuerdings zu
steigen, so daß die Hoffnung des Jahres verloren war; ein
Phänomen, das
bei der großen Regelmäßigkeit in den
Ueberschwemmungsphasen dieses
Flusses seit Menschengedenken, wie Prokopios bemerkt, nicht vorgekommen
war und nun auch den Bewohnern des Nilthales, deren Land zu allen
Zeiten als die reichste Kornkammer der umliegenden Länder
gegolten, die
ungewohnten Drangsale einer Hungersnoth zu kosten gab.
Ob die große Überschwemmung des Flusses Kydnos in
Kleinasien,
welcher nach Prokopios 52 um das Frühlings-Aequinoctium, durch
schnelles Schmelzen der Schneemassen auf dem Tauros und durch
zahlreiche am Fuße dieses Gebirges neu hervorbrechende Quellen
angeschwellt, die Stadt Tarsos überfluthete und zerstörte, in
den
Frühling des nächstfolgenden Jahres (548) oder eines
späteren 53 zu
setzen ist, bleibt bei dem Mangel an näheren Nachrichten
zweifelhaft.
Übersättigung des Bodens mit unterirdischen Wasseradern, in
Folge
dessen die Erde die überfluthenden Stromgewässer nicht
sogleich
absorbiren konnte, scheint wenigstens, wie bei diesem Ereignisse, so
auch bei der eben geschilderten unregelmäßigen
Nil-Ueberschwemmung
wesentlich mitgewirkt zu haben.
c) Tellurische Revolutionen der
dritten Gruppe.
Die vulkanischen und neptunischen Erschütterungen dieser
Periode
entfalteten gleich Anfangs ihre größte Heftigkeit in zwei,
wahrscheinlich bald nach einander erfolgten, furchtbaren Katastrophen
des Jahres 551, welche sich über die drei Landvesten der alten
Welt
zumal erstreckten, und in denen die intensive Kraft, welche die
Erdbeben der ersten Gruppe ans ihrem Culminationspunkte kennzeichneten,
mit der ungewöhnlichen Ausdehnung, die den tellurischen
Empörungen der
zweiten Gruppe in der Zeit ihrer starksten Thätigkeit eigen war,
vereinigt erscheint.
Am 9. Juli 551 verheerte ein ungeheures Erdbeben 54
verschiedene
Küstenländer und Inseln im ägäischen und im
östlichen Becken des
Mittelmeers von Constantinopel in weitem Bogen bis Alexandreia; seine
furchtbarsten Wirkungen entfaltete es in den Küstenstrichen von
Syrien,
Palästina und Phoinikien und auf der Insel Kos; aber auch in den
benachbarten Binnenländern, in Mesopotamien und Arabien wurden die
Wirkungen desselben empfunden. Die phoinikischen Städte Tripolis,
Biblos, Sidon und Tyros litten mehr oder minder schwer unter dieser
Geißel; Berytos aber, (jetzt Beirut), damals die Perle
Phoinikiens 55,
der Sitz einer blühenden Schule des Römischen Rechts 56, sank
gänzlich
in Trümmer, also daß von den zahlreichen Prachtbauten der
Stadt nichts
mehr als die Grundmauern übrig blieben. Unter der großen
Anzahl von
Menschen, die hiebei ihren Tod fanden, waren auch viele fremden
Jünglinge, welche dort den Studien obgelegen hatten. Die
überlebenden
Schüler nebst ihren Lehrern wanderten nach dem benachbarten Sidon
aus
bis zur Wiederherstellung von Berytos, dessen furchtbares Geschick
manches Epigramm besang 57. Bei einer andern phoinikischen Stadt,
Botrys, (dem heutigen Batron), stürzte ein Theil des Vorgebirges
Lithoprosopos ins Meer, ein Umstand, welcher der früher hafenlosen
Stadt durch ein seltsames Spiel des Zufalls einen natürlichen
Hafen
verschaffte, geräumig genug zur Aufnahme zahlreicher Schiffe der
größten Gattung. Die Schrecken des Erdbebens in dieser
Gegend wurden
noch durch eine neptunische Revolution erhöht; das Meer zog sich
plötzlich und mit ungestümer Bewegung bis auf tausend
Schritte von der
Küste hinweg, wodurch viele Fahrzeuge zu Grunde gingen.
Von der großen Ausdehnung und Intensität jener
Erderschütterung
gibt insbesondere der Umstand Zeugniß, daß auch in
Alexandreia, einer
Stadt, wo Erdbeben seit Menschengedenken unerhört waren,
Erdstöße, wenn
auch nur schwach und kurz andauernd, wahrgenommen wurden. Allgemeine
Bestürzung ergriff daher nach dem Berichte des Agathias, der eben
damals um der Rechtsstudien willen sich in Alexandreia aufhielt, die
Bewohner, die wohl wußten, daß ihre Häuser, für
solche Ereignisse nicht
eingerichtet und nur leicht gebaut, einem heftigeren Stoße keinen
Augenblick würden wiederstehen können.
Mit gleicher Starke, wie zu Berytos, wüthete das
Erdbeben in der
gleichnamigen Stadt der unfern der Küste Vorderasiens gelegenen
Insel
Kos, durch ihren Asklepios-Tempel im Alterthum weltbekannt. Auch hier
half eine gleichzeitige neptunische Revolution - ein heftiger
Einbruch
des Meeres - im Bunde mit der Gewalt der Erdstöße das
Werk der
schrecklichen Zerstörung vollenden, unter der auch der
größte Theil der
Einwohner umkam. Agathias, der kurz nach der Katastrophe auf seiner
Reise von Alexandreia nach Constantinopel auf der Insel landete, sah
noch als Augenzeuge das grauenhafte Bild der Zerwüstung, das, wie
er
versichert, keine Schilderung zu erreichen vermöge 58. Die ganze
Stadt
in einen unförmlichen Trümmerhaufen verwandelt, in welchem
nur hie und
da einige unscheinbare Lehmhütten aufrecht standen; allenthalben
zertrümmerte Säulen und Balken umhergestreut, die Luft noch
verdunkelt
von dichten Staubwolken, also daß in dem Chaos der
Zerstörung kaum mehr
die Lage und Richtung der ehemaligen Straßen und
öffentlichen Plätze zu
erkennen war; nur wenige Bewohner unter den Trümmern irrend, und
diese
ein Bild des Jammers und der Noth, da das Erdbeben auch die
Süßwasserquellen in Salzwasser gewandelt und
ungenießbar gemacht; - das
war das Bild der ehemals so schönen blühenden Stadt, der von
ihrem
früheren Glanze nichts mehr geblieben war, als der Name der
Asklepiaden
und der Ruhm, die Geburtsstätte eines Hippokrates und Apelles
gewesen
zu sein.
Daß außerdem, wie oben angedeutet wurde, noch
andere Inseln des
ägäischen Meeres und manche Zwischenpunkte der
vorderasiatischen Küste
von Kos bis zum nördlichsten Gränzpuncte der
Erdbeben-schwingungen,
Constantinopel, mehr oder weniger mögen gelitten haben, darf,
wiewohl
in den Quellen hierüber nichts vorkommt, als wahrscheinlich
angenommen
werden, zumal gerade jene Küstenländer im Alterthum solchen
Unglücksfällen vorzugsweise ausgesetzt waren 59.
Wahrscheinlich nur einige Monate später scheint das
ungewöhnlich
heftige Erdbeben vorgefallen zu sein, welches Prokopios in der
Geschichte des griechisch-ostgothischen Krieges schildert 60. Die
Wellen dieses Erschütterungskreises erstreckten sich über
Boiotien und
Achaja 60; die Hauptstätte des Erdbebens scheinen aber die
Länder um
den korinthischen Meerbusen (den heutigen Busen von Lepanto) und
vorzugsweise um eine nördliche Bucht desselben, den kleinen Busen
von
Krissa (jetzt Golf von Livadia) gewesen zu sein. Zahllose Flecken und
acht größere Städte, darunter Chaironeia und Koroneia,
in der
Gebirgs-Abdachung zum boiotischen See Kopais, Patrai und Naupaktos, zu
beiden Seiten der in den korinthischen Busen führenden Meerenge
gelegen, stürzten unter der schrecklichen Gewalt der
Stöße in Trümmer.
An verschiedenen Orten klafften Erdspalten auf, von denen einige
später
sich wieder schloßen, während andere offen blieben und den
Verkehr nur
auf weiten Umwegen gestatteten. Ueberall hörte man von
großen
Menschenverlusten; insbesondere aber forderte an einem Orte, welchem in
Folge der hier entstandenen Klüftung noch später der Name
Schisma
blieb, das Erdbeben mehr Opfer als im ganzen übrigen Hellas, da
hier
eben zur Feier eines Festes eine große Menschenmenge
zusammengeströmt
war.
Uebrigens gesellten sich auch in Hellas, wie es der Charakter
der
Erdbeben in dem bezeichneten Jahre überall gewesen war, zu den
Schrecken der vulkanischen Revolution heftige neptunische Verheerungen,
vielleicht durch Fortsetzung der Erschütterungen vom Festlande
unter
den Boden der anstoßenden Meere. Am malischen Meerbusen -
dem heutigen
Golf von Zeitun - drang in der Umgegend der zu beiden Seiten
seines
Eingangs gelegenen Städte Echinaios (Echinos) und Skarphia das
Meer in
heftiger Ueberfluthung weit hinein in das Festland bis zu den Gebirgen
an der Küste, überschwemmte und zerstörte die
Dörfer und blieb lange
Zeit über dem Lande stehen, während es sich aus dem Busen
selbst
hinwegzog, so daß man zu den Inseln in demselben trocknen
Fußes
gelangen konnte. Von einem hiebei beobachteten naturhistorischen
Phänomen wird weiter unten noch die Rede sein.
Nach längerer Rast gab sich die noch nicht beruhigte
Währung der
tellurischen Kräfte in einem neuen heftigen Erdbeben kund, das
insbesondere durch seine ungewöhnlich lange Dauer merkwürdig
ist. Am
15. August 554 (nach anderen Angaben 553) um Mitternacht wurden die
Bewohner Constantinopels durch eine heftige Erderschütterung aus
dem
Schlafe aufgeweckt, welche außer sehr vielen Wohngebäuden,
Kirchen,
öffentlichen Bädern ec. auch einen Theil der Ringmauern
niederwarf und
viele Menschen unter den Trümmern verschüttete 62. Auf dem
Forum
Konstantins ward ein Standbild niedergestürzt, dessen Lanze durch
die
furchtbare Gewalt des Stoßes drei Ellen tief in den Boden fuhr.
Vierzig
Tage währte es, bis die öfter wiederkehrenden
Erderschütterungen
gänzlich zur Ruhe kamen, und es wurden auch in andern Städten
ihre
Wirkungen empfunden. So ward Nikomedeia in Bithynien, von
Constantinopel etwa einen Grad weiter ostwärts, einen halben gegen
Süden, in einer Bucht der Propontis gelegen, eine Stadt ersten
Ranges
im Alterthum, die übrigens solcher Unglücksfälle vordem
schon mehrere
erfahren hatte, unter großem Menschenverluste theilweise
zerstört. Die
vereinzelt stehende Nachricht bei Kedrenos (s. not. 62), daß
dieses
Erdbeben, mit Meeres-Einbrüchen verbunden, auch in Palästina,
Mesopotamien usw. heftig gewüthet habe, ja seiner Ausdehnung nach
ein
"σεισμος
παγκοσμος"
gewesen, ist durch ihren Gewährsmann zu wenig
gesichert. Wie groß aber die Bestürzung war, die damals in
Constantinopel herrschte, erhellt aus dem Umstande zur Genüge,
daß das
Andenken an jene Tage des Schreckens noch zur Zeit des Theophanes
alljährlich durch einen öffentlichen Bittgang nach dem Campus
gefeiert
wurde.
Im Jahre 555 am 11. Juli erschütterte aufs Neue ein
starkes
Erdbeben die Hauptstadt des oströmischen Reiches 65.
Zwei Jahre darauf (557) sammelten die tellurischen
Bährungen, ehe
sie von den schwer heimgesuchten Ländern des Orients für
lange Zeit
abließen, nochmal ihre volle Kraft zu einem letzten Angriffe, der
auch
diesmal vorzugsweise die Hauptstadt traf. Vorboten desselben waren
schon ziemlich lange vorher in zwei heftigen, jedoch ohne Schaden
verlaufenen Zuckungen, am 2. April und 6. Oktober 557, vorausgegangen
64; zwei Monate nach dem letzteren Ereignisse trat sodann die
furchtbare Katastrophe selbst ein 65, welcher, wie ein gleichzeitiger
Schriftsteller (Agathias) berichtet, keines der früheren Erdbeben
in
dieser Stadt gleich kam, und deren Schrecken überdies durch den
schneidenden Contrast der Zeitumstände erhöht wurden. Die
fröhliche
Zeit eines Festes hatte begonnen, das allenthalben in der Stadt durch
Gelage begangen wurde, als plötzlich, am 14. Decbr. 557, um
Mitternacht
der erste von einer langen Reihe von Erdstößen vernommen
wurde 66,
welche, an Heftigkeit rasch sich steigernd und dann allmählig
abnehmend, zehn Tage und Nächte lang anhielten 67. Gleich in den
ersten
Momenten der Katastrophe bot die Stadt einen schrecklichen Anblick dar.
In das Gekrach der bis auf die Grundvesten erschütterten,
allenthalben
stürzenden Gebäude, in das dumpfe, donnerähnliche
Gedröhn, das aus der
Tiefe der Erde sich emporrang, mischte sich das Jammergeheul der
Menschenmassen, die, kaum der Besinnung mächtig und gegen das
fallende
Schneegestöber und den schneidenden Winterfrost kaum
nothdürftig
verhüllt, aus Häusern und Gassen nach den wenigen
öffentlichen Plätzen
der enggebauten Stadt sich drängten oder an den Altären der
Kirchen
Zuflucht suchten; ein eigenthümlicher, rauchartiger Nebel, der die
unteren Luftschichten einnahm, hüllte Alles in schwarze
Finsterniß.
Aller Gehorsam der Untergebenen, aller Unterschied der Stände,
alle
Bande der gesellschaftlichen Ordnung hörten auf in der gemeinsamen
Gefahr, die im nächsten Momente Allen den Untergang bringen
konnte.
Noch in dieser Nacht stürzten, nebst einer Menge von
Privatgebäuden,
zahlreiche Kirchen und öffentliche Baudenkmale ein; auch die
beiden
Ringmauern, die eine von Constantin, die andere von Theodosius erbaut,
litten Schaden; und obwohl kein Ort in der Stadt oder den
Vorstädten
anzutreffen war, der von dem Unheil verschont geblieben wäre, so
zeigte
dennoch die Hafenstadt Rhegion das furchtbarste Bild der
Zerstörung;
kaum vermochte man mehr den Ort zu erkennen, wo sie gestanden.
Daß
hiebei eine große Anzahl von Menschen umkam, bedarf kaum der
Erwähnung.
- Die erschütterndsten Scenen führte der über
dieser Stätte des Grauens
anbrechende Morgen herbei, als das Licht des Tages das entsetzliche
Werk der Nacht in seinem ganzen Umfange erkennen ließ, als mitten
unter
Trümmern und Leichen Verwandte und Freunde, die sich in der
Verwirrung
der Nacht verloren hatten, sich wieder fanden und mit
Freudenthränen
einander in die Arme stürzten.
Bei diesem Erdbeben, das auch in den folgenden Tagen noch
seine
Zerstörungen fortsetzte und seine Schwingungen über mehrere
andere
Städte des Reiches verbreitete, war es auch, wo von dem
berühmtesten
Bauwerke des byzantinischen Styls, der Kirche der S. Sophia, die
mittlere Kuppel schadhaft wurde, so daß sie nach wenigen Monaten
einstürzte 68. Tief gebeugt von dem Unglücke seiner
Residenzstadt
erschien der Kaiser mehrere Wochen lang bei feierlichen Gelegenheiten
mit abgelegtem Diadem; alle öffentlichen Festlichkeiten
unterblieben,
und die hiefür ausgesetzten Summen wurden unter die
Unglücklichen
vertheilt, die hiebei alle ihre Habe eingebüßt hatten 69.
Lange noch, nachdem die Verheerung ihr Ziel erreicht hatte,
blieben
die moralischen Nachwirkungen dieses Ereignisses in den Gemüthern
sichtbar. Die Einbildungskraft, an Bilder des Schreckens gewöhnt
und
überdies genährt mit mannigfach verbreiteten Weissagungen
über das nahe
bevorstehende Welt-Ende, glaubte auf dem längst zur Ruhe
gekommenen
Boden fortwährend neue Schwankungen zu empfinden. In solcher
Aufregung
und Erwartung der schrecklichen Dinge, die da kommen sollten, lag man
alles Eifers dem Gebete ob, gelobte und begann ernstliche Besserung,
gab reichliche Spenden an die durch das Erdbeben Verarmten oder
Verstümmelten; Viele entsagten gänzlich dem Verkehre mit der
Welt und
zogen sich auf einsame Bergeshöhen zu einsiedlerischem Leben
zurück.
Allmählig aber, als die Zeit jene Prophezeiungen Lügen
strafte, lösete
sich die Erregtheit der Gemüther, und es begann das Leben in seine
alten Geleise zurückzukehren; da wurden die Bewohner von Byzanz im
nächsten Frühlinge durch ein neues Schreckniß, die
Wiederkehr der
großen Pest, an die Nichtigkeit aller irdischen Dinge gemahnt.
Mit einigen, wie es scheint, nickt bedeutenden
Erdstößen in
Antiocheia (December 560) 70 schließt die dritte Gruppe und damit
die
Reihe der tellurischen Revolutionen überhaupt im Morgenlands ab,
von
denen Gibbon wahrlich nicht zu viel sagt, wenn er (VI . p. 375)
bemerkt: "Each year is marked by the repetition of earthquakes!"
Von
jetzt an beginnt der allgemeine Aufruhr der Natur im Gefolge der
großen
Pest vom Morgenlande mehr und mehr nach dem Abendlande sich zu ziehen,
und eine lange Reihe von ungewöhnlichen Begebnissen der
mannigfaltigsten Art eröffnet dort im Jahre 563 der große
Bergstürz im
Walliser Lande 71, in Folge dessen das Castell Tauredunum an der Rhone
sammt dem Felsen, worauf es stand, mit Kirchen, Häusern und
Menschen in
die Tiefe stürzte.
II. ätmospherische
Phänomene.
Unter diese ist wohl die seltsame Abnahme und Trübung
des
Sonnenlichtes zu stellen, welche im Jahre 536 nach dem Berichte des
Prokopios, Theophanes und Kedrenos ein volles Jahr beobachtet wurde.
Prokopios, mit welchem die beiden späteren Chronisten fast von
Wort zu
Wort übereinstimmen, beschreibt dies Phänomen in folgender
Weise
(Vandal. II. 14.): "Die Sonne ward glanzlos
(ακτινων
χωρις) wie der
Mond und verlor ihren strahlenden Schimmer für das ganze Jahr. Und
zumeist sah sie aus wie zur Zeit einer Verfinsterung, indem ihr Licht
nicht rein und nicht wie sonst gewöhnlich war. Seitdem ließ
weder
Krieg, noch Hungersnoth, noch sonst ein Unheil ab, die Menschen
hinzuwürgen. Es war aber diese Zeit das 10. Jahr der Regierung
Justinians"72).
Hiedurch ist, wie dem Verfasser denkt, eine zweifache
Alteration
des Sonnenlichtes angedeutet, erstens eine andauernde Abnahme seiner
Intensität, so daß man nun in die Sonnenscheibe mit
unbeschütztem Auge
so gut, wie in die des Mondes, sehen konnte; zweitens eine zeitweilige
Trübung oder Verdunkelung desselben, welche, sehr häufig zu
einem
höheren Grade gesteigert, der Sonnenscheibe ein ähnliches
Aussehen, wie
zur Zeit einer Finsterniß, gab.
Ob diese Erscheinungen durch die Annahme von Sonnenflecken
(wie
Schnurrer I. p. 121 versucht hat) genügend sich erklären
lassen, mögen
Sachverständige entscheiden. Es läßt sich aber
nachweisen, daß,
gleichwie obiges Ereigniß in Mitte heftiger vulkanischer
Revolutionen
und wenige Jahre vor dem Ausbruche der großen Pest steht,
ähnliche
Verdunkelungen des Sonnenlichts mehrmals um die Zeit heftiger Erdbeben
und kurz vor dem Ausbruche großer Epidemien oder gleichzeitig mit
diesen vorkamen. So ward im Jahre 262 n. Chr., zur Zeit einer
langwierigen Epidemie, neben vulkanischen und neptunischen Verheerungen
eine mehrtägige Finsterniß beobachtet 73; dieselbe
Erscheinung findet
sich im Jahre 746 n. Chr., einem durch ein großes Erdbeben und
einen
furchtbaren Ausbruch der Bubonen-Pest bezeichneten Jahre 74; von dem
Auftreten des gleichen Phänomens am Anfange des schwarzen Todes,
jener
Zeit der schrecklichsten Erdbeben-Katastrophen, war bereits oben die
Rede 75.
Diesen Thatsachen gegenüber möchte mit mehr
Wahrscheinlichkeit
anzunehmen sein, daß jene Alterirung des Sonnenlichts in
atmosphärischen Verhältnissen, und zwar in einer Infection
der Luft mit
fremdartigen Stoffen, welche in derselben in Gestalt eines feinen, das
Sonnenlicht verfinsternden Dunstes zur Erscheinung kamen, ihren Grund
hatten. Diese fremdartigen Beimischungen aber mögen insbesondere
in
Folge der vulkanischen Revolutionen, bei denen sie mitunter schon dem
Auge als dichter, rauchartiger Nebel sichtbar, oder sonst dem
menschlichen Organismus empfindbar wurden, aus dem aufgähnenden
Boden
in die Luft aufgestiegen, theilweise auch noch durch andere Ursachen
veranlaßt worden sein 76.
Hiedurch würden zugleich einerseits die Nachricht bei
Agathias von
dem "eigenthümlichen, rauchartigen Nebel" bei dem Erdbeben
in
Constantinopel vom Jahre 557, und von der ähnlichen Erscheinung
über
der Trümmerstätte von Kos, so wie die beglaubigten Thatsachen
aus der
Periode des schwarzen Todes ihre Erklärung finden, daß bei
dem Erdbeben
auf Cypern ein verpestender Geruch viele Menschen tödtete 77, und
im
nämlichen Jahre während eines mehrtägigen Erdbebens in
Deutschland
viele von Kopfschmerz, Betäubung und Ohnmacht befallen wurden 78;
anderseits aber würde es begreiflich, wie durch so ausgedehnte
Verpestung der Lust mörderische Epidemien, wenn nicht erzeugt, so
doch
vorbereitet und ihre Wirkungen zu so furchtbarer Höhe gesteigert
werden
konnten.
Außerdem geschieht noch eines feurigen
Meteors-Erwähnung, welches
im Jahre 556, nach einem an bösartigen Gewittern überreichen
Sommer, im
November oder December, in Gestalt einer Lanze vom nordöstlichen
bis
zum westlichen Himmel ausgedehnt, erschien 79; desgleichen einer
anhaltenden Dürre in den Jahren 562 und 563, in Folge deren in
Constantinopel die Brunnen versiegten, und an den wenigen noch nicht
ganz vertrockneten blutige Kämpfe vorfielen 80.
III. Kosmische Erscheinungen.
Unter diese Kategorie fällt fürs Erste das
Erscheinen von drei
großen Kometen innerhalb eines Zeitraums von 21 Jahren, von denen
der
dritte und letzte dem ersten Auftreten der Pest (541) fast unmittelbar
vorangeht.
Der erste derselben, welcher im Jahre 518 sich zeigte,
erglänzte
nach den Angaben der Berichterstatter als ein
"φοβερος
αστηρ" mit
abwärts gekehrtem Schweife am östlichen Himmel und ward ob
seines
Aussehens von den Astronomen
πωγωνιας (Bartstern) genannt
81).
Bedeutender noch war der zweite, vom Jahre 530, welcher von
seinem
hellen Glanze
λαμπαδιας
(Fackelstern) genannt wurde. Er erschien im
September, und zwanzig Nächte blieb seine imposante Erscheinung,
den
strahlenden Schweif nach oben ausgebreitet, am westlichen Himmel
sichtbar 82.
Der größte aber scheint der Komet des Jahres 539
gewesen zu sein,
der nach Prokopios 83 im 13. Regierungs-Jahre Justinians, im
Spätherbste sichtbar wurde und unter großer Bestürzung
der Menschen
über 40 Nächte am Himmel leuchtete. "Er war" -
sagt dieser
Berichterstatter ohne Zweifel als Augenzeuge - "anfangs von
der Größe
eines hochgewachsenen Mannes, später aber nahm er noch bedeutend
zu;
sein Schweif war gegen Untergang, sein Kopf gegen Aufgang gerichtet. Er
folgte hinter der Sonne her; denn während jene im Steinbocke
erschien,
stand er im Schützen. Von seiner länglichen, am Kopfe in eine
scharfe
Spitze auslaufenden Gestalt nannten ihn Einige
ξιφιας (Schwertstern)."
Außerdem scheinen noch zwei andere Phänomene in
diese Kategorie
eingereiht werden zu müssen, welche nach den Schilderungen der
Berichterstatter als Sternschnuppenfälle von ganz
ungewöhnlicher Stärke
zu erklären sein dürften. Das erstere derselben ereignete
sich im Jahre
der Nika (532) 84, das zweite, freilich nur von dem einzigen Kedrenos
85, und in ganz ähnlicher Weise geschilderte, im Jahre 557.
IV. Störungen im
vegetabilischen und
im niederen animalischen
Leben.
Daß der allgemeine Aufruhr, der die unorganische Natur
aus den
Fugen zu treiben drohte, auch die Kreise des organischen Natur-Lebens
ergriff, gab sich durch mancherlei Thatsachen deutlich zu erkennen.
Wie kurz vor dem Auftreten des schwarzen Todes, wurde auch
jetzt
Ober- und Mittel-Italien, wenige Jahre bevor diese Länder der
Würgengel
des ersten Pestanfalles durchzog, der Schauplatz einer beispiellosen
Hungersnoth. Es soll hier nicht von den gräßlichen Scenen
des äußersten
Mangels und Elends die Rede sein, das die Bewohner belagerter
Städte in
jenem mörderischen Vernichtungskriege zu dulden hatten, welcher
zwei
germanische Völker, die Ostgothen in Italien und die Vandalen in
Nordafrika, fast spurlos ausgerottet hat 86. Wie sehr auch solche
Leiden mit ihrem düsteren Gefolge von Siechthum und Krankheiten
geeignet, waren, der nachfolgenden Pest die Wege zu bahnen, so wurden
sie gleichwohl nur durch zufällige äußere
Umstände, nicht durch
Mißwachs veranlaßt. Daß aber auch die letztere
Geißel nicht fehlte,
beweiset zur Genüge das Schauergemälde, welches Prokopios 87
von dem
Zustande Mittel- und Ober-Italiens im Jahre 538 uns hinterlassen hat.
Als der Sommer wieder kam (so lautet sein Bericht, der, wie er selbst
bemerkt, auf Autopsie gegründet ist), - es war aber das
vierte Jahr des
Krieges - stand die Frucht um Vieles dünner als im vorigen
Jahre, da
die Bestellung der Felder unterblieben war. Deshalb wanderten die
Einwohner der Landschaft Aemilia 88 in das Picenische aus, in der
Hoffnung, es werde dort, als in einem Küstenlande, die Hungersnoth
erträglicher sein. Aber auch hier, wie im benachbarten Tuscien,
wüthete
der gleiche Mangel. In letzterem Lande fristeten die Gebirgsbewohner
ihr Leben mit Brod, das sie aus zerriebenen Eicheln bereiteten, einer
Nahrung, die natürlich Krankheiten aller Art unter der
Bevölkerung
erzeugte; im Picenischen aber sollen nicht weniger als 50.000
Römische
Landleute ein Opfer der Hungersnoth geworden sein 89; noch weit mehr in
den Gegenden nördlich von Ravenna 90. Von Magerkeit und
Blässe
entstellt, die Haut lederartig und wie an den Knochen festklebend, mit
unheimlich scheuen Zügen, das Feuer des Wahnsinns in den Blicken,
so
irrten die Unglücklichen umher, und es tödtete keine
geringere Zahl das
Uebermaß der etwa gefundenen Speise, als der gänzliche
Mangel
derselben. Man sah Viele, die, wo sie eine grüne Stelle trafen,
heißhungrig auf das Gras sich hinwarfen, aber mit versagender
Kraft
über dem vergeblichen Bemühen, es zur kargen Nahrung
auszuraufen, ihr
Leben aushauchten. In einem Orte jenseits Ariminum sollen zwei Weiber
nach und nach siebzehn Männer, die in ihrem Hause Herberge
gesucht,
geschlachtet und aufgezehrt haben. An Todtenbeschickung dachte Niemand;
auch mochten die Vögel die fleischlosen Gerippe nicht
berühren. Also
Prokopios.
Mag man nun den von demselben hervorgehobenen Umstand,
daß der
Feldbau in Folge der Kriegswuth vernachlässigt worden sei, noch so
schwer ins Gewicht fallen lassen, schwerlich wird man hiedurch allein,
wenn nicht eine umfassende Störung im vegetabilischen Leben
überhaupt
hinzukam, ein solches Uebermaß des Elends, wie das oben
geschilderte,
in einem Lande erklärlich finden, wo die Fluren - wie
derselbe
Prokopios an einem andern Orte bemerkt 91 - zu keiner Jahreszeit
ihres
grünen Schmuckes beraubt stehen. Auch hätte sich in den
spätere Jahren,
wenn der Krieg allein die Ursache war, die Noth und das Elend noch
steigern müssen; allein nirgends findet sich in den 14 weiteren
Kriegsjahren, die Prokopios schildert, ein ähnliches Ereignis
aufgezeichnet, wie jene Hungersnoth, die schon in das 4. Jahr des
Kampfes fällt. Außerdem sprechen auch die vor dem Ausbruche
anderer
großen Seuchen beobachteten derartigen Erscheinungen für
unsere
Annahme.
Andere Fälle von Mangel und Mißärnten, welche
bei den Chronisten
sich noch aufgezeichnet finden, wie in den Jahren 546 und 556 in
Constantinopel und der Umgegend 92, wobei es das letztere Mal in der
Hauptstadt beinahe zu einem Aufstande gekommen wäre, sollen hier
nicht
weiter in Betracht gezogen werden; des Mißjahres in Aegypten
(547)
wurde bereits oben gedacht.
Zu gleicher Zeit aber wurden auch in den Kreisen des niederen
animalischen Lebens, wie einzelne Spuren anzudeuten scheinen,
ungewöhnliche Bewegungen rege. Zwar betrafen diese nicht, wie
sonst
gewöhnlich, die Insekten-Welt, und von jenen ständigen
Vorboten und
Begleitern großer Pesten, den Heuschrecken-Heeren, findet sich in
dieser Zeit keine Nachricht; erst gegen das Ende der großen
Pestperiode
treten sie auf, und zwar im Jahre 584 in Frankreichs 93, in den Jahren
591 und 592 in Italien 94. An ihrer Stelle erscheinen dagegen
massenhafte Wanderungen unter den Thieren des Meeres. Im Jahre 547,
einem durch vulkanische und neptunische Revolutionen merkwürdigen
Zeitpunkte, sah man, wie Prokopios berichtet 95, einmal bei ganz
ruhiger See eine ungeheure Menge von Delphinen an der Meerenge von
Constantinopel zusammenströmen, und es ward bei dieser Gelegenheit
ein
gewaltiges Meer-Ungethüm (κητος), das
seit 50 Jahren der Schrecken des
schwarzen Meeres gewesen, erlegt, als es, jene Delphine verfolgend, auf
den Strand gerieth. Einen anderen Fall dieser Art erzählt derselbe
Gewährsmann 96 vom Jahre 551, der Culminations-Epoche der
tellurischen
Stürme der dritten Gruppe. Als nach dem Meeres-Einbruche im
Malischen
Busen die Gewässer wieder in ihr altes Bett zurücktraten,
blieben
Fische zurück von einer den Einwohnern unbekannten Art und
Gestalt; und
als man deren am Feuer zubereiten wollte, löseten sie sich, sobald
die
Hitze der Flammen sie berührte, unter unerträglichem Geruche
in Fäulnis
auf 97.
Kann nun auch nicht geleugnet werden, daß die letzteren
Erscheinungen in anderen Umständen ihren Grund gehabt haben
mögen, so
scheint doch anderseits, wenn man die Zeitumstände, in die sie
fallen,
erwägt und sie mit den Eingangs erwähnten ganz ähnlichen
Erscheinungen
in der Periode des schwarzen Todes zusammenhält, auch die
Vermuthung
ihre Berechtigung zu haben, daß dieselben mit dem großen
Aufruhr der
Natur in einem unmittelbaren, inneren Zusammenhange stehen und als der
Nachhall derselben in der Sphäre des Thierlebens anzusehen seien.
FUßNOTEN
1) Die näheren Nachweise dieser wichtigen, bis jetzt
noch wenig
beachteten Thatsache aus den vorhandenen Quellen gedenkt der Verfasser
in dem beabsichtigten ausführlichen Werke über die
welthistorischen
Epidemien zu geben.
2) Raynald. ex manuscr. Vatic. ad ann. 1348 n. 30,
citirt von
Menzel, deutsche Geschichte IV. p. 271.
3) Ueber diese Pest selbst, so wie die gleichzeitigen
ungewöhnlichen Naturerscheinungen cf. die Monographie Heckers
"der
schwarze Tod,"
4) Man fuhr z. B, in Köln mit Schiffen über die
Stadtmauern; bei
Straubing lief die Donau über die Brücke hinweg. Zu gleicher
Zeit
fanden furchtbare Ueberschwemmungen in China statt. - Cf. Hecker
in dem
angeführten Werke. - Schnurrer, Chronik der Seuchen 1. P.
318.
5) Außer den bei Hecker aufgeführten Quellen cf.
Sebast. Franck,
Chronika II. pag. 219 b. - Matteo Villani, istorie, in Muratori,
rerum
italic. script. Tom. XIV. p. 14. - Staindelii Chron. in Oefele,
rerum
hoic. scriptores 1. p. 520 a. - Hermann. Corneri chronicon in
Eccard.
corp. hist. med. aevi. II. p. 1075, wo sich bezüchlich dieser
Erscheinung die nachstehenden Verse finden:
......In ejus (ac.
pestilentiae)
Principio coelum spissa
caligine
terras
Pressit et ignavos inclusit
nubibus
aestus.
6) Ausführlich und in ergreifende Weise ist die
große Hungersnoth
von 1346 zu Florenz geschildert von Giovanni Villani, Historie XII,
cap. 72, in Murat. rer. ital. script. Tom. XIII. pag. 954 etc.
7) Diese von Hecker nicht beobachteten Erscheinungen wurden
beobachtet 1331 in Dublin - nach Schnurrer, Chr. der Seuchen I.
p. 314,
der sich auf Webster's Chronik beruft - an einer Fischart,
die man dort
thurlheads nannte, und 1840 an der oberen Donau (in der Gegend van
Regensburg?) nach Ud, Onsorg. Chron. Bavar., in Oefele, rer. hoic.
script. I. p. 365a, desgleichen nach Andr. Ratisbon. und Joann. Chrafti
chron, bei Eccard. corp. hist. med. aevi 1. p. 2105. Die hier
beobachten Fische werden in den Chroniken als " cassiodoli,
vulgariter
Karpfen" bezeichnet.
8) Cassiod. Variar. IV. epist. 45. -
9) Victor Tunnum. " Probo Consule (d.f. nach Almel. im
Jahre
513)....nubes ex improviso cinerem....pro pluvia emiserunt
totamque
civitatem (Constantinopel) atque provinciam contexerunt." Die Zeit des
von Cassiod erwähnten Vesuv-Ausbruch - von dem Victor
übrigens nichts
berichtet - läßt sich zwar nicht mit Sicherheit
ermitteln. Da aber die
ersten Briefe des III. Buches von Cassiod, ihrem Inhalte zufolge kurz
vor der Schlacht bei Vouglé (507) abgefaßt sein
müssen, der oberwähnte
Brief aber, wie die übrigen der 5 ersten Bücher im Namen des
Königs
Theodorich († 526) erlassen sind, so muß die erwähnte
Vesuv-Ausbruch
zwischen 507 u. 526 sich ereignet heben. In diesem Zeitraume findet
sich aber sonst keine Eruptien in den Quellen aufgezeichnet. Es
dürfte
daher der im Texte aufgestellten Annahme, daß derselbe die
Ursache des
Aschenregens von 513 gewesen, ein Bedenken umso weniger entgegen
stehen, als die in dem ebenbezeichneten offiziellen Erlasse des
Cassiodorus besonders betonte Eigenthümlichkeit der weiten
Verbreitung
der ausgeworfenen Asche (Volat per mare magnum cinis decoctus et
terrenis nubibus excitatis transmarinas quoque provincias pulvereis
guttis compluit etc.) sehr wahrscheinlich macht, daß dieses
Ereignis
auch bei dem damaligen Ausbruche statt gefunden habe. Schnurrer (1. p.
120) und Hoff (IV. p. 189) setzen ohne Angabe von Gründen die
obige
Eruption um das Jahr 512.
10) Gotth. II. cap. 4.
11) Theoph. Chronogr. edit. Paris. p. 108. - Malal.
Chronogr. p.
Oxford. 79. - Chronic. Alexandr. - Kedren. ed. Paris. p.
350. - Auch
Prokopios in der oben angeführten Stelle scheint bei der
beispielsweise
Erwähnung eines Aschen-Regens in Constantinopel in Folge einer
Vesuv-Eruption das Ereignis von 472 im Sinne gehabt zu haben, auf
welche theils die beigefügte Bemerkung von der Anstellung
öffentlicher
Gebete (cf. Theophan, und Malal.) theils die Bezeichnung dieses
Vorfalles als eines solchen, von den er " gerüchtsweise"
(φασί)
vernommen habe, der demnach vor seiner Zeit sich ereignet haben
muß,
hinzudeuten scheint. Damit steht der darauf folgende Satz im Prokopios
(a. a. O.): " Καί
πρότερον μεν
ένιαντων
έκατον ή και
πλειόνων τον
μυχηθμον
τουτον φασι
γενεσθαι,
ύστερον δε
και πολλωι
ετι θασσον
συμβηναι," keineswegs im
Widerspruche; denn die lateinische
Uebersetzung des Maltrait von dieser Stelle: Jam autem anni sunt centum
etiam plus, ut perhibent, cum prior mugitus (nach Maltrait der erstere
der kurz vorher erwähnten durch Vesuv-Eruptionen veranlaßten
Aschenfälle zu Constantinopel und Tripolis) editus fuit; alterius
multo
recentior est memoria, wonach also jener Aschenregen zu Constantinopel
schon etwa um 440 müßte vorgefallen sein, da die Bücher
des Prokopios
über den gothischen Krieg um 545 verfaßt sind, scheint dem
Verfasser
dieses Programms in mehrfacher Beziehung ganz unrichtig. Der Sinn
obiger Stelle ist nach seiner Ansicht vielmehr folgender: "Und
früher
soll dieses Brüllen" (des Vesuv, nebst Aschen-Auswurf sc,)
"binnen
hundert Jahren und darüber (d. i. durchschnittlich Ein Mal
während der
angegebenen Zeit), später aber viel schneller (d. i. mit viel
kürzeren
Zwischenpausen) eingetreten sein"; womit also eine in letzterer Zeit
häufiger gewordene vulkanische Thätigkeit des Vesuv
angedeutet wäre.
12) "Indict. X. Marciano et Festo Coss. (nach Almel. im
Jahre 472)
Vesuvius mons torridus intestinis ignibus aestuans.... Omnem
Europae
faciem minuto contexit pulvere." - Hoff IV. p. 188 glaubt, da von
diesem Ausbruche bei keinem gleichzeitigen Schriftsteller
Erwähnung
geschehe, eine andere Ursache annehmen zu müssen.
13) Prokop, am mehrerwähnten Orte.
14) Euagr. hist. eccles. III. 43. - Malalas Chronogr.
XVI. p.
Oxford. 125. - Die Zeit des Ereignisses, welche von keinem der
beiden
Gewährsmänner näher bezeichnet ist, ergibt sich aus der
in denselben
unmittelbar darauf folgenden Erwähnung eines Aufstandes in
Constantinopel über einen Beisatz, den der Kaiser zum hymnos
Τρισαγιος
machen wollte, was nach den Chroniken von Marcell. und
Victor Tunn. im Jahre 516 geschah. Kedrenos. ed. Paris. p. 360. setzt
den Aufstand - wohl minder genau - in das 22.
Regierungs-Jahr des
Kaisers Anastasios, also 512.
15) "Indict. XI. Magno solo Cos." D. i. nach Almel. i.
J. 518. -
Cf. Schnurr. I. p. 120 - Hoff IV. p. 189. - Zinkeisen I. p.
668.
16) Euagrios, hist. eccles. IV. 8. - Malalas Chronogr.
XVII. p.
Oxford. 141. - Theop. Isaak. p. Paris. 143 seq. - Kedren.
p. Paris.
364. - Zinkeisen I. p. 663. - Hoff IV. p. 190. - Die
Zeit des
Ereignisse, welche von Euagrios nicht näher bezeichnet wird,
berechnet
sich bei Theophanus auf das 4. Jahre vor den, großen Erdbeben von
Antiocheia, für welches das Jahr 526 fest steht. Da nämlich
in der
annalistischen Darstellungsweise dieses Schriftstellers die Ereignisse
eines neu beginnenden Jahres jedes Mal mit der ständigen Formel:
"τουτωι τωι
ετει" eingeleitet werden, und von der
Erwähnung des
Erdbebens zu Durrhachion und Korinthos bis zur Schilderung der
Katastrophe von Antiocheia obgedachte Formel 4mal vorkommt, so ergibt
sich für das erstgedachte Ereigniß, wenn in der Darstellung
kein Jahr
übergangen ist, das Jahr 522. Damit stimmt Kedren. (l. l.)
überein, der
dasselbe im 4, Regierungsjahre Justinians - also gegen Ende 521
oder
Anfang 522 - vorfallen läßt, so wie welcher, nachdem
kurz vorher von
der Einstellung der Olympischen Spiele zu Antiocheia durch Justinian
-
im 13. Ind. Jahre = 520) - die Rede gewesen, mit der ihm
geläufigen,
nicht im strengsten Sinne zu fassenden Uebergangsformel εν
δε τωι,
αυτωι χρονωι
obigen Vorfall erzählt. - Von Prokopios in seiner
späteren, nicht ohne Leidenschaftlichkeit verfaßten Schrift
‚Ανεκδοτα'
(histor. Arcana) c. 18 wird das Unglück zu Korinth, so wie die
nachher
anzuführenden Ereignisse zu Anazarbos und Edessa unrichtig in der
Reihe
der Unglücksfälle aufgeführt, welche Justinians
Regierung ausgezeichnet
haben und die dort gewissermaßen dem bösen Genius dieses
Herrschers
zugeschrieben werden.
17) Vielleicht gehört hieher Lychnidos in Speiros,
dessen
Zerstörung durch Erdbeben in Prokop.
‚Ανεκδοτα'
18. zugleich mit der
von Korinthos erwähnt wird.
18) Senec. nat. quaest. VI. 26. - Plin. hist. nat. II.
80, 82. -
Cf. Forbiger, Handbuch der alten Geographie, Bd. I, 639.
19) Eugr. l. l. ohne nähere Zeitangabe. - Theoph.
Isaak. ed. Paris.
P. 146, bei welchem diese Begebenheit in dem Jahre vor der
Zerstörung
Antiocheias ihren Platz hat. - Kedren. ed. Paris. P. 365, welcher
als
Zeitpunkt d. 7. Reg. Jahr Justins - 524/525 nennt. -
Malalas l. l.,
nach dessen Darstellung der Unfall von Anazarbos in die Zwischenzeit
von der Verwüstung Dyrrhachions bis zu der von Korinth fiel.
- Hoff IV.
p. 190. - Die einzeln stehende Nachricht bei Kedrenos 1.1.,
daß im
selben Jahre auch Constantinopel durch ein furchtbares
Erdbeben an verschiedenen Stellen beschädigt worden
sei,
bietet, zumal bei einem den Begebenheiten so ferne stehenden
Schriftsteller, zu wenig sichere Gewähr.
20) Die sub. 16) und 19) angeführten Quellen nebst
Prokop de
aedific. II, 7. - Die Angabe bei Forbiger, Handbuch d. alten
Geograph,
Theil II. p. 629, daß Edessa unter Justinian I. durch ein
Erdbeben
zerstört worden sei, ist demnach irrig. - Von Anazarbos
übrigens wie
von Edessa wird berichtet, daß sie durch reiche Spenden des
Kaisers aus
ihren Trümmern wieder erstanden seien und fortan ihm zu Ehren den
Namen
Justinopolis geführt hätten. Um die letztere Stadt machte
sich auch
Kaiser Justinian durch großartige Nutzbauten zur Vorsorge gegen
ähnliche Unfälle verdient. Prokop, a. a. O.
21) Prokop. Pers. I. 17.
22) Euagr. hist. eccles. IV. 5. - Theop. Isaak. Chron.
ed. P. p.
147. - Malalas Chronogr. XVII. p. Oxf. 140. - Kedren. p.
Par. 365.
23) Vielleicht waren sie durch Vulkanismus entstanden, da sie
nach
Kedrenos l. l. mit Erderschütterungen verbunden waren.
24) Ueber die Zeit stimmen alle Angaben überein: "
7 Jahre 10
Monate nach dem Regierungs-Antritte Justinians' (letzterer war
nach dem
Chron. Alex. 9. Juli 518 erfolgt) berichtet Euagr. " Im 4. Jahre
v.
Ind. Cyclus, unter dem Consulate des Olybrius" (nach Alm. = 526),
Marcell. Theop. und Malalas.
25) " Totam Antiochiam repens inter prandendum terrae
motus
invasit" Marcell. - Vergl. Prokop. Pers. II. 14:
"Σειμος
εξαισιος
λιαν
την τε πολιν
κατεσεισε
πασαν και των
οικοδομηματων
τα τε
πλειστα και
καλλιστας
ος το
εδαφος
ευθυς
ηνεγκε' aus welcher Stelle
erhellt, daß
gleich der erste, gewaltige Stoß die Stadt in Trümmer warf.
26) Prokop. Persic. II. 14. und
‚Ανεκδοτα'
cap. 18 - Euagr. IV. 5.
- Marcell. Com. ad ann. laud. - Theoph. Ls. Chron. ed.
Paris. P. 147. -
Malalas Chronogr. VIII. p. Oxf. 142 seqq. - Nikeph. Kall. XVIII.
3. -
Kedren. p. Par. 385. - Anastas. hist. eccles. ed. Bonn. P. 93.
- Cf.
Gibbon VII. p. 376 der Leipziger Ausgabe. - Hoff IV. p. 190.
- Schnurr.
I. p. 120.
27) Euagr. l. l.
28) Euagr. sagt einfach "οις (sc.
βρασμωι και
σεισμωι) και
πυρ
ειπετο." Bestimmter
Marcellinus:....sinistris mox ventis undique
flantibus flammasquecoquinarum, pro tempore aestuantes (denn das
Erdbeben war " inter prandendum" eingetreten),
ruentia in
aedificia miscentibus, duplex torridumque exitium importavit (terrae
motus)"
29) Es wurde diese Erscheinung unter andern bei dem
großen Erdbeben
zu Lissabon (1 November 1755), desgeleichen bei demjenigen, welches i.
J. 1822 Syrien verheerte, beobachtet. R. f. d. Artikel in Ersch und
Gruber.
30) Prokop. Pers. II. 14. gibt die Zahl der Umgekommenen nach
einem
unverbürgten Gerüchte sogar auf 300.000 auf. Das
Erdbeben-Unglück zu
Antiocheia ist, was intensive Kraft und Größe des
Menschenverlustes
betrifft - selbst wenn obige Zahlen um das Doppelte, ja um das
Drei-
und Fünffache zu hoch gegriffen sein sollten - das
stärksten, welches,
so viel der Verfasser weiß, die Geschichte aller Zeiten kennt.
Bei den
größten Erdbeben des Alterthums, welches im Jahre 17 v. Chr.
in Einer
Nacht 12 der blühensten Städte Vorasiens niederstürzte
(Tacit. ab. exc.
div. Aug. IIb. II. 47. - Strabon XII.) findet sich wäre, von
den
Schriftstellern nicht mit Stillschweigen übergangen worden sein.
Bei
dem Erdbeben zu Lissabon betrug die Zahl der Verunglückten nicht
über
30.000.
31) "Selten vergeht ein, wenigstens bedeutendes
Erdbeben mit einem
einzigen Stoße, sondern oft Monate, ja selbst Jahre hindurch
wiederholen sich die Bebungen des Bodens mit mehr oder weniger
großen
Stärke." Aus dem oben erwähnten Artikel in Ersch u. Gruber p.
266 b.
32) Theoph. und Malal. a. a. O.
33) Theop. l. l. - Kedren. p. P. 366 - Cf. auch
Euagr. l. l.
34) Die Zerstörung beider Städte in dieser Zeit
berichtet Malalas
XVII. p. Oxf. 145; die Zerschüttung Seleukia's findet sich
auch erwähnt
bei Prokop. Ανεκδ. 18, jedoch ohne
nähere Zeitangabe, als daß sie in
der Regierungszeit Justinians (527 - 565) vorgefallen. Da dem
Malalas,
wie er etwas weiter unten (p. Oxf. 177) erwähnt, die Acta publica
der
Stadt Antiocheia (τα ακτα
της αυτης
πολεως) zur Hand waren, so
erscheint sein Zeugnis, so viel Irrthümer auch sonst in seiner
Chronographie vorkommen, wenigstens für obigen Fall, so wie
für das
gleich nachher zu erwähnende Ereignis zu Laodikeia, auch in seiner
Vereinzelung hinlänglich gesichert. Aus der Stelle bei Prokopios,
wo
Seleukeia als eine Nachbarstadt (εκ
γειτονων
οικειται) von Antiocheia
bezeichnet wird, erhellt auch, daß unter mehreren Städten
dieses Namens
nur die oben erwähnte gemeint sein kann.
35) Euagr. IV. 6. - Theophan. p. Par. 151. -
Malalas XVIII. p. Oxf.
176. - Kedren. p. P. 367. - Anastas. hist. eccles. ed.
Bonn. P. 94. -
Cf. Schnurr. I. p. 121 - Hoff IV. p. 190. - Auch hier
stimmen die
Zeitangaben bei sämmtlichen Berichtstattern überein: "
Dreißig Monate
nach dem vorigen Erdbeben." Euagr. " Im 7 Indict. Jahre, das am 1
Septbr. Regierungs-Jahre Justinians." Malalas und Kedren. Von Schnurr.
l. l. wird es irrig auf den 18. Novbr. gesetzt. Von Weigel, welcher
außer dem obigen keines der großen Erdbeben erwähnt,
wird dasselbe p.
272 richtig im Jahre 528 aufgeführt.
36) Donnerähnliche Detonationen wurden, auch nach
neueren
Beobachtungen in den meisten Erdbeben wahrgenommen. Cf.
Ersch und Gruber im angeführten Artikel p. 265 a.
37) Malalas a. a. O. Nach Weigel l. l. kamen 8870 Menschen um
(?).
38) Chron. XVIII. p. Oxf. 193: " Im 4. Regierungsjahr
des Kaisers
Justinian, unter dem Consulate des Lampadius u. Orestes (nach Almel.
-
580).
39) Chron. XVIII. p. Oxf. 220 " Unter dem dritten
Consulate
Justinians (nach Almel. = 583).
40) Theoph. Chronogr. p. Par. 183. - Malalas Chronogr.
XVIII. p.
Oxf. 108. - Anastas. hist. eccles. Bonn. Ausg. p. 101. -
Kedren. p.
Par. 366. - Seltsamer Weise wird aber von allen drei
Schriftstellern,
die auch sonst den Vorfall in ganz übereinstimmender Weise
erzählen,
Pompejopolis eine Stadt Mysiens genannt; nun ist aber eine mysische
Stadt dieses Namens aus anderweitigen Quellen nicht bekannt, eine
Schwierigkeit, welche von älteren und neueren Erklärern des
Theophanes
und Malalas mit Stillschweigen übergangen wird. Einen Fehler in
den
Handschriften anzunehmen, geht bei der Uebereinstimmung der drei
Schriftsteller nicht an. Der Verstoß scheint vielmehr schon in
den
Quellen vorgekommen zu sein, aus welchen dieselben gemeinschaftlich
-
oder wenigstens Theophanes, als der ältere von ihnen, den
vielleicht
die beiden jüngere benützten - geschöpft haben.
Nun kennt aber das
Alterthum nur zwei Städte dieses Namens; außer dem oben im
Texte
erwähnten paphlagonischen noch das kilikische Pompejopolis, das
früher
Soloi. An die letztere Stadt hier zu denken, läge freilich nahe,
da
dieselbe im Erschütterungskreise der letzten Erdbeben von 525
- 528
lag, und Malalas dies Erdbeben von Pompejopolis in das Jahr 528, kurz
vor den Ausbruch des neuen Erdbebens von Antiocheia, setzt. Allein der
Antiocheier Malalas mußte doch wissen, daß diese
Nachbarstadt nicht in
Mysien lag. So bleibt also nur Pompejopolis in Paphlagonien übrig,
einer Provinz, die den Alten ohnehin
verhältnißmäßig wenig bekannt war
(Forb. II. p. 405). Daß aber die Stadt damals noch bestand,
erhellt aus
der Novella 24. cap. 1. - Vorstehende Annahme wird noch
unterstützt
durch den Umstand, daß auch das benachbarte Amaseia nebst
Umgegend -
vielleicht in jener Zeit - durch Erdbeben litt, und die Stadt
Neokaisareia im Pontos, etwa um einen Längengrad östlich von
Amaseia
unter gleicher Breite mit diesem und Pompejopolis gelegen, etwas
früher
(um 503) gleichfalls verschüttet worden war (Theop. Chr. p. Par.
124),
somit Erdschütterungen in dieser Gegend nicht ohne Beispiele
waren.
Ueber die Zeitangabe des Ereignisse weichen die Schriftseller
beträchtlich ab. Nach Theophan. l. l., wo für das folgende
Jahr der Tod
des Bischofs Epiphanios († im 10. Regierungsjahr Justinians)
erwähnt
wird, muß dasselbe im 9. Regierungsjahr Justinians (= 535/36)
vorgefallen sein; Anastas. setzt es in das 8. Regierungsjahr dieses
Kaisers, Kedrenos aber, vielleicht durch Verwechslung, in das 9.
Regierungsjahr Justins, kurz vor dessen Tod (= 527). Von des Malalas
Zeitbestimmung war oben die Rede. Der Verfasser glaubte der Angabe des
genaueren Theophanus folgen zu müssen. Bei Hoff IV. p. 191 und
Schnurrer I. p. 125 erscheint es in das Jahr 534 gesetzt.
41) Malalas XVIII. p. Oxf. 183. - Prokop.
‚Ανεκδ' cap. 18. Aus dem
Letzten erhellt nur, daß das Begebnis in der Regierungszeit
Justinians
vorfiel. Malalas erwähnt es zwar zum 3. Regierungsjahre dieses
Kaisers
(= 529); allein wenn obige Annahme, daß das paphlagonische
Pompejopolis
535/536 durch Erdbeben zerstört worden sei, einen hohen Grad von
Wahrscheinlichkeit hat, so dürfte das Ereignis von Amaseia mit
gleicher
Wahrscheinlichkeit ungefähr in dieselbe Zeit zu setzen sein, um so
mehr, als sich nirgends Andeutungen finden, daß die
Erschütterungen von
525 -29 auch über den Nordost von Kleinasien sich ausgedehnt
haben.
42) Prokop. Gotth. II. 3. Fas Ereignis fällt in das 3.
Jahr des
Griechisch-Ostgothischen Krieges, wie aus dem Schlusse des cap. 12.
erhellt. - Ueber einen stärkeren Vesuv-Ausbruch, der nach
Schnurrer 1.
P. 125 im Jahre 538 vorgefallen sein soll, hat der Verfasser in den
Quellen nirgends Nachrichten gefunden.
43) Theop. Chronogr. p. P. 188. "Im 5 Ind. Jahre."
44) Theop. p. P. 189. - Malal. XVIII. p. Oxf. 225.
- Kedren. p. P.
374. - Anastas. hist. eccles. P. 103. - Histor. miscella
XVI. in Murat.
I. 1. P. 108. - Hoff IV. p. 191. - Schnurrer I. p. 125 und
128. - Die
griechischen Quellen haben übereinstimmend das 7. Ind. Jahr,
welches
mit 1 Septbr. 543 begann. - Schnurrer führt die
Zerschüttung von
Kyzilos als ein von dem weitverbreiteten Erdbeben des Jahres 543
unabhängiges Ereignis zum Jahre 541 an.
45) Vitae Patrum cap. VI. (de Sto Gallo episcopo) n. 6., zwar
ohne
nähere Zeitangabe, als sub ejus (Sti Galli) tempore, d. i. zw. 527
-554; da aber gleich darauf die lues inguinaria erwähnt
wird, welche 8
Jahre vor dem Tode des hl. Gallus im benachbarten Gebiete von Arelate
ausbrach, so scheint der Zeitpunkt jenes Erdbeben dem Jahre 543 nicht
sehr ferne zu liegen.
46) Wahrscheinlich identisch mit Aphrodisias in Thrakien,
unfern de
Küste.
47) Theophan. p. Par. 190., wozu die Note von Goar in der
Bonner
Ausgabe. - Anastas. hist. eccles. P. 103. - Historia
miscell. XVI. bei
Murat. P. 108. - Kedrenos p. Par. 375. - Uebereinstimmend
überall als
Zeitangabe das 18. Reg. Jahr Justinians. Bei Theophanes erscheint es in
dem Jahre, welches der vorgenommenen Abänderung in der Zeit des
Oster-Festes (im 19. Reg. Jahre dieses Kaisers) unmittelbar vorausging.
- Vielleicht ist auch die Nachricht bei Malalas p. Oxf. 224 von
der
gerüchtsweise vernommene Ueberfluthung mehrerer Städte, auf
dieses
Ereignis zu beziehe.
48) Theop. p. P. 190. - Anastas. hist. eccles. P. 103.
- Histor.
miscell. P. 109. - Kedren. p. Par. 375. - Hoff. IV. p. 191.
- Schnurrer
1. P. 128. - Als Zeit des Ereignisses ergibt sich bei Prokop. das
18.
Jahr des gothischen Krieges (der 535 begonnen hatte); ganz im Einklange
damit stehen die bezüglichen Angaben der Uebrigen: "im 10.
Ind. Jahre"
oder "im 21. Reg. Jahre Justinians." Nur bei Theophan. sind diese
Erdbebenstöße im Todesjahre Theodora's
aufgeführt, welche nach Prokop.
Gotth. III. 30. Im Laufe des 22. Reg. Jahres von Justinian, im 14.
Jahre des gothischen Krieges, starb. Irrig erscheinen sie bei
Schnurrer, wie auch die unregelmäßige Nil-Ueberschwemmung in
d. Jahr
545 vergerückt und ein anderes Erdbeben zu Constantinopel in d.
Jahr
546 gesetzt.
50)
"'Εγένοντο
σεισμοι
συεχεις" berichten
Malalas und Theophan.
51) L. i. und Ανέκδ. 18.
52) Ανέκδ. 18., wo die
Unglücksfälle der Reg. Zeit Justinians
aufgezählt werden; ausführlicher de aedificiis V. 5.
53) In ein früheres Jahr möchte dieselbe wohl nicht
gehören, da sie
in der erstgenannten Stelle bei Prokop., bei der Aufzählung der
großen
Ueberschwemmungen unter Justinian, unmittelbar nach jener
Nil-Ueberschwemmung ihren Platz hat, und anzunehmen ist, daß der
Schriftsteller die Chronologische Ordnung eingehalten hat.
54) Agathias II. cap. 15. - Euagr. hist. eccles. IV.
34. - Auct.
itinerarii Antonini martyris von Valesius zu Euagr. l. 1. citirt
-
Theoph. ed. Par. pag. 192. - Malal. XVIII. p. Oxf. 229. -
Kedren. p.
Par. 376. - Cf. Gibbon VII. p. 375. Seq. - Hoff IV. p. 191.
Seq. -
Schnurr. I. p. 130. -
Die chronologische Feststellung dieses Ereignisses ist nicht
ohne
Schwierigkeiten, insbesondere ist durch Schnurrer und Hoff große
Verwirrung in die Sache gebracht worden.
Aus Agathias und Euagrios, welch der Begebenheit am
nächsten
stehen, ist eine genauere Zeitbestimmung nicht zu ermitteln. Der
Letztere berührt dieselbe nur gelegentlich ohne Zeitangabe; bei dem
Ersteren geht unmittelbar voraus die Schilderung der Erbstreitigkeiten
zwischen den fränkischen Königen Childebert und Chlotar, von
denen Letzterer einig Zeit darauf durch den Tod des Ersten alleinige Herr der
gesammten Frankreichs geworden sei (558 nach Luden, Geschichte der
Deutschen III. p. 184). Daran wird mit der sehr unbestimmten
Uebergangsformel "ύπο δε
τον αυτον
χρονον" die Beschreibung des obigen
Erdbebens geknüpft. Nach Beendigung derselben folgt der Anfang des
Krieges über die kaukasischen Lazier (549). Daraus ergiebt sich
nur das negative Resultat, daß das Ereignis nicht vor 549 und nicht nach
558, vielmehr einige Zeit vor dem letzten Jahre vorgefallen sein wird.
- Theophan. l. l. sagt:....."Im Monate April im 4. Ind. Jahre, ward
Narses nach Rom gesendet, οφειλων
πολεμησαι
τοις
Γοτθοις
τοις
παραλαßουσι
την
Ρωμην κ. τ. λ.....Am 9. aber
des Monats Juli sc. Und nun folgt die
Schilderung des in Frage stehenden Erdbebens. Hier findet sich also,
was einen viel sicheren Anhaltspunkt gewährt, als Zifferangaben,
die bekanntlich vielfachen Verderbnisse ausgelegt sind, eine gleichzeitige
Thatsache angemerkt. Nun wurde nach Prokop. Gotth. IV. 21. Narses mit
der Führung des Krieges wider die Ostgothen betraut im 17. Jahre
des Krieges, d. i. 551; seine Ankunft in Italien aber erfolgte erst im
Frühlinge des folgenden Jahres, da die Zwischenzeit durch umfassende
Rüstungen in Anspruch genommen worden war. (Prokop. Gotth. IV.
26). Hatte also Theoph. in der obigen Stelle nicht die wirklich erfolgte
Ankunft des Narses sondern, wie aus der ganzen Fassung der Stelle
hervorgeht, dessen Erneuung zum Oberbefehlshaber im Sinne, so ergibt
sich als Zeit jenes Erdbebens das Jahr 551. Daß hiebei die Angabe
der
4. Indiction bei Theophan. einen offenbaren Irrthum enthält, geht,
obwohl die Herausgeber nichts erwähnen, schon aus dem Umstande
hervor,
daß im darauffolgenden Abschnitte die 15. Indiction
aufgeführt ist;
offenbar ist daher statt
‚ινδικτιωνος
δ' zu lesen ινδικτ.
ιδ., d. i. in
der 14. Indiction, was auch mit dem beigefügten Factum
übereinstimmt,
da die 14. Indiction bekanntlich die Zeit vom 1. Septbr. 550 bis 1.
Septbr. 551 umfaßte. Diese Conjectur erhält eine weitere
Bestätigung
durch Malalas, welcher das fragliche Erdbeben ausdrücklich in die
14.
Indiction setzt. - - Auch Kedrenos führt das Erdbeben
im selben Jahre
auf, in welchem Narses zur Wieder-Eroberung Roms entsendet wurde, setzt
aber die eine wie die andere Thatsache irrig in das 24. Reg. Jahr
Justinians (550). - Zu dem von Theophan, angesetzte Datum (9.
Juli)
stimmt im Allgemeinen auch die Angabe des Agathias:
"θερους
ωραι
(vigente aestate)."
Mit obigen Quellen im entschiedensten Widerspruche wird von
Hoff
IV. p. 191 ein weit verbreitetes Erdbeben in Mesopotamien,
Arabien, Syrien sc. Nebst dem Ereignisse bei Botrys im Jahre 550 oder
551, von Schnurrer I. p. 130 im Jahre 550 aufgeführt; die
Katastrophe
von Berytos aber als ein davon unabhängiges Begebnis aufgestellt
und
von Ersterem (IV. p. 192) auf den 19. August 555, vom Letzterem (l. l.)
in das Jahr 553 verlegt.
55) "Το
Φοινικων
τεως
εγκαλλωπισμα"
Agath.
56) Schon im 3. Jahrh. Christl. Zeitrechn. mit denen zu Rom
und
Constantinopel wetteifernd. Cf. Heinecc. Antiquit. Roman. Jurisprud.
Illustrantium syntagma. Prooem. XLV. - Ueber ihr hohes Anstehen
s. n.
Gibbon VII. p. 376 und Heinecc. lib. Tit. XXV. c. 22.
57) Heinecc. Am letztgenannten Orte.
58) Pag. Paris. 53.
59) Cf. Forbiger, handbuch d. alt. Geogr. Bd. II. p. 94.
60) IV, 25. - Unter Bezugnahme auf Prokop. auch
erwähnt bei Euagr.
hist. eccles. IV. LS. - Cf. Hoff IV p. 191. - Schnurr. I.
p. 129. -
Zinkeisen I. Theil, p. 673.
Das Jahr der Begebenheit war nach Prokop, das 17, (noch
laufende)
des gothischen Krieges, somit 551 (wie auch richtig Zinkeis., wogegen
Schnurr. das Jahr 550, Hoff 552 hat). Nähere Zeitangaben aber
fehlen.
Nicht einmal so viel steht fest, ob die beiden großen
Erdbeben-Erscheinungen dieses Jahres gleichzeitig oder zu verschiedenen
Zeiten eintraten, und welche letzteren Falles der anderen vorzeitig
war. Denn eigenthümlicher Weise findet sich bei Prokop., ebenso
wenig
das Erdbeben dieses Jahres in Asien und Africa berührt, als in den
Gewährsmännern dieses letzteren das von Prokopios
geschilderte
hellenische Erdbeben erwähnt wird. Euagrios allein gedenkt beider,
jedoch in einer Weise, daß hieraus ein Schluß über das
chronologische
Verhältniß des einen zu dem anderen nicht gezogen werden
kann. Daß
beide gleichzeitig gewesen seien, möchte aus dem Grunde nicht
anzunehmen sein, weil das Ereigniß in diesem Falle zu auffallend
gewesen wäre, als daß es nicht wenigstens von dem einen oder
dem andern
der Berichterstatter erwähnt worden wäre. Da aber das
Erdbeben in
Hellas von Prokop. in der Reihenfolge der Begebnisse des 17.
Kriegsjahres ganz zuletzt angeführt wird, so dürfte die
Annahme nicht
unwahrscheinlich sein, daß dasselbe gegen das Ende jenes Jahres,
etwa
in Spät-Herbste, - einer für diese Naturereignisse nach
der Beobachtung
der Alten (Plin. Hist. natur. II. 80. 82. Cf Forbiger, Handbuch sc. I.
Th. p. 640) besonders günstigen Jahreszeit - Statt gefunden
habe.
61) Nach Zinkeisen l. l. möchte die von Prokop,
('Ανεκδ. Cap. 18.)
vereinzelt und ohne Beifügung von näheren Umständen
aufgeführte
Zerstörung der epeirotischen Stadt Lychnidos durch ein Erdbeben
ebenfalls in diese Zeit zu setzen sein. Da jedoch in den Quellen keine
Andeutungen sich finden lassen, daß das im Texte erwähnte
Erdbeben sich
über den Nordwest der Hämus-Halbinsel erstreckt habe, so
glaubte der
Verfasser die Verschüttung von Lychnides mit größerer
Wahrscheinlichkeit in das Jahr 522 setzen zu dürfen. (Cf. oben p.
9
not. 17).
62) Theoph, p. ed. Paris. 194. - Malal. Chronogr.
XVIII. p. Oxf.
231. (In beiden wird als Zeit des Ereignisses der August - bei
Theoph.
noch näher der 15. - im 2. Jahre des Ind.-Cyclus, d. i. 554
angegeben.)
- Kedren. p. Par. 384 seq.. (welcher dasselbe auf den 15 August
im 27.
Reg.-Jahre Justinians, d. i. 553 setzt). - Anastas. hist. eccles.
P.
105 der Bonner Ausgabe. - Hist. miscell. XVI. in Murat. I. 1. P.
109.
(Letztere Beiden geben gleichfalls das 27. Reg.-Jahr Justinians an).
-
Das von Victor Tunnun. ad ann. XII. post Cons. Basilii (=
538)
unter ähnlichen Nebenumständen angeführte Erdbeben zu
Constantinopel
ist wahrscheinlich als dasselbe Ereigniß anzusehen. Dagegen
dürfte
keineswegs die von Agathias II. 15 erwähnte Erderschütterung
zu
Constantinopel, wie Goar (annott. zu Theoph., ed. Bonn. P. 452) glaubt,
mit dem in Frage stehenden 40-tägigen Erdbeben dortselbst zu
identificiren sein, da jene von Agathias als gleichzeitig mit der
Katastrophe von Berytos bezeichnet wird, wofür das Jahr 551
feststeht.
- Schnurr. I. p. 130. führt es mit dem von Berytos
gleichzeitig zum
Jahre 553 an.
63) Theop. l. l. ("im 3 Ind. Jahre"). - Kedrenos
l. l. (wieder um
ein Jahr abweichend "im 28. Regierungs-Jahre Justinians") -
Anastas.
hist. eccles. l. l. - Histor. Miscell. in Murat. I. 1. p. 109.
64) Theop. p. Par. 195 seq. - Malal. Chron. XVIII. p.
Oxf. 233 ("Im
5. Ind. Jahre" = 557).
65) Agath. V. 3. - Theop. p. Par. 195 seq. -
Malal. XVIII. p. Oxf.
333 - Anastas. hist. eccles. ed. Bonn. p. 106. - Histor.
miscell. XVI.
in Murat. I. 1. p. 109. - Kedren. pag. ed. Par. 385 seq. -
Cf.
Schnurrer I. p. 131. - Hoff IV. p. 193. - Weigel, II. p.
380. - Die von
beiden Letzteren gegeben Notiz, daß im selben Jahre (557) auch zu
Rom
Erdbeben Statt fanden, und zwar, wie Hoff anführt, am 6. October
und
11. Dezember, hat der Verfasser in den von ihm benützten Quellen
nicht
forgefunden.
Daß das bei Agathias l. l. ausführlich
geschilderte Erdbeben
dasselbe Ereignis ist, von welchem die obigen Berichtstatter zu dem
gedachten Jahre sprechen, ergibt sich, wiewohl jener eine nähere
Zeitbestimmung nicht hat, aufs Bestimmteste aus mehreren
übereinstimmen
mit den Uebrigen bei ihm angeführten Einzelheiten, wie namentlich
aus
der Erwähnung des im nächsten Frühlinge darauf erfolgten
Wiederausbruches der große Pest.
66) Als Jahr der Begebenheit wird von Theoph. und Malal. das
Ind.
Jahr angegeben, welches seit 1. September 557 lief. Damit stimmt die,
wie oben bemerkt, von Agathias gegebene Nachricht, daß im
darauffolgenden Frühling Constantinopel neuerdings von der Pest
heimgesucht worden sei, vollkommen überein, da für diesen
Pestausbruch
das Jahr 558 feststeht. Unrichtig erscheint bei Malal. (Bonn. Ausgabe
p. 676) das Erdbeben in das 32. Reg.-Jahr Justinians gesetzt, da seit
1. August 557 erst das 31. Jahr seiner Alleinherrschaft begonnen hatte,
welches Kedrenos, Anastas. und der Verfasser der hist. misc. richtig
angeben - Schnurrer setzt es aus unbekannten Gründen bald
nach 557.
67) Die zehntägige Dauer findet sich bei allen
Berichterstattern
angemerkt; nur Agathias sagt allgemein: "και
εφαξης επι
πλειστας
ημερας
κινησις της
γης
εγιγνετο."
68) Agath. V, 9 (p. Par. 152). - Theoph. p. Par. t07.
- Malal. p.
Oxf. 235. - Kedren. p. P. 386.
69) Von der außerordentlichen Heftigkeit dieses
Naturereignisses
hat uns Agathias, der Augenzeuge desselben, auffallende Einzelheiten
aufbewahrt. In einigen Häusern ging durch die Gewalt der
Stöße mit
Einem Male das Dach aus den Fugen, daß Himmel und Sterne durch
den Riß
sichtbar wurden, und im nächsten Momente schloß sich die
Oeffnnng
wieder, (So unglaublich dies klingt, so wurden doch nach Pausan., ed.
Xylandr. VII p. 231 ähnliche Erscheinungen auch bei anderen
Erdbeben
beobachtet). In anderen wurden steinerne Säulen von oberen
Geschoßen
mit furchtbarer Gewalt wie aus Wurfmaschinen über die
nächsten Häuser
hinweg auf entfernter stehende Gebäude geschleudert, wo sie im
Niedersturze Alles zertrümmerten.
70) Theophan. p. P. 197 ("im 9. Ind. Jahre," welches am
11
September 560 begönnen hatte). Schnurr, I. p. 135 führt ohne
Angabe von
Quellen um 560 oder 561 ein Erdbeben an, durch welches Berytos, Kos,
Tripolis, sc, erschüttert worden seien.
71) Marii Aventicensis chronicon ad ann. 563. - Gregor.
Turon.
hist. Franc. IV. 31.
72) Cf. Theophan. p. Par. 171. - Kedren. edit Paris. P.
371. -
Gibbon VII. p. 371. Nota 74. - Schnurr. I. p. 131.
Ueber das Jahr stimmen die drei genannten griechischen
Schriftsteller überein. Theop. nennt wie Prokop. das 10. Reg.-Jahr
Justinians; Kedrenos hat zwar keine Zahlangabe; aber aus der
unmittelbar vorhergehenden Erwähnung des Umstandes, daß
Salomon den
Oberbefehl in Karthago als Belisar's Nachfolger führte, was
auch in der
Erzählung bei Prokop. unmittelbar voransteht, ergibt sich,
daß Kedrenos
dasselbe Jahr wie dieser im Sinnen hat. Gibbon und Schnurrer sind daher
im Irrthume, wenn Ersterer bemerkt, daß Theophan. in der
Zeitangabe von
Prokop. abweiche, und Letzterer dasselbe in das Jahr 531
zurücksetzt.
73) Trebellius Pollio. vit. Gallien. II. 5.
74) Weigel, II. ad ann. laud.
75) Außer den oben angeführten Quellen cf. Chalin
in Dalechamp. de
peste libr. III. Ed. Lugd. P. 15. "Coeium ingravescit; aër
impurus
sentitur; nubes crassae ac multae luminibus coeli obstruunt; immundus
ac ignavus tepor hominum emollit corpora; exoriens sol pallescit."
(cit. V. Hecker).
76) Cf. Hecker: "Der schwarze Tod." p. 15 - 25.
77) Derselbe ibid.
78) Albert. Argent, bei Urstis., Germ. Historici illustres,
Tom.
II. p. 147.
79) Theophan. p. P. 195. - Malal. XVIII. p. Oxf. 233.
- Anastas.
hist. eccles. Bonn. Ausgabe p. 106. - Kedren. p. Par. 385.
80) Theoph. p. P. 201, 203. - Malal. XVIII. p. Oxf.
289.
81) Chronic. Alexandr. - Theoph. p. Par. 142. -
Malal. XVII. p.
Oxf. 132. - Kedren. p. Par. 364. - Cf. Schnurr. I. p. 120.
82) Theoph. p. Par. 134 ("im September des 9. Ind.
Jahr.") -
Malalas XVIII. p. Oxf. 190 ("unt. d. Consuln Lampad. und Orest.")
-
Kedren. p. Paris. 369 ("im 4. Reg.-Jahre Justinians"); somit nach
übereinstimmenden Angaben i. J. 530. - Schnurr. I. p. 124.
Von Kedrenos p. Par. 365 wird zwar zwischen diesen beiden
noch ein
anderer Komet erwähnt, der im 7. Reg.-Jahre Justinians (=524)
erscheinen und 26 Tage und Nächte sichtbar gewesen sei. Bei den
Schweigen der übrigen Schriftsteller jedoch, die eine so
bedeutende
Himmels-Erscheinung schwerlich unerwähnt gelassen hätten,
erscheint die
Angabe dieses der Begebenheit so ferne stehenden Schriftstellers von
geringe Gewichte.
83) Persic. II. cap. 3 sub fin. u. cap. 4. init.
Da Prokop. des Kometen von 530 nicht gedenkt, und anderseits
Theophanes, Malalas und Kedrenos den von Prokop. zum Jahre 539
angeführten nicht zu kennen scheinen, glauben Chilmead (Anmerk. zu
Malal. l. l. in der Bonner Ausgabe p. 652) und Gibbon (VII p. 371
seqq.) beide Kometen für identisch erachten zu müssen, wobei
jedoch
Ersterer der Zeitangabe des Prokopios folgt, Letzterer die des
Theophanes für richtiger zu halten scheint. Dem Verfasser scheint
jedoch dieses Verfahren, theils im Hinblick auf das ganz ähnliche
Verhältniß in den Berichten über die beiden Kometen von
580 und 539
beträchtliche Abweichungen bezüglich der einzelne
Umstände vorkommen.
Uebrigens hält Gibbon, auf d'Alembert gestützt, diesen
Kometen für
denselben, dessen nächstvorhergegangene (vierte) Erscheinung im
Todesjahre Cäsar's (44 n. Chr.) und dessen
nächstfolgende (sechste) im
Jahre 1106 Statt gefunden habe, und setzt daher - von Theoph.
abweichend - zur Erzielung einer gleichen Differenz, die zeit
seiner
damaligen Erscheinung in das Jahr 531. - Ebenso Schnurrer l. l.
84) Theoph. p. P. 159. - Malal. p. Oxf. 219. -
Kedren. p. P. 369. -
Die Schilderung desselben lautet ziemlich übereinstimmend bei
allen
Drein, also: Αστερων
γεγονε
δρομος
πολυς απο
εσπερας
εως
αυγους (d. i.
die ganze Nacht hindurch) ωστε
παντας
εκπληττεσθαι
και λεγειν,
οτι οι
αστερες
πιπτουσιν,
και ουκ
οιδαμεν
ποτε
τοιουτο
πραγμα
85) Par. p. 386.
86) Welchen Abgrund menschlichen Elends jene
Unglücklichen damals
zu durchmessen hatten, lehren die ausführlichen Schilderungen des
Prokopios über die Belagerungen von Pappna in Numidien i. J.
533/534
(Vandal. II. 3 - 4), von Rom i. d. J. 537 und 546 (Gotth. II. 2,
3 -
III. 16, 17), von Placentia i. J. 546 (Gotth. III. 16), von Urbs velus
in Tuscien i. J. 538 (Gotth. II. 20). Kam es doch in Placentia so weit,
daß der wüthende Hunger sogar den Abscheu vor dem Fleische
der eigenen
Mitbrüder zu überwinden lehrte.
87) Gotth. II. 20. - Cf. Schnurr. I. p. 123. -
Weigel II. ad ann.
538.
88) Sie lag, wie aus Prokop. Gotth. I. 13 und III. 13
ersichtlich
ist, zwischen dem Padus und der Nordgränze von Tuscien; ihr
Hauptort
war Placentia.
89) Fürwahr eine kaum glaubliche Menge; aber wenn das
Gerücht die
wahre Zahl jener Opfer auch um die Hälfte, ja uni das
Fünffache
übertrieben hätte, so bliebe der Rest noch immer ein
sprechender Beweis
für die Thatsache, daß das Elend damals die
gewöhnlichen Gränzen
solcher Unglücksfälle bei Weitem überstiegen haben
muß.
90) "Εκτος
κολπου του
Ιονιου" drückt sich Prokop.
aus. Der Ionische
Meerbusen ist aber nach der damals üblichen Benennung - wie
sich aus
unseren Schriftsteller (Gotth. I. 13) ergibt - der Theil des
adriatischen Meeres von Hydrus (Hydruntum in Calabrien) bis Ravenna,
beide Städte mitbegriffen; Hydrus heißt ihm daher
"τουτου
του κολπου
εντος
πολισμα
πρωτον."
91) Gotth. II. 3.
92) Theoph. p. Par. P. 190; beziehungsw. Malal. p. Oxf. 283.
93) Gregor. Tur. hist. Franc. VI. 44.
94) Paul Diac. de gest. Langob. IV. 2. - Cf. Weigel,
II, Th. ad. A.
l.
95) Gotth. III. 29.
96) Gotth. IV. 35.
97) Vielleicht gehört zu derselben Klasse von
Erscheinungen auch
der Vorfall, den Gregor. Tur. hist. Franc. X. q. aus einer spätern
Zeit
der großen Pestperiode berichtet. Bei der Schilderung einer
Ueberschwemmung des Tiberstromes nämlich vom Jahre 589, auf welche
der
fruchtbare Pestausbruch von 590 in Rom folgte, fügt er bei:
Multitudo
etiam serpentium in modum trabis validae, per hujus fluvii alveum in
mare descendit; sed suffocatae bestiae per salsos maris turbidi auctus,
litori ejectae sunt.
B. Von der großen
Pest.
Angekündigt durch eine lange Reihe
außerordentlicher
Naturbegebnisse, und nachdem sie gleich anderen großen Epidemien
1 ihre
todtbringende Nähe noch durch eine unmittelbare Vorläuferin
- eine
krankhafte Disposition und vermehrte Sterblichkeit unter den Menschen,
die man seit dem Jahre der Verdunkelung des Sonnenlichts (536)
wahrgenommen 2 - zu erkennen gegeben hatte, trat sie endlich
selbst
hervor, die große Würgerin, und übte ihre Herrschaft in
einer
Ausdehnung, mit einer Kraft und Ausdauer, wovon die Geschichte bis
dahin kein Beispiel kannte und außer der schwarzen Pest bis zur
Stunde
kein zweites aufzuweisen hat.
1.
Beginn.
Gesammtdauer ihres Verlaufes. Culmination und Abnahme in 15
jährigen
Perioden.
Eine genaue Prüfung der vorhandenen Zeugnisse ergibt,
daß das erste
Erscheinen der großen Pest (bei den späteren Schriftstellern
το μεγα
θανατικον genannt) in
Europa im Frühlinge des Jahres 542 - und zwar zu
Constantinopel - erfolgte 3, nachdem sie das Jahr vorher (541) in
Unter-Aegypten, der Stätte ihres ersten Auftretens überhaupt,
gehäufte
4. Indem sie von letzterem Lande aus die Runde beinahe um den ganzen
damals bekannten Länderkreis machte und kein Eiland, keine
bewohnte
Bergspitze, keinen noch so versteckten Winkel verschonte, blieb sie von
dem genannten Zeitpunkte ab, zeitweise abnehmend, dann wieder mit neuer
Wuth aufflammend, aber niemals gänzlich verlöschend, an
sechzig Jahre 5
in den von ihr befallenen Ländern einheimisch. Euagrios, welcher
die
ersten 52 Jahre dieser Pest durchlebte, berichtet (hist. eccl. IV.
29.), daß nach seinen eigenen und seiner Zeitgenossen Erfahrungen
dieses Culminiren und Abnehmen der Seuche in 45jährigen Perioden
oder
Cyklen 6 geschah, (welche - ohne Zweifel von den
gleichjährigen
Indictions-Cykeln - Indictionen [αι
καλουμεναι
επινεμησεις]
genannt
wurden) und zwar in der Weise, daß im zweiten Jahre jeder dieser
Indictionen die Krankheit ihren Culminations-Punkt erreichte. So
durchlebte Euagrios zwar nicht 4 volle Pest-Cyklen, aber 4
Culminationszeiten der Epidemie, theils in seinem Geburtsorte in
Syrien, theils in Antiocheia; in der ersten - um 542 oder 543 7
- ward
er als Knabe, der noch die niedern Schulen besuchte, selbst von ihr
befallen, in der zweiten und dritten verlor er seine Gattin, viele
Kinder und Verwandte nebst zahlreichem Gesinde; die vierte entriß
ihm
zu Antiocheia noch eine Tochter und einen Enkel.
Daß aber das große Sterben in den einzelnen
Ländern, die es
allmählig durchzog, überall vier volle Cyklen angedauert,
läßt sich,
wie der Verfasser nach sorgfältiger Prüfung der Quellen
gefunden hat,
durch sichere Zeugnisse ziemlich allgemein darthun, wenn es auch nicht
möglich ist, überall nachzuweisen, daß das zweite Jahr
jedes Cyklus den
Zeitpunkt der Culmination enthalten habe, was auch schwerlich in der
Wirklichkeit überall genau eingetroffen sein dürfte. Es
erfolgte
nämlich
a) in Constantinopel und wahrscheinlich auf der
Hämus-Halbinsel
überhaupt, so wie in den Ländern des westlichen Asiens, der
zweite
heftige Pestausbruch, nachdem schon ein bis zwei Jahre vorher wieder
vermehrte Krankheitsfälle eingetreten, im Jahre 558 (wovon unten),
also
genau 16 Jahre nach dem ersten heftigen Auftreten der Pest i. J. 542.
Daß sie dort noch eine dritte und vierte Periode durchlief,
läßt sich
aus der obigen Stelle des Euagrios entnehmen, deren Inhalt sicher nicht
auf Syrien allein wird zu beschränken sein. . '
b) In Italien, wo die Pest zum ersten Male 543 einbrach (m.
s. u.),
folglich die zweite Culmination im Jahre 559 hätte eintreffen
müssen,
weißt eine Nachricht 8 einen Ausbruch der Krankheit im Jahre 560
nach,
während von anderer Seite ein sehr verheerendes Auftreten
derselben im
Jahre 565 berichtet wird 9, - in der Mitte der zweiten Indiction
(für
Italien: 558 - 572). Bezüglich einer dritten Indiction (573
- 587) hat
der Verfasser einen Nachweis in den Quellen zwar nicht aufgefunden;
dagegen ist der Eintritt und Verlauf der vierten (588 - 602)
durch den
mörderischen Pestausbruch von 590 in Rom 10, der somit nur Ein
Jahr
nach dem treffenden Culminations-Jahre 589 fiel, ferner durch die
Pest-Verheerungen vom Jahre 594 in Mittel- und Ober-Italien 11, vom
Jahre 599 zu Ravenna und vom Jahre 600 zu Verona und der Umgegend 12
genugsam constatirt.
c) In den Ländern des alten Galliens erfolgte der erste
Pestausbruch - und zwar in den Gegenden an der Rhone-Mündung
- im Jahre
545. Aus der zweiten Indiction (560 - 574) wird, außer
einer starken
Seuche im Jahre 570 13, deren Natur von der Pest wohl verschieden war,
ein furchtbarer Ausbruch der wahren Pest im Jahre 571 berichtet, welche
den mittleren Theil von Gallien, namentlich Stadt und Gebiet der regio
Averna (des heutigen Clermont in der Auvergne) entvölkerte 14. Die
dritte Indiction (575 - 589) gab sich kund durch die
Pestanfälle von
582 zu Narbonne 15 und namentlich von 584 ungefähr in derselben
Gegend
16, und von 587/588 in Marseille und den Gegenden der unteren Rhone 17;
die vierte aber (590 - 606) bezeichnen die erneuten
Ausbrüche derselben
in Marseille und der Umgegend im Jahre 590/591 18, also nahezu in dem
treffenden Culminationsjahre, und vom Jahre 599 in derselben Stadt und
den übrigen Städten der Provence 19.
d) Für den westlichen Theil der Rheinlande, wohin die
Pest im Jahre
546 gleichfalls vorgedrungen war (s. unten), kann mit ziemlicher
Wahrscheinlichkeit wenigstens eine zweite Indiction (die in die Jahre
561 bis 575 fallen mußte) nachgewiesen werden. Nach einer
Nachricht des
hl. Gregor v. Tours (Vitae Patrum, cap. XVII. n. 4.) wurden
nämlich die
umliegenden Lande von Trier zur Zeit des dortigen Bischofs St. Nicetius
von der Bubonen-Pest schwer heimgesucht. Da nun dieser Bischof nach
Ruinart (Note zu Greg. l. l.) im Jahre 566 (wahrscheinlich seinem
Todesjahre) canonisirt ward, unmittelbar vorher aber (n. 3) Gregor den
Tod Chlotars und den Regierungs-Antritt seines Sohnes Siegbert (561)
erwähnt, so scheint obiger Pestausbruch zwischen 561 und 566,
somit um
oder in das Culminationsjahr (562) dieser Indiction selbst gefallen zu
sein.
Ueber das Jahr 600 hinaus läßt sich für
längere Zeit eine sichere
Spur der eigentlichen Pest in den Quellen nicht finden; sie erscheint
erst wieder gegen Ende des 7. Jahrhunderts in Europa. Mit dem Ablaufe
der 4. Indiction hatte also das große Sterben seine Zeit
erfüllt, und
es genoß die Menschheit von dieser Seite wenigstens eines
längeren
Friedens; aber schon rüstete ein neuer furchtbarer Feind -
die bereits
während dieser Pest hervorgetretene Pockenseuche - zum
Vertilgungskampfe seine Waffen.
Wir schildern nun die Erscheinung der großen Pest im
Einzelnen,
soweit sie noch in die Zeit Justinians fällt, somit in den ersten
beiden Indictionen, in welchen sie vorzugsweise im Orient wüthete,
während sie in den beiden letzten ihre Thätigkeit mehr im
Abendlande
entfaltete.
II. Erste Indiction.
1) Ausgangs-Ort der Epidemie.
Gang und
Weise
ihrer Verbreitung. Aeußeres und inneres Gebiet ihrer Herrschaft.
Welches Land die Geburtsstätte der großen Pest
gewesen, darüber
stimmen die Angaben der Zeitgenossen nicht überein. Nach Prokopios
20
nahm sie ihren Ursprung in dem ägyptischen Delta-Lande, und zwar
in
Pelusion (in der Nähe des heutigen Damiette); nach Euagrios 21
aber
entsprang sie weiter nilaufwärts, in Aethiopien, von woher nach
dem
Berichte des Thukydides auch die attische Epidemie ausgegangen war.
Erwägt man indeß, daß nach den Ergebnissen neuerer
Beobachtungen
Aegypten und insbesondere die Delta-Niederungen noch heutzutage als die
wahre, ja die einzige Heimath der orientalischen Pest zu betrachten
sind, und daß dieselbe in jenen Gegenden fast nie erlischt 22, so
dürfte die Nachricht des Ersteren über die des Letzteren wohl
das
Uebergewicht erhalten, zumal Euagrios die seine nur gerüchtsweise
gibt.
Wie dem übrigens sein mag, von Pelusion aus theilte sich
23 der
verheerende Strom der Krankheit in zwei Hauptarme, die nach
entgegengesetzter Richtung ihren Lauf nahmen; der eine drang
westwärts
nach Alexandreia und in das übrige Land Aegypten vor und
verbreitete
sich von da weiter längs der Nord-Küste Africa's 24,
während der andere
ostwärts über Palästina und Syrien in die Länder
des Westlichen Asiens
einbrach. Auf dieser gedoppelten Bahn durchzog sie binnen 5 Jahren
allmählig die sämmtlichen Provinzen des Römerreiches wie
die Länder der
Barbaren 25 bis zu den äußersten Gränzen der damals
bekannten Erde
("μεχρι ες
τας της
οικουμενης
εσχατιας" Prokop.). Im
Frühlinge des
Jahres 542 nämlich trat sie in Constantinopel auf, sei es,
daß sie von
Syrien aus, wo damals die kaiserlichen Truppen gegen Chosroes zu Felde
lagen, oder von der kleinasiatischen Küste herüber, oder
unmittelbar
aus Aegypten durch den Seeverkehr mit Alexandreia, dorthin gelangt war;
wahrscheinlich im selben Jahre noch durchzog sie Hellas. Im
darauffolgenden Jahre 543 finden wir sie in Italien hausend 26, einem
durch vielfaches Kriegs-Elend und durch die schreckliche Hungersnoth
von 538 zu ihrer Aufnahme wohl vorbereiteten Lande, wohin sie von
Hellas und Illyricum her eingewandert war, während zur selben
Zeit,
oder vielleicht schon im vorausgegangenen Jahre, ihr anderer Arm die
Länder an der Nordküste Africa's erreicht hatte 27. Im Jahre
545 oder
546 verheerte sie verschiedene Striche des alten Galliens, namentlich
das Land an der Rhonemündung 28, von wo sie in nordwestlicher
Richtung
in die Gegend von Clermont 29 vordrang. Endlich im Jahre 546 begegnen
wir ihrer vertilgenden Wuth in der ehemaligen Provinz Germania prima
30, welche die Länder des linken Rheinufers von Bingen bis
Schlettstadt
unter der Metropole Mainz in sich begriff. Da sie damals vom Rheine her
in westlicher Richtung gegen Rheims fortschritt, so steht zu vermuthen,
daß sie in gleicher Hauptrichtung, die Donau-Länder herauf,
durch
Südgermanien an jenen Strom werde gelangt sein.
Hiernach steht fest, daß die Hauptrichtung ihres Zuges
von Osten
nach Westen ging, eine Richtung, welche alle welthistorischen
Epidemien, von der großen Seuche im 5. Jahrhundert v. Chr. herab
bis zu
der Geißel unsers Jahrhunderts, der asiatischen Brechruhr,
- welche
eben so an die Stelle der orientalischen Pest getreten zu sein scheint,
wie die Lustseuche zu Anfang der neueren Geschichte an die Stelle des
Aussatzes (lepra) im Mittelalter - constant und mit ganz wenigen
Ausnahmen eingehalten haben. Ueber die Art und Weise ihrer Verbreitung
haben uns die Geschichtschreiber folgende bemerkenswerthen Einzelheiten
aufbewahrt.
1) Ueberall begann die Krankheit zuerst an der Seeküste
und
verbreitete sich von da erst in die Binnenländer. 31 Es liegt
allerdings sehr nahe, den Grund dieser Erscheinung, welche in gleicher
Weise auch in der attischen Epidemie und bei dem schwarzen Tode
beobachtet wurde, mit Gibbon (VIl. p. 381) in dem lebhafteren
Handelsverkehr der Seestädte und in der daraus hervorgehenden
größeren
Leichtigkeit einer Verschleppung der Krankheit zu suchen. Ob aber
dieser äußere Grund allein schon genüge, muß
bezweifelt werden.
Vielmehr scheint die Natur der Küstenländer oder die
Lebensweise ihrer
Bewohner schon an und für sich, wie eine größere
Empfänglichkeit für
Epidemien, so auch günstigere Vorbedingungen für eine heftige
und
mörderische Entwicklung derselben in sich zu tragen, als dies bei
Binnenländern der Fall ist. Bezüglich des gelben Fiebers ist
dies eine
bekannte Thatsache. Und wie ließe sich sonst die weitere
Erscheinung
erklären, daß in der Zeit des schwarzen Todes in den
Seestädten und
Küstenländern die Pest auch bei weitem am heftigsten
wüthete, wie dies
außer den bestimmten Bemerkungen der Chronisten die ungeheuren
Menschenverluste auf Cypern und Cicilien, in Marseille, Venedig,
Lübeck
sc. Beweisen 32?
2) Die Pest, sagt Prokop, a. a. O., schritt stetigen Ganges
und in
gemessenen Zeitabschnitten vorwärts, wobei sie in den einzelnen
Gegenden eine bestimmte Zahl von Tagen verweilte. Hatte sie einen Ort
gänzlich übersprungen, oder nur oberflächlich
berührt, so kam sie
später auf denselben zurück - wobei sie die
benachbarten früher
heimgesuchten Orte unberührt ließ - und wich nicht
eher von da, bis sie
die gehörige Zahl von Opfern abgefedert nach Maßgabe der
Verheerungen,
die sie vorher in den Nachbarorten angerichtet. Aehnliches berichtet
Euagrios (a. a. O.) - wie er ausdrücklich bemerkt -
auf den Grund
sorgfältiger Untersuchungen 33 .
Auch diese letzteren Eigenthümlichkeiten, das
sprungweise Vorrücken
und das spätere Nachholen der früher verschont gebliebenen
Orte, finden
sich merkwürdiger Weise ganz in derselben Art von dem Gange des
schwarzen Todes aufgezeichnet. So sagt die Chronik des Theodor de Niem
(bei Eccard. I. p. 1504) von dem ersten Auftreten dieser Pest
(1347-
50): "Nec processit haec epidemia directe sed saltum faciendo de
villa
in villam tertiam, medi intacta manente, et postea iterum reddiit ad
eandem. Und Matteo Villani 34 berichtet ganz ähnliche
Erscheinungen von
dem zweiten Auftreten derselben in Deutschland (um 1360) und in
Ober-Italien (1362) 35.
Fragt man nach dem Krankheits-Bezirke, über den sich das
große
Sterben nach und nach verbreitete, so ergiebt sich nach den schon
erwähnten Nachrichten, daß das Gebiet derselben
fürs Erste die sämmtlichen Provinzen des damaligen
byzantinischen
Reiches - also die Hämus-Halbinsel mit dem
griechisch-asiatischen
Inselsystem, die vorderasiatische Halbinsel, die Länder Syrien,
Phoinikien, Palästina, Aegypten und die Nordküste Africa's
nebst den
großen Inseln des Mittelmeers in sich begriff, desgleichen die
Apenninen-Halbinsel, um deren Besitz damals noch der heiße Kampf
zwischen den Ostgothen und den griechischen Truppen glühte.
Fürs Zweite, was die Länder außerhalb diesem
Staatensysteme
betrifft, steht jedenfalls fest, daß ein großer Theil des
alten
Galliens und die Länder am mittleren und oberen Rhein, desgleichen
im
Orient das Perserreich 36 zu dem Gebiete des großen Sterbens
gehörten.
Daß dasselbe übrigens noch über andere Länder und
Gegenden außer den
zuletzt angeführten, bezüglich deren wir bestimmte
historische
Zeugnisse besitzen, sich erstreckt habe, darf nicht bezweifelt werden;
denn wenn gleich die Bemerkung bei Prokopios (m. s. die Rote 36),
daß
auch die sämmtlichen Barbarenländer von der Pest heimgesucht
worden
seien, und die ähnlich lautenden Nachrichten anderer
Schriftsteller 37
selbstverständlich nicht im strengsten Sinne zu fassen sind, so
darf
dies doch sicher von jenen Ländern und Völkern, mit welchen
die
Bewohner des byzantinischen Reiches in friedlichem oder kriegerischem
Verkehre standen, ferner denjenigen, von denen sie durch Kaufleute und
Reisende Nachrichten erhalten konnten, ohne Zweifel angenommen werden,
wie z. B. von den Bulgaren, den Gepiden, den Longobarden, von
Aithiopien, den Küstenländern Arabiens, vielleicht selbst
theilweise
von Indien; gleich wie es aus einem anderen (weiter oben
angeführten)
Grunde wahrscheinlich ist, daß dieselbe im Norden der Alpen von
Osten
her in die Länder der oberen Donau vorgedrungen sein, und auf
diesem
Wege den Rhein erreicht haben dürfte.
So fand also im westlichen Europa an den Pyrenäen die
große Pest
höchst wahrscheinlich das Ziel und Ende ihres langen Zuges. Denn
da die
Eroberung der Südküste Spaniens durch die Griechen erst im
Jahre 554
geschah, konnte einerseits dieser Landstrich damals noch nicht unter
den Provinzen des byzantinischen Reiches mitbegriffen sein; anderseits
gibt auch aus den ersten Perioden ihres Verlaufes kein
Zeitschriftsteller unmittelbare Kunde, daß selbe jene
Gränzscheide
überschritten habe 38. Ebenso scheint auch das nördliche
Europa von
jener Geißel unberührt geblieben zu sein.
Innerhalb des oben bezeichneten Umfanges aber erlitt die
Schreckensherrschaft der großen Pest keinerlei inneren
Beschränkungen
oder Hemmnisse, nicht durch Raum oder Zeit, nicht durch klimatische
oder Witterungs-Verhältnisse, nicht durch die vielfache
Verschiedenheit
der Menschen nach Geschlecht und Alter, nach Körper-Beschaffenheit
und
Lebens-Verhältnissen. Sie wüthete in Küstengegenden und
Binnenländern,
in Niederungen und auf Bergeshöhen; sie verschonte kein Alter,
kein
Geschlecht, keinen Stand, keine Lebensweise, kein Temperament, und
forderte ihre Opfer im Sommer wie im Winter, im Frühlinge wie im
Herbste, so daß demnach durch den Umfang des inneren wie des
äußeren
Gebietes der welthistorische Charakter dieser Epidemie genugsam
bekundet ist.
2) Symptome und Krankheits-Bild.
Ueber die äußern Erscheinungen der Krankheit bei
ihrem ersten
Auftreten in Constantinopel (542) hat uns der Geschichtschreiber jener
Pest, Prokopios, der verdienstvolle Nacheiferer seines freilich
unerreichten Vorbildes Thukydides 39, als Augenzeuge eine sehr klare
und vollständige Schilderung entworfen 40, wobei er
ausdrücklich
bemerkt, daß die Seuche auch in den übrigen Theilen des
Römischen
Reiches unter derselben Form aufgetreten sei.
Die Krankheit begann - so erfahren wir von ihm -
auf eine doppelte
Weise. Bei Einigen kündigte sie sich durch Delirien an: man
glaubte
nämlich, entweder in völlig wachem Zustande eine
gespenstische
Erscheinung in Menschengestalt zu erblicken, von der man einen Schlag
oder eine Verwundung an irgend einem Theile des Körpers zu
erhalten
wähnte; oder es stellte sich jenes Gebilde der wirren Phantasie
mit dem
unheimlichen Schlage in einem Traumgesichte dar; Manche meinten auch im
Traume eine Stimme zu vernehmen, die ihnen verkündete, ihre Namen
seien
unter der Zahl der Todes-Opfer verzeichnet 41. Und von diesem Momente
an begann bei denselben die Krankheit.
Bei Andern und zwar der Mehrzahl, geschah der Anfang
derselben ohne
solche vorausgegangenen Delirien mit einem plötzlichen Fieber, das
sie
entweder aus dem Schlafe aufstörte oder mitten in ihren gewohnten
Beschäftigungen überfiel. Dabei war jedoch keine
Veränderung in der
normalen Temperatur und Farbe der Haut wahrzunehmen; auch blieb das
Fieber bis zum Abende noch so mäßig, daß weder der
Kranke selbst, noch
der gerufene Arzt bei Untersuchung des Pulses Gefahr besorgen konnte.
Es stellte sich aber - bei Einigen noch am Tage des
Anfalles, bei
Anderen am folgenden, wieder bei Anderen nach einigen Tagen -
eine
Geschwulst der Inguinal-Drüsen
("βουβων
επηρτο") oder auch anderer
Drüsen ein, wie in den Achselhöhlen, in der Ohrengegend, an
den Beinen.
Bei Manchen zeigte sich - ob die eine Erscheinung die andere
ausschloß
oder auch neben derselben vorkam, wird nicht gesagt - ein
Exanthem,
welches in Gestalt von schwarzen Blätterchen in der
Größe einer Linse
den ganzen Körper bedeckte
("φλυκταινας
μελαινας
εξηνθει το
σωμα").
In dem weiteren Verlaufe des Uebels zeigten sich dreierlei
verschiedene Erscheinungen unter den Erkrankten. Die Einen verfielen in
schweren, widernatürlichen Schlaf
("κωμαßαθυ"),
Andere in rasendes
Delirium. In Folge dessen - bemerkt unser Schriftsteller weiter
- kamen
die Kranken der ersteren Art, da sie in ihrer todähnlichen
Erstarrung
keinerlei Bedürfniß fühlten, und, wenn sie nicht
geweckt wurden, keine
Speise zu sich nahmen, bei fehlender Pflege aus Mangel an Nahrung (?)
um. Im anderen Falle aber zehrten Schlaflosigkeit und schreckhafte
Phantasien alle Kräfte auf: die Unglücklichen wähnten,
man trachte
ihnen nach dem Leben, und warfen sich laut aufschreiend zur Flucht aus
ihren Betten und nicht selten aus oberen Geschoßen durch die
Fenster
zur Erde; Viele suchten sich ins Wasser zu stürzen - nicht
aus Durst,
da die Meisten in das Meer sprangen, sondern in Folge ihres Paroxysmus
(,,αιτιον ην η
των φρενων
νοσος). Auf diese Weise fanden Viele
derselben, die entweder aller Pflege entbehrten, oder einen unbewachten
Augenblick zu ersehen wußten, den Tod oder erlitten
tödtliche
Verletzungen. Bei einer dritten Klasse endlich trat keiner der beiden
oben geschilderten Zustände ein, sondern die Kranken, die hier bei
voller Besinnung blieben, wurden durch die unerträglichsten Qualen
der
brandig entzündeten, aber nicht zur vollen Auseiterung
(Suppuration)
gelangenden Bubonen (Drüsengeschwulsten) gefoltert, denen die
erschöpfte Natur allmählig erlag. Die fortschreitende
brandige
Entzündung der Bubonen - bemerkt Prokop, sehr richtig
- mag wohl auch
bei den Kranken der andern beiden Klassen Statt gefunden haben, der
Schmerz aber in ihrer gänzlichen Betäubung oder in ihren
Fieberdelirien
ihnen nicht zum Bewußtsein gekommen sein.
Die Krisis zum Tode trat bei Einigen sogleich, bei Anderen
erst
nach Verlauf mehrerer Tage ein. Diejenigen, bei denen sich jenes
schwarze Exanthem eingestellt hatte, überlebten nicht Einen Tag,
sondern starben sammtlich zur Stunde. Einige tödtete auch
plötzliches,
heftiges Bluterbrechen.
Die Krisis zur Genesung fand Statt mit der entschieden
fortschreitenden Suppuration der Bubonen; daher galt Zunahme und
beginnende Eiterung derselben nach der constanten Erfahrung für
ein
günstiges Zeichen; wogegen bei denjenigen, bei welchen die Bubonen
an
Größe und Gestalt unverändert blieben, die Krankheit
unter den oben
geschilderten Zuständen in der Regel einen tödtlichen Ausgang
nahm. Bei
den Letzteren trat zuweilen vorher ein Schwinden (Atrophie) des
Oberschenkels ein ("ξυνεßη
τον μηρον
αποξηρανθηναι").
Es kamen auch
Fälle vor, daß bei Solchen, die dem Tode entronnen waren,
die Krankheit
sich auf die Zunge warf und eine Lähmung derselben bewirkte, so
daß
fortan Zeitlebens ihre Aussprache lallend oder ganz unverständlich
blieb 42. So weit Prokopios.
Der Schilderung dieses Schriftstellers weit nachstehend an
Klarheit, Vollständigkeit und richtiger Erfassung und Betonung der
wesentlichen Momente ist die des Euagrios, welche, insofern sie doch
einiges Reue bietet, als ergänzende Zugabe hier ebenfalls ihren
Platz
finden soll.
Die Epidemie - bemerkt derselbe 43 - welche, bei
manchen
Abweichungen, auch mehrfache Aehnlichkeit mit der von Thukydides
beschriebenen zeigte, war aus verschiedenen Krankheiten
zusammengesetzt. Bei den Einen nämlich ergriff das Uebel zuerst
das
Haupt; die Augen erschienen wie mit Blut unterlaufen
(αιματωδεις),
das
Gesicht aufgedunsen; wenn es dann zum Schlunde hinab sich verbreitete,
raffte es Alle hinweg, die es befallen. Bei Anderen stellte sich
Durchfall (ρυσις
γαστρος) ein. Wieder bei
Anderen bildeten sich
Bubonen, worauf heftiges Fieber folgte; nach Verlauf von zwei bis drei
Tagen starben sie ohne ersichtliche Alteration ihres geistigen oder
körperlichen Zustandes, während Andere in Geistes-Abwesenheit
(παραφοροι
γινομενοι) ihr Leben
aushauchten. Auch bösartige
Hautgeschwüre
(ανθρακες, carbunculi),
welche am Körper hervorbrachen,
rafften Viele dahin.
Euagrios hat zwar bei obiger Beschreibung der Pest ein
bestimmtes
Jahr ihres Auftretens nicht im Auge; aber es findet sich anderseits
auch nirgends bei ihm eine Andeutung, daß dieselbe in der ersten
Zeit
ihres Auftretens einen anderen Charakter gezeigt habe, als in
späteren
Perioden ihres Verlaufes. Daß aber die Bubonen schon bei dem
ersten
Auftreten der Epidemie vorkamen, geht, abgesehen von der Angabe bei
Prokopios, klar aus den eigenen Worten des Euagrios hervor, welcher
sagt, er sei selbst als Schulknabe gleich im Beginne der Krankheit von
den sogenannten Bubonen befallen worden.
3) Wesen und Charakter der
Epidemie. -
Vergleichung derselben mit den früheren.
Aus beiden Schilderungen erhellt unzweifelhaft, daß die
Krankheit
die vollständig ausgebildete orientalische oder Bubonen-Pest
(pestis
inguinaria) war, und zwar, daß sie schon bei ihrem ersten
Erscheinen
als solche auftrat, nicht erst, wie Schnurrer und Kraus 44 im
Widerspruche gegen die bestimmten Angaben der beiden Augenzeugen
annehmen, bei ihrer Wiederkehr in der zweiten Indiction aus einem
leichteren, den früheren welthistorischen Epidemien ähnlichen
Typus zu
dieser Krankheitsform degenerirte.
Hiefür sprechen aufs Bestimmteste die von beiden
Schriftstellern
aufgeführten charakteristischen Eruptionen der orientalischen
Pest, die
Bubonen oder Pestbeulen (von welchen sie den Namen trägt) und die
Carbunkel
(φλυκταιναι,
ανθρακες ) deren
pathognomische Bedeutung von
Kraus (p. 48) auf eine, für den Laien wenigstens, sehr
verständliche
Weise als ein Heilbestreben des menschlichen Organismus erklärt
wird.
Der Krankheitsstoff - sagt derselbe - afficire nämlich
in erster Linie
das Gehirn und das Nervensystem überhaupt, wovon die von Prokop
erwähnten Delirien am Anfange der Krankheit deutliches
Zeugniß gäben.
Die Natur aber wirke dahin, denselben in das lymphatische System
hinüberzuleiten, wo er mittels Entzündung und Auseiterung der
Drüsen
vollends ausgeschieden werden solle. Da aber die Drüsen zu dieser
Funktion nicht immer kräftig genug seien, so sistire sehr
häufig die
Entzündung; der Krankheitsstoff bleibe im Organismus haften und
bewirke
durch Destruction desselben den Tod. Manchmal übernehme auch die
Haut
die Ausscheidungs-Funktion; dann entständen die Carbunkel. Weil
aber
die Haut noch weniger als die Drüsen hiezu geeignet sei, so
wäre mit
Recht die Entstehung der Carbunkel in der Regel als ein
ungünstiges
Vorzeichen betrachtet worden.
Auch in Bezug auf die übrigen Symptome stimmen die
obigen
Schilderungen mit den Wahrnehmungen der neueren Pathologen 45 über
diese Krankheit unverkennbar überein, und es lassen sich die von
Letzteren unterschiedenen drei Stadien mit ihren besonderen Symptomen
auch in dem von Prokopios und Euagrios entworfenen Krankheitsbilde
ziemlich deutlich erkennen: das stadium invasionis mit dem
plötzlichen
Fieberanfall, der hin und wieder bis zu Delirium sich steigernden
Affection des Gehirnes, der Veränderung der Sprache; das stadium
reactionis mit den hervorbrechenden Bubonen oder Carbunkeln, der
Turgescenz des Gesichts, der blutigen Injicirung der Augen, der
zunehmenden Angst und Agitation, den heftigen Delirien oder dem statt
derselben eintretenden lethargischen Schlafe (Koma); endlich das
stadium depressionis mit der Steigerung der Lethargie, den
erschöpfenden Blutungen, den heftigen Durchfällen, auf
welches endlich
die Krisen folgen.
Die Zeit des Verlaufes bei den einzelnen Ergriffenen,
worüber
Prokopios etwas Näheres nicht bemerkt, wird von Euagrios -
wahrscheinlich für die Zeit, in welcher die Krankheit ihre
größte
Heftigkeit entfaltete - auf zwei bis drei Tage angegeben 46; auch
Paulus Diaconus 47 berichtet, daß bei dem heftigen Pestausbruche
in
Ober-Italien im Jahre 565 (in der zweiten Indiction) die Kranken
innerhalb drei Tagen gestorben seien, so daß, wer den dritten Tag
überstand, Hoffnung zur Genesung hatte. Hiemit
übereinstimmend bemerkt
Canstatt 48, daß in der bösartigsten Form der Krankheit der
Tod seine
Opfer in 24-48 Stunden dahinraffe.
So unzweifelhaft indeß feststeht, welchen Charakter
diese Epidemie
schon bei ihrem ersten Auftreten hatte, so läßt sich doch
nicht mit
gleicher Sicherheit behaupten, wie dieses mehrfach geschehen ist
(vergl. u. A. Schnurrer I. p. 131), daß wir in derselben
unmittelbar
das erste Hervortreten der Bubonenpest überhaupt in der Geschichte
vor
uns haben. Erwägt man, wie in dem weiten Reiche der Natur nirgends
ein
Stillstand, überall fortschreitende Entwickelung herrscht in der
Weise,
daß die Gegensätze der neu entstehenden Formen und Gebilde
zu den alten
durch eine stetige Reihe von Uebergangsformen gemildert und vermittelt
werden, ja wie dieses Gesetz sogar in das Reich der freien
Geistes-Thätigkeit hinüberreicht, und außerordentliche
Begebenheiten in
der Geschichte oft Jahrhunderte voraus durch Vorboten und vorbereitende
Erscheinungen angekündigt werden: so ist man schon von vorne
herein zu
dem Schlusse berechtigt, daß auch in dem Charakter der
welthistorischen
Epidemien eine stetig fortschreitende Entwickelung möge Statt
gefunden
haben, und der Typus der Bubonenpest nicht mit Einem Male werde fertig
und vollständig ausgebildet hervorgetreten sein, sondern durch
vorbereitende Uebergangsstufen in frühern Epidemien seine
Vermittlung
werde gefunden haben.
Und so verhält es sich in der That. Das Hervortreten von
Drüsenanschwellungen in pestilentiellen Krankheiten, von denen
sich bei
den Epidemien des fünften Jahrhunderts v. Chr. noch keine
Andeutung
findet, läßt sich als historisch beglaubigte Thatsache bis
in das erste
Jahrhundert christl. Zeitrechnung hinauf verfolgen. Eine höchst
merkwürdige Stelle in einem von Angelo Mai in der vatikanischen
Bibliothek aufgefundenen Werke des Oribasios (eines zu seiner Zeit sehr
berühmten und bei dem Kaiser Julian dem Abtrünnigen viel
vermögenden
Arztes), welche, wie die Überschrift angibt, dem Werke des
griechischen
Arztes Rufos "περι
βουβωνος" entnommen
ist, besagt unter Anderem 49:
"Die bei Epidemien auftretenden sogenannten Bubonen
(οι
λοιμουδεις
καλουμενοι
βουβωνες) sind sehr
gefährlich und tödtlich; sie kommen am
meisten in Lydien, Aegypten und Syrien vor...... Dioskorides
und
Poseidonios haben sich am meisten über sie verbreitet in der
Schrift
über die zu ihrer Zeit in Libyen herrschende Seuche. Als Symptome
dieser Seuche geben sie an: heftiges Fieber, Schmerz, Aufruhr des
ganzen Organismus, Delirien und die Eruption großer, harter,
nicht zur
Eiterung gelangender
("ανεκπυητων")
Bubonen, nicht bloß an den
gewöhnlichen Stellen, sondern auch an den Kniekehlen und
Ellenbogen
50." Es lebte aber Rufos von Ephesos jedenfalls nicht später als
zur
Zeit Trajans, Dioskorides aber von Anazarbos nach der spätesten
Annahme
zur Zeit Nero's 54.
Auch die beiden großen welthistorischen Epidemien der
nächst
folgenden Zeit unter Marcus Aurelius und Commodus im zweiten, und unter
dem Kaiser Decius und seinen Nachfolgern im dritten Jahrhundert
christlicher Zeitrechnung, zeigen nicht undeutliche Spuren einer
Uebergangs-Form zur Bubonenpest, während sie anderseits wieder,
wie die
hier geschilderte selbst, in ihren Symptomen unverkennbare
Verwandtschaft mit der von Thukydides beschriebenen im fünften
Jahrhundert v. Chr. haben. Von der ersten, jener oben genannten Seuchen
wissen wir aus den Schriften des Arztes Galenos, welcher nach seiner
eigenen Angabe 55 Augenzeuge derselben war, daß nicht selten
Carbunkel
bei den Ergriffenen vorkamen 56, daß ferner schwärze Pusteln
bei
Solchen entstanden bei welchen die Krankheit zu einem günstigen
Verlaufe sich hinneigte, nach deren Auseiterung und Abfall die Genesung
eintrat 54, - ein Exanthem, welches sonach offenbar gleich den
Bubonen
von kritischer Bedeutung war 55. Aber auch von
"Drüsenanschwellungen in
der Weichengegend, welche die Griechen Bubonen nennen", und der
Gefährlichkeit der damit verbundenen Fieber spricht derselbe 56,
wahrscheinlich aus Anlaß eigener Beobachtungen, welche er in
jener
Pestseuche gemacht haben mag. Von der zweiten jener Seuchen aber wird
bei Kraus (p. 43) aus den Quellen unter anderen Symptomen
"gangraena
organorum sensibus indulgentium vel pudendorum aut
extremitatum..,..."
(brandige Entzündung der Drüsen in der Ohrengegend, in den
Weichen, in
den Achselhöhlen und an den Kniekehlen?) angeführt.
Aus Obigem, so wie aus einer näheren Vergleichung des
Krankheitsbildes, welches die Quellenschriftsteller von den beiden
vorerwähnten, und von der Seuche des 5. Jahrhunderts v. Chr. uns
hinterlassen haben, dürfte das doppelte Resultat hervorgehen,
1) daß diese drei Epidemien, wie Kraus in seiner
mehrerwähnten
Schrift darzuthun sucht, unter sich verschwistert und mit der
Justinianeischen Pest verwandten Charakters waren;
2) daß aber in denselben eine fortschreitende
Entwickelung ihres
Charakters Statt fand, und mindestens seit dem ersten Jahrhundert
christlicher Aera die größeren oder kleineren Epidemien
vermittelnde
Uebergangsstufen zur Bubonenpest bildeten, welche in der
Justinianeischen Epidemie zum ersten Male in ihrem vollständig
ausgeprägten Charakter hervortrat.
4) Sonstige bemerkenswerthen
Eigenthümlichkeiten der Krankheit.
Um das Gesammtbild dieser Seuche zu vervollständigen,
sollen hier
noch einige weiteren, von den Quellenschriftstellern aufbewahrten
Züge
ihren Platz finden.
1) Wie in allen Epidemien, so geschah auch hier die
Fortpflanzung
der Krankheit durch Ansteckung. Aber diese fand nur zum geringeren
Theile durch unmittelbare Berührung der Kranken oder ihrer
Atmosphäre
Statt. Aus den übereinstimmenden Nachrichten der beiden
Augenzeugen
dieser Pest geht hervor, daß die Ansteckbarkeit durch contagium
keine
allgemeine, sondern eine durch individuelle - geistige oder
körperliche
- Zustände oder durch sonstige Verhältnisse bedingte
war, eine
Wahrnehmung, welche bekanntlich durch zahlreiche Beobachtungen und
Versuche neuerer Aerzte über das Pestcontagium vollkommen
bestätigt
wird 57. Viele - sagt Euagrios - welche mit Pestkranken in
stetem
unmittelbaren Verkehre geblieben waren, auch Todte berührt hatten,
erfuhren hieraus keinerlei Nachtheil. Ja, an Manchen, welche nach dem
Verluste aller ihrer Lieben lebenssatt den Tod suchten und sich aller
Gefahr der Ansteckung bloßstellten, schien der unbarmherzige
Würger wie
geflissentlich vorüberzugehen. Und Prokopios versichert, daß
weder
Aerzte noch Krankenpfleger in der Ausübung ihres Berufes
angesteckt
worden seien.
Die Verbreitung der Krankheit geschah also zum bei weiten
größeren
Theile auf miasmatischem Wege. Es war die Luft selbst, welche, schon
vor dem Auftreten des großen Sterbens durch jene furchtbaren
physischen
Revolutionen in ihren Bestandtheilen alterirt und mit schädlichen
Stoffen versetzt, während der Herrschaft desselben aber durch die
Ausdünstungen der massenhaft Erkrankten und zuletzt der
unbestatteten
oder kaum bestatteten Leichen mit neuen Miasmen vergiftet, jenen Samen
des Verderbens in sich trug, der aller Orten wuchernd aufschoß
und in
kurzer Zeit alle Wohnsitze des blühendsten Lebens in Stätten
des
Grauens und des Todes, verkehrte.
2) Wer die Krankheit schon einmal überstanden hatte,
durfte sich
dadurch weder gegen wiederkehrende Anfälle noch deren
tödtlichen
Ausgang für gesichert halten. Es kam vor, daß Einzelne, die
von
derselben schon mehr als einmal genesen waren, später noch einem
erneuten Anfalle unterlagen.
3) Schwangere Frauen, die von der Pest ergriffen wurden,
waren
unrettbar dem Tode verfallen; sie starben entweder in Folge von
Fehlgeburten, oder verschieden auch nach regelmäßig
erfolgter Geburt
sammt ihrer Leibesfrucht. Nach Prokopios wurden in Constantinopel nur
drei Fälle beobachtet, wo pestkranke Mütter ihre neugeborenen
Kinder,
und nur einer, in welchem ein Kind seine im Geburtsacte verschiedene
Mutter überlebte 58.
5) Heil- und Schutzmittel.
a. Aerzte und Krankenpflege.
Gegenüber der Riesenkraft einer so mörderischen und
überdies ihrer
Natur nach theilweise neuen Seuche erwies sich, wie uns Prokopios
berichtet, die ärztliche Kunst ebenso ohnmächtig als die
Pflege der
Kranken, obwohl man nach demselben Zeugen vollkommen berechtigt ist,
anzunehmen, daß weder die Eine noch die Andere an treuer
Hingebung und
aufopfernder Thätigkeit es habe fehlen lassen, so lange nicht die
Wuth
des Uebels alle menschliche Kraft überwältigte. Aber wie
sorgfältig die
Aerzte das Wesen der Krankheit durch Section an Leichen zu
ergründen
suchten, und ob auch ihr Messer hiebei insbesondere die Bubonen
durchforschte, in denen sie den Sitz des Uebels vermutheten 59, die
Natur der Krankheit blieb ihnen ein unlösbares Räthsel, und
selbst die
berühmtesten Aerzte zeigten in einzelnen Fällen bei der
Beurtheilung
des muthmaßlichen Krankheits-Verlaufes ihrer Sache sich so wenig
gewiß,
daß der Ausgang sehr häufig ihre Erwartungen und
Voraussagungen aufs
Entschiedenste Lügen strafte. So mußte die ärztliche
Behandlung
unsicher und schwankend bleiben 60: kein zuverläßiges Mittel
- sagt
unser Berichterstatter - ward aufgefunden, weder um die Gesunden
vor
der Erkrankung, noch die Erkrankten vor dem Tod zu schützen.
Was aber die Krankenpflege betrifft, so darf man, um die Art
und
Weise und die Gränzen derselben gehörig zu bemessen und
dadurch das
ganze Gewicht des schweren Verhängnisses zu würdigen, das
nach Gottes
Zulassung über der damaligen Menschheit lastete, nicht außer
Acht
lassen, daß nach den socialen Zuständen jener Zeit die
Pflege der
Kranken in keiner Weise Gegenstand öffentlicher Fürsorge war,
sondern
hierin Alles den Mitteln und Verhältnissen der Einzelnen
überlassen
blieb. Sie beschränkte sich demnach auf die Hingebung der
Familien-Angehörigen, Freunde oder Hausgenossen des Kranken, auf
die
Treue seines Gesindes, auf den guten Willen gedungener Wärter 61.
Wer
von vorne herein allein dastand, oder die Seinen in jener
Schreckenszeit eingebüßt hatte und die Mittel nicht
besaß, um
Lohnwärter zu halten, die für ihre schweren und gefahrvollen
Dienste
gewiß nicht geringen Sold gefordert haben mögen, blieb,
seinem
Schicksale überlassen. Keine Hospitäler oder Armenhäuser
sorgten damals
für die Pflege solcher Unglücklichen; auch jene erhabenen
Erscheinungen, in denen später der unerschöpfliche Reichthum
der
christlichen Liebe auf so herrliche Weise zu Tage trat, die
Verbrüderungen und Orden für Kranken- und Armen-Pflege
nämlich, deren
opfermuthige Hingabe seitdem in allen schweren Zeiten sich
bewährte und
in gleicher Weise, wie sie schon die düstere Nacht des schwarzen
Todes
als ein rettendes Gestirn erhellte 62, noch in jüngster Zeit auf
den
blutigen Stätten des letzten Krieges den Völkern der
verschiedensten
Bekenntnisse die vollste Anerkennung und Hochachtung abgenöthigt
hat
63, waren jener Zeit fremd. Nimmer konnte auch das morschgewordene, nur
von dem Ruhme der Vorzeit zehrende Römer-Reich im Osten und der
ermattete Geist seiner Bewohner, in welchem selbst der befruchtende
Keim des Christenthums kein anderes Leben als das eines erbitterten
Sectenkampfes um theologische Lehrmeinungen zu erwecken vermochte, jene
wunderbaren Blüthen am Baume des christlichen Lebens erzeugen, die
erst
in dem tiefen, innigen Gemüthe der germanischen Welt, gezeitigt
von der
Glaubenswärme und religiösen Begeisterung des Mittelalters,
zur Reife
gelangen mochten. Auch von besonderen Verdiensten Seitens der
Klöster
um die Armen- und Krankenpflege geschieht in den Quellen aus dieser
Zeit nirgends Erwähnung; und so wenig das Schweigen der
Schriftsteller
an sich zu einem vollgültigen und allgemeinen Schlusse über
das
Verhalten der Klöster berechtigen könnte, so ist doch so viel
gewiß,
daß einerseits eine ausgebreitete gemeinnützige Wirksamkeit
der oben
bezeichneten Art überhaupt nicht im Geiste des
morgenländischen
Mönchthums lag, welches in stiller Beschaulichkeit
einsiedlerischen
Lebens von der Welt und ihrem Verkehre sich entschieden abschloß,
anderseits aber die praktische, in das Leben vielseitig eingreifende
Richtung der abendländischen Klöster, durch welche sich
dieselben von
den orientalischen Koinobien wesentlich unterschieden, damals -
und
zwar zuerst in Italien durch die Verbreitung der Regel des hl. Benedict
- erst in der Entwickelung begriffen war.
Welche Phantasie aber vermöchte das Maß des
Jammers und Elends von
Tausenden und Tausenden zu schildern, deren Krankenlager bei solcher
Beschränktheit der Pflege vereinsamt blieb, denen keine sorgende
Hand
die Qualen und Foltern des Körpers linderte, kein erhebender
Zuspruch
die Beängstigungen und Zweifel der Seele löste, und denen im
Tode
selbst der letzte Liebesdienst versagt war? Gewiß hatte an der
ungeheuren Sterblichkeit, von der gleich nachher gesprochen werden
soll, der Mangel an öffentlichen Verpflegungs-Anstalten einen
wesentlichen Antheil.
d) Maßregeln von Seite des
Staates.
Und doch wurde die Unzulänglichkeit der Heilmittel noch
bei weitem
überboten durch die geringe Fürsorge des Staates für
geeignete
Schutz-Maßregeln. So reich auch das Leben des Römischen
Staates in den
Verschiedensten Zweigen der gesellschaftlichen Verhältnisse sich
entfaltet hat, so großartig das Gebäude seiner
Rechts-Institutionen vor
uns steht, und welche Anerkennung man auch den polizeilichen
Einrichtungen desselben zollen mag: wo es auf den Schuß der
Staats-Angehörigen wider die Macht feindseliger Naturgewalten
ankam,
erscheint die Obsorge des antiken, wie nicht minder des
mittelalterlichen Staates im Vergleiche zu der großartig
entfalteten
Thätigkeit des Staates der Neuzeit noch auf einer sehr
untergeordneten
Stufe. Nirgends ist von einer Absperrung der Pestherde, oder auch nur
von einer Beschränkung des Verkehrs, geschweige denn von einer
zweckmäßigen Organisation der Widerstandskräfte die
Rede, Maßregeln,
mit denen der Staat der Neuzeit die Wuth verheerender Seuchen mit mehr
oder minder günstigem Erfolge zu bekämpfen weiß. Das
Eingreifen der
Staatsgewalt beschränkte sich damals in Byzanz, so weit wir
wissen,
lediglich auf die Hinwegschaffung der unbeerdigt liegenden Leichen, als
zur Todtenbeschickung die Kräfte der Privaten nicht mehr
ausreichten.
Es würde hiemit der kaiserliche Referendar Theodoros - so
erzählt
Prokop - von Justinian (welcher selbst von der Pest ergriffen,
aber
gerettet ward) speziell beauftragt und erhielt zu diesem Behufe ein
Commando Soldaten und Geldmittel angewiesen, welche letzteren Theodoros
mit anerkennenswerther Hingebung aus seiner eigenen Kasse vermehrte.
Von einer anderweitigen Fürsorge des Staates findet sich keine
Andeutung.
6) Dauer der Krankheit und
Menschenverlust zu Constantinopel.
Nach dem Zeugnisse des Prokopios währte die Krankheit in
der
Hauptstadt vier Monate, und zwar drei davon mit besonderer Heftigkeit.
Malalas 64 spricht zwar nur von einer zweimonatlichen Dauer; doch kann
die Angabe dieses viel später lebenden Chronisten gegen die
erstere
wenig in Betracht kommen. Auch nach neueren Beobachtungen 65
beträgt
die durchschnittliche Dauer einer Pest-Epidemie 3-4 Monate.
Nun versichert aber Prokop aufs Bestimmteste 66, daß
die Pest
damals an allen Orten ihres Auftretens in der Zeit ihrer Andauer eine
strenge Gleichmäßigkeit und ein gewisses Gesetz eingehalten
habe. Auch
aus der Vergleichung der Nachrichten über andere großen
Pestseuchen
scheint hervorzugehen, daß bei denselben die Dauer des
Einzelverlaufes
zwar in verschiedenen Perioden ihres Auftretens einige Verschiedenheit
zeigte, in derselben Periode aber überall sich gleich blieb 67.
Hatte demnach die Pest damals in allen Orten ihres
Erscheinens im
Allgemeinen eine viermonatliche Dauer, so ist es schwerlich ein
bloß
zufälliges Zusammentreffen, daß jene beiden Zahlen, welche
uns in der
Gesammtdauer und Gliederung ihrer großen Wanderzeit als bedeutsam
entgegentraten, die 4 und die 15, auch in der Zeit ihres
Einzelverkaufes vertreten find, und die Pest, wie in ihrer Gesammtdauer
4x15 Jahre, so in ihrem besonderen Verlaufe an den einzelnen Orten 4x15
Doppel-Tage umfaßte.
Den damaligen Menschenverlust in Constantinopel belangend, so
war
die Sterblichkeit anfangs nicht erheblich größer als sonst;
bald nahm
sie aber in furchtbarer Weise überhand, und es stieg die Zahl der
täglichen Todesfälle auf 5000, später auf 10.000 und
sogar darüber.
Dieser Angabe des Prokopios zufolge dürfte als Gesammtverlust in
dieser
Stadt während jener vier Monate in annähernder Schätzung
die Zahl von
400.000 Menschen sicher nicht zu hoch gegriffen sein! Erwägt man
die
vorausgegangenen, an Ausdehnung und Heftigkeit beispiellosen,
physischen Störungen, welche eine gänzliche Alteration der
atmosphärischen Luft theils bewirken mußten, theils von ihr
Zeugniß
gaben, und wie dadurch die Wuth der Krankheit allerdings zu einer
ungewöhnlichen Höhe gesteigert werden mußte; bedenkt
man außerdem den
gänzlich ungenügenden Zustand der Heil- und öffentlichen
Schutzmittel,
und rechnet man zu allem Diesen die besonderen Verhältnisse
Constantinopels als einer Seestadt und den Umstand, daß die Stadt
sehr
eng zusammengebaut 68 und demgemäß dicht bevölkert war:
- so wird man
keinen Grund finden, die obigen Zahlenangaben eines wohlunterrichteten
Augenzeugen zu beanstanden.
7. Oeffentliche Zustände
während der
Pest in Constantinopel. - Todtenbeschickung. -Moralische
Folgen.
Von der Physiognomie der oströmischen Kapitale und den
öffentlichen
Zuständen daselbst während der Herrschaft der Pest hat uns
Prokop ein
düsteres Bild, wenn auch nur in allgemeinen Umrissen,
hinterlassen.
Die eherne Hand des Verderbens, die auf der Stadt lastete,
schien
alles Leben schon vor dem Tode gelahmt zu haben. Aller
Geschäftsverkehr
stockte, alle gewerbliche Thätigkeit ward eingestellt; Niemand
dachte
daran, seinen gewohnten Berufs-Arbeiten nachzugehen. Die Stadt, noch
kurz vorher von dem bunten Gewühle des bewegtesten Lebens
durchrauscht,
schien wie ausgestorben; man begegnete Niemanden auf der Straße
als
Leichenträgern; die noch nicht von der Krankheit Befallenen hielt
die
Pflege erkrankter, oder die Trauer um verstorbene Familienmitglieder in
ihren Wohnungen zurück. Der Stillstand aller Thätigkeit
erzeugte bald
den äußersten Mangel in einer Stadt, die sonst alle
Bedürfnisse der
üppigsten Genußsucht im reichsten Maße zu befriedigen
gewußt; und da
von keiner Seite Abhilfe geschah, kam es so weit, daß man kaum
Brod zum
nothdürftigsten Unterhalte sich zu verschaffen vermochte, und von
den
hilflos liegenden Kranken nicht Wenige verschmachteten.
In der Beschickung der Todten riß bald mancherlei
Unordnung ein,
die sich mit der zunehmenden Sterblichkeit zuletzt bis zum
äußersten
Grade der Verwirrung und Ratlosigkeit steigerte. Eine Zeit lang noch
wurden die Verstorbenen, wenn auch ohne Geleite und Feierlichkeit, in
den Begräbnißstätten, den eigenen oder fremden (die
letzteren öffnete
man heimlich oder erbrach sie mit Gewalt), beigesetzt; als aber
allmählig ganze Familien und Häuser mit Gesinde und
Dienerschaft
ausstarben, blieb eine große Zahl von Leichen mehrere Tage lang
unbeerdigt liegen. Diesem Mißstande half zwar, wie es scheint,
die oben
erwähnte Maßregel des Kaisers ab; aber wie wenig selbst
hiedurch für
den Schutz der noch nicht Erkrankten gesorgt war oder gesorgt werden
konnte, beweisen die nachher bezüglich der Todtenbestattung
getroffenen
Anstalten. Als in den vorhandenen Begräbnißmalen kein Raum
mehr für die
Aufnahme der unzähligen Opfer des Todes sich fand, begrub man die
Leichen auf den Feldern rings um die Stadt, und da es zuletzt an
Händen
zum Graben gebrach, warf man dieselben zu Hauf von oben in die
abgedeckten Thürme der Mauern von Sykai, einer zu Constantinopel
gehörigen, durch den Golf Chrysokeras von ihr getrennten
Hafenstadt (j.
Galata) hinab und setzte, wenn sie bis zum Rande gefüllt waren,
die
Dächer wieder auf; oder man begnügte sich, die Todten an das
Meer hinab
zu schaffen, wo sie in Lastschiffe geworfen, und mit diesen dem Spiele
der Winde und Wellen überlassen wurden. Es war natürlich,
daß der
giftige Hauch, der von diesen Stätten massenhafter Verwesung,
namentlich wenn der Wind aus dieser Richtung wehte, über die Stadt
zog,
der Pest wieder neue Nahrung zuführte.
Daß eine Heimsuchung so schrecklicher Art auf die
Gemüther der
Menschen und das ganze sittliche Gebahren derselben einen
mächtigen
Einfluß üben mußte, bedarf keiner Erwähnung. Aber
bedeutsam erscheint
der Umstand, daß die nächsten Wirkungen dieser Pest auf die
Bewohner
von Constantinopel ganz anderer Art waren, als jene, welche eine
ältere
Schwester derselben, die attische Pest zur Zeit des peloponnesischen
Krieges, auf die Athener geäußert hatte. Dort
erschütterte - wie
Tukydides berichtet 69 - das allgemeine Unglück, welches
Gute wie Böse
traf, allen Glauben an die Götter; es lösten sich bei der
Machtlosigkeit der Regierung die Bande der Ordnung und des Gesetzes;
das Erhabene und Edle sank im Werthe, und man eilte nur, die letzten
Stunden eines vielleicht schon zur Neige gehenden Lebens in rasch
erbeuteten Genüssen zu verschweigen. Nicht so in Constantinopel.
Hier
wirkte das furchtbare Unglück zunächst nicht auflösend
und
demoralisirend, sondern - wenigstens momentan -
emporrichtend und
moralisch kräftigend auf die Masse. Die politischen Partheiungen
- sagt
Prokop - hörten auf; man vergaß des Hasses, mit dem
man sich vorher
verfolgt; aufgescheucht durch den schreckhaften Anblick der Gegenwart,
und vom nahen Tode bedroht, entsagten die Lasterhaften ihren
Ausschweifungen und wandten sich den vernachlässigten Vorschriften
der
Religion zu. - Wenn damals in der ostromischen Hauptstadt nicht
ein
ähnlicher Geist moralischer und politischer
Unbotmäßigkeit in der Masse
sich regte, so waren hierin ohne Zweifel die wohlthätigen
Wirkungen der
christlichen Religion zu erkennen, welche allein durch die
Gewißheit
eines jenseitigen Lebens, die sie gewährt, in den herben Tagen
solcher
Prüfungen die Gutgesinnten über sich selbst emporzuheben, die
moralisch
Gesunkenen aber aufzurütteln und zur
Besinnung zu bringen vermag. - Aber freilich waren
damals die
Wirkungen jenes gewaltigen Mahnrufes nur von kurzer Dauer. Kaum war
-
so klagt Prokopios, wie in ähnlicher Weise mehrere
Berichterstatter aus
der Zeit des schwarzen Todes 70 - die Gefahr anscheinend
vorüber, als
die aus ihren bösen Neigungen gewaltsam Aufgeschreckten aufs Neue
in
dieselben verfielen und für die kurze Zeit der Entsagung in neuen
Ausschweifungen sich zu entschädigen suchten.
III. Zweite Indiction.
Nachdem das große Sterben seit seinem ersten
Hervortreten im Jahre
541 nie mehr gänzlich erloschen 71, und noch gegen Ende des Jahres
556
wieder in mehreren Städten des Byzantinischen Reiches
vorzüglich unter
dem jugendlichen Alter hervorgetreten war 72, suchte es im Jahre 558
die Hauptstadt, deren Bewohner sich noch kaum von den Schrecknissen des
10tägigen Erdbebens im Dezember des vorigen Jahres erholt hatten,
mit
einem neuen furchtbaren Anfalle heim 73. Eine ausführliche
Schilderung
desselben ist nicht auf uns gekommen; aus den vorhandenen Nachrichten,
unter denen die des Augenzeugen Agathias den ersten Platz einnehmen,
ergibt sich im Wesentlichen Folgendes:
1) Die Krankheit zeigte bei diesem neuen Anfalle im Ganzen
denselben Typus, wie bei ihrem erstmaligen Erscheinen. Das
charakteristische Merkmal derselben, die Pestbeulen, stellten sich auch
diesmal bei der Mehrzahl der Kranken ein, begleitet von heftigem,
äußerst erschöpfendem, ununterbrochenem Fieber, das
erst mit dem Tode
endigte.
2) Die Pest trat dieses Mal mit noch größerer
Intensität auf und
hatte sehr häufig einen auffallend raschen Verlauf. Viele -
sagt
Agathias - wurden, ohne daß ein Fieber-Anfall oder sonst
ein
bemerkbares Anzeichen von Erkrankung vorausgegangen war, mitten in
ihren gewohnten Beschäftigungen, zu Hause oder auf
öffentlicher Straße
ergriffen und stürzten in demselben Momente, wie von einem
Schlagflüsse
getroffen, entseelt nieder. Die längste Dauer ihres Verlaufes
betrug
bis zum Eintritt der Krisis fünf Tage.
3) Wie an intensiver Stärke übertraf dieser zweite
Pestausbruch zu
Constantinopel den ersten auch an Länge der Dauer. Er währte
vom
Februar, wo er begonnen, sechs Monate, und raffte in dieser Zeit eine
ungeheure Menschenmenge hinweg, also daß auch diesmal zur
Wegschaffung
der Leichen, die in großer Zahl unbeerdigt liegen blieben, auf
Befehl
des Kaisers außerordentliche Maßregeln getroffen werden
mußten.
Obwohl kein Alter und Geschlecht verschont blieb, erkor sich
doch -
wie alle Berichterstatter übereinstimmend hervorheben - die
Seuche
diesmal ihre Todesopfer vorzugsweise unter dem jugendlichen und
blühenden Alter und in diesem wieder unter dem männlichen
Geschlechte,
eine Erscheinung, die um so mehr Beachtung verdient, als sie auch bei
anderen großen Epidemien 74, wie namentlich beim schwarzen Tode
75,
beobachtet wurde.
Außer diesem Pestausbruche zu Constantinopel findet
sich aus der
zweiten Indiction noch ein heftiges Auftreten des großen Sterbens
in
Kilikien und der dortigen Metropole Anazarbos, gegen Ende des Jahres
560 oder Anfangs 561, aufgeführt 76.
Schlußbetrachtung.
Fassen wir die Begebnisse jener Zeit, wie sie theils im
Bisherigen
geschildert wurden, theils aus der politischen Geschichte uns entgegen
treten, zu einem Gesammtbilde zusammen, so sehen wir die dem Scepter
Justinians unterworfenen Völker unter der vierfachen schweren
Geißel
des Krieges, der Pest, der Hungersnoth und der Erdbeben verheerungen
erseufzen. Welche überreiche Ernte der Tod während der langen
Herrschaft der großen Pest im ganzen Byzantinischen Reiche hielt,
läßt
sich aus dem Menschenverluste, den allein die Hauptstadt im Jahre 542
erlitt, entnehmen; es wird erklärlich, wie unter ihrem
verzehrenden
Hauche hier ganze Städte verödeten 77, dort aus Mangel an
Schnittern
und Lesern die reife Frucht auf den Halmen, die volle Traube am Stocke
verdarb, und über Feld und Flur die Stille der Urzeit sich wieder
zu
lagern schien 78; und die Schätzung des Prokopios
('Ανεκδ. c. 18), daß
durch die große Pest die Hälfte der Bewohner des Reiches
weggerafft
worden sei, wird schwerlich Jemanden zu hoch gegriffen erscheinen. Und
welch großen Theil der Bewohner mögen außerdem die
inneren Kampfe, die
auswärtigen Kriege, die fortwährenden Einfälle der
Barbaren
hinweggetilgt haben, durch welche letzteren (Prokop. l. l.) die
Römischen Untherthanen zu Hunderttausenden getödtet oder in
die
Sklaverei fortgeschleppt wurden!
Dabei ist nicht zu übersehen, daß jene
unzähligen Opfer, welche
durch die Schärfe des Schwertes und den Gifthauch der Pest fielen,
großentheils den vollkräftigen Jünglingen und
Männern, somit dem Kerne
der Völker, den vorzüglichsten Trägern ihres geistigen
Lebens
angehörten.
Stürme solcher Art, welche über ein längst
schon alterndes Reich
ergingen und einer Bevölkerung, deren geistige und moralische
Kraft in
stetem Sinken begriffen war, noch so ungeheuere materielle Verluste
zufügten, mußten hier den Gang des äußeren und
inneren Verfalls
entschieden beschleunigen, den weder die Tätigkeit eines einzelnen
fähigeren, durch tüchtige Männer unterstützten
Herrschers, noch die
momentane Emporraffung der Masse zu hemmen vermochten. Die Folgen jener
furchtbaren Stürme sind aber in der Geschichte durch zwei
offenkundige
Thatsachen ausgesprochen, durch die politische Ohnmacht des
byzantinischen Reiches vom Tode Justinians ab, und durch das auffallend
schnelle Sinken der byzantinischen Literatur gleich nach Prokopios.
Bedeutsam aber muß es erscheinen, daß zwei
große Wendepunkte in der
allgemeinen Geschichte durch das Hervortreten welthistorischer Pesten
mit ihrem Gefolge von physischen Revolutionen bezeichnet sind: das
sechste Jahrhundert, wo mit dem flüchtigen Prunkbilde einer
oströmischen Weltherrschaft der letzte Rest des alten
Römerthums und
der antiken Welt zu Grabe ging, durch die große Pest unter
Justinian,
und das 14. Jahrhundert, in welchem die erhabenen Ideen des
christlich-germanischen Lebens im Mittelalter, nachdem sie in den
Kreuzzügen ihre Verwirklichung und Verklärung gefunden, in
den
Hintergrund zu treten begannen, durch das Auftreten des schwarzen
Todes.
FUßNOTEN
1) Nach Kraus (de natur. morbi. Athen. P. 28 seq.) hatte z.
B. die
orientalische Pest in Europa in der Regel bösartige nervöse
Fieber zu
Vorläufern ihres Auftretens.
2) Darauf deutet schon die oben (pag. 20) angeführte
Bemerkung des
Prokopios, noch bestimmter aber das Zeugniß des Theophan. (p.
Par. 171
in fin.) hin: Εν τουτωι
τωι χρονωι
ουτε
πολεμος
ουτε
θανατος
επιφερομενος
τοις
ανθρωποις
επελειπεi.
3) Nach Prokop. (Pers. II. 20 u. 22), welcher zur Zeit des
Pestausbruches in Constantinopel anwesend war, erfolgte derselbe in
jener Stadt in dem Jahre, als Chosroes zum 3. Male in das Römische
Gebiet einfiel. Der erste Feldzug aber desselben, bei welchem
Antiocheia erobert ward, fand Statt, wie Prok. Pers. II, 5. angibt,
nach vollendetem 13., also im Laufe des 14. Jahres der Regierung
Justinians, oder nach Marcell., und Marius unter dem Consulate
Justinians des Jüngeren, d. i. 540 - Cf. Weigel, II. ad.
Ann. 1. - Der
dritte Feldzug des Chosroes, da derselbe seitdem jedes Jahr das
Römische Gebiet überzog, fällt somit in das Jahr 542.
- Hiemit
vollkommen übereinstimmend läßt Euagr. (hist. eccles.
IV. 29) die Pest
zwei Jahre nach der Einnahme Antiocheias auftreten. Da er den Ort nicht
näher bezeichnet, hatte er wohl sein Vaterland Syrien im Sinne,
wohin
die Pest aus Aegypten gelangte, wahrscheinlich gleichzeitig mit ihrer
Ankunft in Constantinopel. - Desgleichen Malal. XVIII. p. Oxf.
224. "im
5. Ind. Jahre." - Wenn Theop. p. P.188 angibt, die Pest sei im
Oktober
541 in der Hauptstadt aufgetreten, so liegt hierin noch kein
Widerspruch mit obigen Angaben, da einzelne Krankheitsfälle in
Folge
des Seeverkehrs mit Aegypten recht wohl schon im Herbste jenes Jahres
vorgekommen sein mögen. - Nur die Stelle bei Agathias V. 10.
scheint
von dieser Angabe gänzlich abweichend. "In diesem Jahre"
- sagt er,
indem er den zweiten Pestausbruch in Constantinopel vom Jahre 558
beschreibt - "befiel die Pest aufs Neue die Stadt, nachdem
sie niemals
gänzlich erloschen war, seitdem sie zum ersten Male, im 5.
Reg.-Jahre
Justinians in unsern Länderkreis eingedrungen." Offenbar ist
jedoch
diese Zahlangabe durch Irrthum der Abschreiber aus ιε =
15. verderbt,
so daß, wenn dem Schriftsteller sein Eigenthum
zurückgestellt wird,
damit ganz richtig das erste Auftreten der Pest in Aegypten, welches in
das 15. Reg.-Jahr Justinians = 541 fällt, bezeichnet ist.
Darnach dürften die schwankenden Angaben der Neueren
über den
Anfang der großen Pest zu berichtigen sein. So wird derselbe noch
bei
Zinkeisen, Gesch. Griechenl. I. Thl. P. 672, zwischen 541-544
angesetzt, wahrscheinlich weil Pagius und beziehungsweise Baronius in
ihren Berechnungen bis zu diesen Zahlen auseinander gehen. Cf. Vales.
Annotat. zu Euagr. l. l.
4) Prokop, Pers. II. 22. - Malal. XVIII. p. Oxf. 224.
5) Es ist eine zwar allgemeine, aber irrige Aufstellung,
daß die
große Pest 52 Jahre gedauert habe. Dieselbe beruht aus einer
unrichtigen Auffassung der oben erwähnten Stelle bei Euagrios.
Dieser
sagt aber, die Pest habe bis zu dem Zeitpunkte, da er seine
Aufzeichnungen niederschrieb (μεχρι
του δευρο), 52
Jahre gedauert, und
fügt ausdrücklich bei: "Was aber noch weiter geschehen
wird, ist
ungewiß und steht in Gottes Hand." Daraus ist aber doch klar,
daß die
Pest damals (594) weder wirklich schon erloschen war, noch ihr baldiges
Erlöschen mit einiger Sicherheit zu erwarten stand. - Die
positiven
Beweise dafür, daß sie nach 594 noch vorkam, s. m. oben im
Texte.
6) Die Zahl 15 erscheint - vielleicht nicht ohne
Bedeutung - auch
in dem Verlaufe anderer Epidemien. So wird z. B. die Pest unter Decius
etc. als eine 15jährige bezeichnet (M. s. die Quellen bei Kraus v.
43).
Auch bei Euagr. l. l. geschieht einer solchen gelegentlich
Erwähnung.
7) Irrig wird von Schnurr. I. p. 182 dieses Erlebniß
des
Schriftstellers in das Jahr 550 gesetzt.
8) Crusius, Schwäb. Chronik I. p. 209, ohne Angabe
seiner Quellen:
"Im Jahre 560 war im Orient und von da aus auch in Italien ein
grausame
Pest, welche man Inguinariam oder Bubonis hieße . . . Es
währte aber
das Uebel eine geraume Zeit." Es wäre nicht undenkbar, daß
unter der
Pest im Orient der Ausbruch von 558 gemeint ist, und daß sie
dann, wie
das erste Mal, schon im nächsten Jahre darauf nach Italien kam.
9) Paul. Diacon. de gestis langobard. II. 4.
10) Derselbe III,. 23 und Gregor. Turon. hist. Franc. X. 1.
- Cf.
Weigel, II. ad a. I. - Pabst Pelagius, eines der ersten Opfer,
starb am
8. Februar 590.
11) Paul Diacon. IV. 4.
12) Derselbe IV. 15. - (Die obigen Jahres-Angaben
entziffern sich
aus dem im folgenden Kapitel erwähnten Kriege des Königs
Theodobert mit
seinem Oheim Chlotar II., der in das Jahr 600 fällt). - In
beiden
Stellen wird zwar die Krankheit nur allgemein "pestis gravissima"
genannt. Da aber die einige Jahre vorher zu Ravenna und an anderen
Orten ausgebrochene Pest ausdrücklich (IV. 4) als inguinaria
bezeichnet
ist, so wird auch im obigen Falle, namentlich da ein abweichender
Charakter derselben nicht angegeben ist, kaum eine andere Epidemie als
die eigentliche Pest anzunehmen sein.
13) Marius Avent. In Chron. ad ann. laud.
14) Marius in Chron. a. a. l. und Gregor. Turon. hist. Franc.
IV.
31 cum not. Ruin.
15) Gregor. Tur. hist. France. VI. 14.
16) Derselbe, hist. Franc. VII. 1.
17) Derselbe, hist. Franc. IX. 21. Und 22. ("Im 13.
Jahre der
Regierung Childeberts"[II.])
18) Derselbe, hist. Franc. X. 25. ("Im 16. Jahre der
Regierung
Childeberts").
19) Fredegarii Scholast. Chron. Cap. 18. "Anno quarto
regni
Theuderici....clades glandolaria (wohl so vile als bubonum, von
glandula,
Drüse?) Massiliam etc. graviter vastavit.
20) Persic. II. 22.
21) Hist. eccles. IV. 29.
22) Cf. Kraus p. 40. Seq. Und den Bericht des
französische Arztes
Dr. Pariset, welcher sich längere Zeit in Aegypten aufgehalten
hat, in
der Allg. Zeitung, Jahrgang 1830, nr. 153 (Beilage). Die Schilderung,
welche er hier von dem argen Schmutze in den Dörfern
Unterägyptens
macht, erinnert lebhaft an die charakteristische Etymologie der Namen
Πελουσιον und
Tineh (des Ortes, der jetzt auf den Ruinen von Pelusion
steht), welche beide, ebenso wie der altägyptische Name dieser
Stadt
(Peromi) und der hebräische (Sin) "Rothstadt" bedeuten.
- Cf. Forbiger,
Handbuch d. alt. Geogr. II. p. 784.
23) Prokop. a. a. O.
24) M. s. die weiter unten anzuführende Stelle aus
Victor Tunnun.
25) Prok. Pers. II. cap. 23 zu Ende.
26) "Ind. VI. post consul. Basilli anno secundo (= 543
nach Alm.
Und Weigel). Mortalitas magna Italiae solum devastat, Oriente jam et
Illyrico peraeque attritis." Fortsetzung d. Chronic von Marcell. Com.
27) "Post cons. Basil. anno secundo....Horum
exordia malorum
generalis orbis terrarum mortalitas sequitur, et inguinum percussione
major pars populorum necatur." Vict. Tunnun. - Schwerlich konnte
Victor
von einer generalis mortalitas sprechen, wenn die Pest damals nicht
auch seinen Sprengel (Tunis) und damit die übrigen Städte der
nordafricanischen Küste schon ergriffen hatte. Ist, wie Valesius
(Anmerkung zur oben genannten Stelle des Euagrios) bemerkt, nach der
Sprechweise des Victor der Ausdruck "anno secundo p. c. B.
für anno
proxime sequente, i. e. primo, zu fassen, so ergibt sich für die
Ankunft der Pest in Nordafrica - was der Sachlage nach nicht
unwahrscheinlich ist - das Jahr 542.
28) Gregor. Turon. histor. Franc. IV. 5. "Hujus
tempore" (des hl.
Gallus, welcher als Bischof von Clermont starb, nach Ruinart um 554)
"quum lues illa, quam inguinariam vocant, per diversas regiones
desaeviret, et maxime tunc Arelatensem provinciam depopularetur, St.
Gallus etc." Da die Pest hier, wie im Verfolg der Erzählung
erwähnt
wird, acht Jahre vor dem Tode des hl. Gallus auftrat, so entziffert
sich für dieselbe das Jahr 545 oder 546. - Cf. des
nämlichen Autors
Vit. Patrum cap. VI. (de St. Gallo episcop.) n. 6.
29) Greg. Turon. de gloria martyr. Cap. 51.
30) Derselbe in libr. de gloria confessor. cap. 79.
"Sed nec illud
sileri palucuit, quod gestum est illo tempore (546 nach Ruinart), cum
lues inguinaria populum primae Germaniae devastaret. Cum autem omnes
terrentur hujus cladis auditu, concurrit Remensium populus ad Sti
(Remigii) sepulcrum etc." Und gleich darauf: "Non post multos
dies
fines hujus civitatis (der Stadt Remi, j. Rheims) lues aggreditur
memorata."
31) Prokop. de bell. Pers. II. 22.
32) Ueber Cypern, welches fast alle seine Bewohner verlor,
cf.
Deguignes, cit. bei Hecker p. 29. - Ueber Cicilien, wo u. a. die
Seestadt Trapani gänzlich verödete, vergl. J. v. Müller,
Gesch. d.
Schw. Eidg. III. Th. II. Bd. cap. 3, und die daselbst sub. not. 121 b
angeführten Quellen. - Ueber Marseille: Albert. Argent. in
Urstis.
German. hist. illustr. II. p. 147 und Monach, Rebdorf. ad ann. 1347.
-
Ueber Venedig: Chron. Neoburg. bei Pez, script. rer. Austr. I. p. 490,
Rainald. Annal. Eccl. Vol. XVI. p. 280 und Monach. Rebd. l. l. Cf.
Hecker p. 34 -35. - Ueber Lübeck s. m. Herm. Corneri
chron. in Eccard,
II. p. 1085 und Staindel. Chron. in Oefele, rer. boic. script. I. p.
521 b. Cf. Hecker p. 31. - Albert Argent. aber l. l. bemerkt
ausdrücklich: "Facte est (1348) pestilentia mortalitatis
hominum
praesertim in partibus ultramarinis et maritimis et allis, qaulis a
tempore diluvi non est facta. Ebenso Jo. Vitodurani Chron. in Eccard I.
p. 1924: "Maxime in locis maritimis, praecipue tamen in Sicilia
innumerabilem populum prostravit", und der Monach. Rebdorf. Ad ann.
1347: "....maxime in civitatibus juxta mare sitis homines
sine numero
moreibantur. - Cf. Andr. Ratisbon. etc. chronic. in Eccard, I. p.
2105.
33) L. l.: "Την
πασαν
αμοιβαδον
περιεδραμεν
(το καθος)
οικουμενην.....-
Ως δε γε ες
το ακριβες
επισκεψαιες
κατειληφαμεν,
αι
απαθεις
μεινασαι
οικαι κατα
τον εφεξης
ενιαυτος
μοναι επεπον
θεσαν.
34) Der Bruder des berühmten Florentiner
Geschichtschreiber
Giovanni Vill. und Fortzetser seines Werkes, bis auch er (1364), wie
sechzehn Jahre vorher sein Bruder, ein Opfer dieser Pest wurde.
35) Istorie (bei Muratori rer. ital. script. Tom. XIV.) IX.
107 in
X. 103 - Diese Eigenthümlichkeit im Ausbreitungsgange des
schwarzen
Todes hat weder Schnurrer noch Hecker einer näheren Beachtung
gewürdigt; von dem Ersteren wird sie nur kurz (I. p. 386)
"als
unsichere Beobachtung" erwähnt.
36) Prokop. Pers. II. 23. in f.:
Επεσκηψε
δε και εις
την Περσων γην
(also nicht blos in das nach Syrien vorgdrungene persische Heer)
και ες
βαρβαρους
τους
αλλους
απαντας.
37) W. v. die in den Noten 330 und 27) angeführten
Stellen. Ferner
Malal. XVIII. p. Oxf. 224.:
"Επηγαγε (ο
θεος) πτωσιν
ανθρωπων επι
της
γης ....εν
πασαις ταις
πολεσι και
εν ταις
χωραις.
38) Erst vom Jahre 584 findet sich eine Nachricht bei Gregor.
Turon, hist. Franc. VI. 33, der zufolge die Pest selbst, oder eine als
Vorbote derselben vorausgehende Seuche im Lande der Carpetani
wüthete,
deren Hauptort Toletum (das heutige Toledo) war.
39) Daß Prokopios dessen Schilderung von der attischen
Pest kannte,
ist aus manchen Anklängen, wie namentlich aus dem ganz
ähnlichen
Anfange seiner Beschreibung (Pers. II. 23. init.) ersichtlich, worin
er, wie jener, eine Untersuchung der veranlassenden Ursachen der Pest
ablehnt.
40) "Procopius, who observed ist progress and symptoms
with the
eyes of a physician etc." Gibbon VII. p. 378.
41) Diese Delirien gleich bei dem Krankheits-Anfalle, welche
nach
obiger Schilderung von den heftigen Delirien bei den Fieberparoxysmen
in einem späteren Stadium wohl unterschieden werden müssen,
sind, wie
dem Verfasser denkt, eine sehr bedeutsame Erscheinung. Sie treten ganz
in derselben Weise, indem auch jene vermeintlichen Verwundungen nicht
fehlen, bei dem heftigen Wiederausbruche der Bubonenpest in den jahren
746 - 748 in Unteritalien und Griechenland hervor. (Theoph. p.
Paris.
354 seqq. - Nikephor. Patr. breviar. hist. p. Par. 40 seq.
- Histor.
miscell. Lib. XXII. In Murat. rer. ital. script. I. p. 156. -
Anastas.
hist. eccles. p. 225 der Bonn. Ausgabe.) Aehnliche von Delirien
zeugende Gesichte am Anfange der Krankheits-Anfälle werden ferner
bei
der mörderische Epidemie in der zweiten Hälfte des dritten
Jahrhunderts
n. Chr. erwähnt. (Cf. Schnurrer I p. 96). Hiedurch erhalten auch
die
Berichte des Dionysios von Halikarnassos (VII. p. Steph. 345) über
die
λοιμικη
νοσος des Jahres 490 v. Chr. zu Rom,
demzufolge ungewöhnliche
Gesichte (οψεις
ουκ
ειωθυιαι) Vilen
erschienen, und Stimmen sich
vernehmen ließen, ohne daß man einen Sprechenden gewahrte,
desgleichen
des Livius (III. 5) über schreckhafte Visionen, welche der Seuche
von
463 und 464 zu Rom und in der Umgegend vorausgingen ( "portenta
aut
obversata oculis aut vanas exterritia ostentavere species....His
avertendis terroribus" etc) ihre volle Bestätigung und zugleich
ihr
richtiges Verständnis. Auch die "terrores" welche nach
Livius IV. 21
die Epidemie von 436 - 428 v. Chr. zu Rom sc. Eröffneten,
scheinen in
gleichem Sinne wie in der erstgenannten Stelle (III. 5) gefaßt
werden
zu müssen. Hieraus dürfte man zu dem Schlusse berechtigt
sein, daß die
großen Epidemien jener Zeit ziemlich allgemein mit einer heftigen
Affection des Nervensystems begannen, in welcher ohne Zweifel jene
krankhaften Störungen des Seelen-Lebens ihren Grund fanden.
42) Das Wesentliche dieser Schilderung gibt in Kürze
auch Kraus p.
47 sc, der sie jedoch irrig auf die zweite Pest-Indiction bezieht. Eine
Beschreibung der Pest (mit einigen Ungenauigkeiten in der
Benützung der
Quellen) hat auch Gibbon VII. p. 377. seqq.
43) Histor. eccles. IV. 29.
44) I. pag. 127 seqq. und beziehungsweise p. 46 ihrer
mehrerwähnten
Schriften,
45) M. s. u. Canstatt, spec. Pathologie, 2. Aufl. II. Bd. p.
443-450.
46) Gibbon VII. p. 378 sagt ohne Angabe der Quelle:
"The fifth (?)
day was commonly the term of his life." Wahrscheinlich hat derselbe die
Nachricht, welche Agathias über den Krankheits-Verlauf bei dem
zweiten
Pestauebruche zu Constantinopel im Jahre 558 gibt, auch aus den
vorliegenden ersten bezogen.
47) De gest. Langob. II. 4.
48) Pathol. II. Bd. p. 450, Par. 917
49) Sie gehört zu dem 44. Buche von des Oribasios
Ιατρικαι
συναγωγαι und steht
in Classicer. Auctorum e Vaticanis codd. editorum
curante Ang. Maio, Rom 1831, Tom IV. p. 11. Abschn. VII.
50) M. s. Canstatt, Pathol. II. Bd, p. 455, wo sich
indeß einige
Irrungen eingeschlichen haben.
51) Vergl. über dieselben Schöll, Gesch. der
Griech. Literatur,
übersetz von Plader, II. Bd. P. 772 und beziehungsweise p. 761
seq.
52) Galen. method. medendi V. (Ed. Basil. latina Tom. VI. p.
129).
53) Derselbe, de different. febr. I. (Ed. Bas. P. 120).
54) Derselbe, method. med. V. (Ed. Bas. P. 131).
55) Cf. Kraus p. 43 seq.
56) De different. febr. p. 121.
57) Cf. Canstatt II. p. 461 -466.
58) Ueber ähnliche Erscheinungen, die von neueren
Aerzten bei der
orientalischen Pest beobachtet wurden, stehe Canstatt II. p. 466.
59) Man fand in denselben - sagt Prokopios - ein
brandiges Geschwür
von ungeheuer Gröβe
("ανδρακος
δεινον τι
χρημα").
60) Daβ es auch solche gab, erhellt - wie es schon
in der Natur der
Sache liegt - auβerdem aus der Bemerkung bei Prokopios
(Pers. II. 29):
...."πολλοι...α'ει
και τους
ουδεν σφισι
ποσηκοντας η
θαπτοντες η
θεραπευοντες
etc. etc.
62) M. s. Hecker p. 32 u. 34 mit den dort angeführten
Quellen.
63) Wer vermöchte z. B. Scenen, wie die von einem
Darsteller des
letzten Krim-Feldzuges ("Unter dem Doppeladler". Herausgegeben
von
Pflug. Dritte Aufl. II. Bd. p. 168 geschilderte, ohne tiefe
Rührung zu
lesen?
64) Chronogr. XVIII. p. Oxford. 324.
65) M. s. Canstatt II. p. 438.
66) Persic. II. c. 22. "Επι
ρητοις γαρ (certa lege)
εδοκει
χωρειν
και χρονον
τακτον εν
χωραι εκαστη
διατριβην
εχειν"
67) So wird z. B. beim ersten Antreten des schwarzen Todes
die
Dauer des Einzelverlaufes überall ziemlich constant auf
ungefähr 6
Monate angegeben. (Cf. Schnurr. I. p. 330.) In der Periode seiner
spätern Wiederkehr scheint dieselbe eben so gleichmäβig
4 Monate
betragen zu haben. Der Monach. Rebdorfens. ad ann. 1361 berichtet:
"Eodem anno invaluit iterato pestilentia Avialone magna, ita quod
a
festo Paschae usque ad Pentecosten et ad festum Jacobi Apostoli (bis
zum ersteren Zeitpunkte währte die Pest vielleicht mit
gröβerer
Heftigkeit) moriebantur XVII milia hominum etc. etc.; und das Chron.
anonym. de ducib. Bavar. in Oefele, rerum hoic. script. Tom. I. p. 44b
bemerkt von einer abermaligen Wiederkehr der Pestseuche i. J. 1373, die
sich über Constantinopel, Venedig und das südwestliche
Deutschland
erstreckte: "....per quatuor menses, videlicet Julium
- Octobrem
...saeviit..."
68) Agath. V. p. Par. 146.
69) II. 53.
70) So n. A. Matteo Villani, istorie (in Murat. rer. ital.
script.
Tom. XIV.) I. 4. u. 5. - Desgleichen die Limburger Chronik in
Eccard.
Corp. hist. med. aev. Tom. 1. und Martin. Fuldens. chronic. in Eccard.
I. p. 1728.
71) Agath. V. p. Par. 153.
72) Theop. ed. Par. P. 195. - Malal. XVII. p. Oxf. 238.
Letzterer
hat als Zeitangabe - wahrscheinlich irrthümlich - den
Dezember des 4.
statt des 5. Indiction-Jahres.
78) Agath. l. l. - Theoph. p. Par. 197. - Malal.
XVIII. p. Oxf.
234. - Kedren. p. Par. 385. - In der Zeitangabe stimmen
Alle vollkommen
überein: der Pestausbruch erscheint bei ihnen im
nächstfolgenden Jahre
nach der groβen Erdbeben-Katastrophe (von 557) aufgeführt;
Theoph. und
Malal. geben für denselben noch auβerdem das 6. Indict. Jahr
(558),
Kedrenos, mit Rücksicht auf den Anfang der Seuche im Februar, das
31.
Regierungs-Jahr Justinians an, welches von seiner Erhebung zum
Mitregenten (1. April 527) gerechnet, seit 1. April 557 lief.
74) Livius III. 6 und Oros. II. 12 berichten Dasselbe von der
verheerenden Seuche der Jahre 463 und 462 v. Chr. zu Rom.
75) M. s. die Nachrichten im Monach. Rebdorfens. ad ann. 1347
und
in Andr. Ratisbon. et Chraft. Chron. bei Eccard I. p. 2105
76) Theoph. p. Par. 190.
77) Euagr. IV. 29.
78) Paul. Diac. de gest. Langob. II. 4.
________________________________________________________________________
Die
Epidemien-Periode des
fünften
Jahrhunderts
vor Christus
und
die gleichzeitigen
ungewöhnlichen
Natur-Ereignisse.
Mit besonderer
Berücksichtigung der
attischen Pest.
Aus den Quellen bearbeitet
als
Programm
zum Schlusse des Studienjahrs
1868/69
von
Valentin Seibel
Professor der Philologie und der
Geschichte am k. Lyceum zu
Dillingen
Dillingen
Druck der A. Kolb'schen
Buchdruckerei
Vorwort.
Als der Verfasser im Jahre 1857 als Programm für die
hiesigen k.
Studien-Anstalten eine aus den Quellen bearbeitete Darstellung der
großen Pest im Zeitalter Justinians I. und der sie einleitenden
und
begleitenden ungewöhnlichen Naturereignisse, als einer
großen in sich
abgeschlossenen Periode einer gewaltigen Revolution, der
Oeffentlichkeit übergab, sah er sich in den Gefühle der
Befangenheit,
da er sich bewußt war, als Laie in den medicinischen
Wissenschaften auf
ein ihm theilweise fremdes Gebiet sich gewagt zu haben,
veranlaßt, im
Voraus die wohlwollende Nachsicht seiner Leser, und insbesondere der
Männer vom Fache unter denselben, in Anspruch zu nehmen. Diese
Nachsicht ist demselben auch, wie er mit dem innigsten Danke erkennen
muß, und zwar von Männern des Faches, zum Theile weit
über das Maß
seiner bescheidenen Erwartung und seines geringen Verdienstes, zu Theil
geworden. Nachdem sein Programm in dem Berichte über die
Leistungen in
der Geschichte der Medicin und der epidemischen Krankheiten für
1857
Nro. 11 von Professor Dr. H. Häser, desgleichen im ärztlichen
Intelligenz-Blatt Jahrg. 1858 Nro. 20, einer Anzeige und sehr
anerkennenden Beurtheilung gewürdigt worden war, hat Herr
Professor
Häser, der von seinen Fachgenossen als eine der ersten
Autoritäten auf
dem Gebiete der historischen Pathologie anerkannt ist, in seiner
Geschichte der epidemischen Krankheiten, 2. Auflage (Jena 1865) von
Seite 41-43, unter Hinweisung auf das oben erwähnte Programm
des
Verfassers, und mit der ehrendsten Anerkennung seiner - in
Wahrheit nur
sehr untergeordneten - Leistungen, die in jenem Programme
gegebenen
Ausführungen über die mannigfaltigen Erschütterungen des
Naturlebens,
über den Gang und die Verbreitung der Pest, sowie über die
Nachwirkungen und Folgen derselben, somit also den eigentlich
historischen Kern jener Abhandlung, dem wesentlichen Inhalte nach,
theilweise mit wörtlichen Anführungen aus derselben, in seine
Darstellung der Justinianischen Pestperiode aufgenommen. Desgleichen
hat ein hochverehrter Collega des Verfassers, Herr med. Dr. Höh,
Professor am k. Lyceum zu Bamberg, in seinem Werke "Gift und
Contagium"
Leipzig 1862, bei der kurzen historischen Skizze, die er von den drei
großen weltgeschichtlichen Pestseuchen gibt, bezüglich der
Pest unter
Justinian (pag. 683 u. f.) das mehrerwähnte Programm wesentlich zu
berücksichtigen nicht Anstand genommen.
Diese gütige Nachsicht, die seine Arbeit gefunden, hat
den
Verfasser ermuthigt, in diesem Jahre, da der übliche Turnus in der
Abfassung des jährlichen Programms für die hiesigen
Studien-Anstalten
wieder an ihn gekommen ist, mit einem Versuche verwandten Inhalts sich
hervorzuwagen, und das Ergebniß seiner Studien über die
große
Seuchenperiode des 5. Jahrhunderts vor Christus, die, zum Theil unter
zahlreichem Gefolge von verschiedenartigen Erschütterungen des
Naturlebens, die Zeit von 480 - 412 - mit Abrechnung einer kurzen
Zwischenpause - umfaßt, und von der die sogenannte attische
Pest nur
ein einzelnes Glied bildet, zunächst dem engern Kreise verehrter
Amtsgenossen mitzutheilen.
Zur Wahl dieses Stoffes hat den Verfasser auch noch der
Umstand
bewogen, daß, so vielfach auch die attische Pest theils in
besonderen
Monographien, theils in umfassenderen Werken historisch-pathologischen
oder allgemein geschichtlichen Inhalts behandelt worden ist, die
außerhalb Attika in verschiedenen Ländern, und namentlich in
Italien,
theils ungefähr um dieselbe Zeit, theils schon früher
aufgetretenen
verheerenden Seuchen, welche in dem letzteren Lande wiederholt in
streng regelmäßigen Zeit-Intervallen sich einstellten, und
mit der
attischen Pest und den zahlreichen Erdbeben, vulkanischen Eruptionen
sc. dieser Zeit, zu einem großen Ganzen einer umfassenden
Epidemien-Periode zusammen gehören, weder für sich allein,
noch in dem
angedeuteten Zusammenhange, so weit dem Verfasser bekannt ist, bisher
näher betrachtet worden sind. Auch in der Behandlung der attischen
Pest
selbst, die er zur Vervollständigung des Gesammtbildes für
nöthig er
achtete, glaubt er, namentlich durch eingehende Erörterung der
bedeutsamen Nachwirkungen und Folgen derselben in materieller und
geistiger Beziehung, wenigstens einzelne neue Gesichtspunkte zur
richtigen Würdigung dieses für das hervorragendste
Cultur-Volk des
Alterthums so verhängnißvollen Ereignisses sowohl vom
allgemein
geschichtlichen als vom culturhistorischen Standpunkte geboten zu
haben.
Schließlich erübrigt dem Verfasser nur, den Wunsch
auszusprechen,
daß vorliegende Arbeit einer gleich wohlwollenden Nachsicht, wie
seine
frühere, sich möge zu erfreuen haben.
Quellen und Hilfsmittel.
A. Quellen
s) Gleichzeitige Schriftsteller:
Thukydides, zugleich Augenzeuge der Seuche zu Athen von
430-426 v.
Chr.
Hippokrates, ebenfalls Augenzeuge der Epidemie an
verschiedenen
Orten und ausübender Arzt.
b) Spätere Schriftsteller:
Diodoros von Sicilien, unter Cäsar und Augustus,
Dionysios von Halikarnassos, unter Augustus lebend.
Livius, †18 n. Chr.
Plutarchos, † 120 n. Chr.
Galenos, † um 200 n. Chr.
Außerdem vereinzelte Notizen bei Herodotos, Strabon,
Eusebios
(Chronic.), Ammianus Marcellinus, Paulus Orosius, dem unbekannten
Verfasser der - gewöhnlich dem Soranos zugeschriebenen
- Biographie des
Hippokrates, sc. sc.
B. Hilfsmittel und neuere
Bearbeitungen.
Die Erklärer zu Thucydides II. 47-SS, insbesondere
Poppo, edit.
maj. und minor, und der neueste Herausgeber Classen.
Die Monographie über die attische Pest von Fabius
Paulinus (Venet.
1603), Sprat (Lond. 1676), Euerel (Wien 1810), Georgiades (Hal. 1815),
Meister (Züllichau 1816), Schönke (Lips. 1821), Grimm
(Rostock 1829),
Ireland (Lond. 1332), Biedrlack (Berol. 1841). Die vollständigen
Titel
nebst kurzer Würdigung ihres Werthes findet man bei Häser
(Epidem.-Geschichte). Hier sollen nur zwei von dem
Verfasser benützte Monographien vollständig
aufgeführt werden:
Kraus, disquisito historico-medica de natura morbi
Atheniensum,
Stuttg. 1831, und
Brandeis, die Krankheit zu Athen, nach Thucydides; mit
erläuternden
Anmerkungen. Stuttg. 1845.
Häser, Geschichte der epidemischen Krankheiten, 2. Aufl.
Jena 1865.
Hoff, Geschichte der Veränderungen der
Erdoberfläche.
Wachsmuth, hellenische Alterthumskunde.
Curtius, griechische Geschichte, II. Band.
Niebuhr, Vorträge über alte Geschichte und
über römische
Geschichte; ferner dessen römische Geschichte.
Schwegler, röm. Geschichte.
Bernhardy, Grundriß der griechischen Literatur, 3.
Bearbeitung, I.
Theil.
Einleitendes.
Die aus dem 5. Jahrhundert vor Christus uns
überlieferten
ungewöhnlichen Natur-Erscheinungen bilden, übereinstimmend
mit den
neben ihnen her ziehenden Epidemien 1 - man sehe die am Schlusse
beigefügte Uebersichtstabelle - zwei Gruppen, eine intensiv
minder
bedeutsame, gleichsam eine Vorgruppe (480-452), und eine
bedeutsamere
oder Hauptgruppe (436-412), welche durch einen 16jährigen
Stillstand in
beiderlei Ereignissen, von 442-436 v. Chr., gesondert sind. In
beiden
Gruppen aber ist um die Mitte ihres Zeitverlaufes, und zwar sowohl bei
den Erdbeben und sonstigen Natur-Phänomenen, als auch bei den
Seuchen,
ein gewisses Culminiren ersichtlich, und zwar so, daß die
Erscheinungen
der einen wie der andern Art entweder gleichzeitig oder doch in
unmittelbarer Aufeinanderfolge die Höhenpunkte ihres Verlaufes
erreichen. In der ersten Gruppe erscheinen die häufigsten
Störungen im
Ganzen der äußern Natur in die Zeit von 464-456 (454)
zusammengerückt,
und in derselben Zeit, in den Jahren 463-462, treten die Seuchen
mit
der größten Heftigkeit und wahrscheinlich auch in der
größten
Ausbreitung auf. In der zweiten Gruppe erreichen die tellurischen
Revolutionen zwischen den Jahren 428-420 an Heftigkeit und
Ausdehnung
ihren Höhenpunkt: theils unmittelbar vor, theils noch in diese
Jahre,
zwischen 433-427, fallen auch die furchtbarsten Störungen in
der
Lebensthätigkeit des menschlichen Organismus durch die
verheerendsten
und umfassendsten Seuchen, welche in den Jahren 430, 429 und 427 zu
Athen die höchsten Schrecknisse ihrer mörderischen Gewalt
entfalten,
während zu gleicher Zeit auch Italien, das Nilthal und ein
großer Theil
der Länder des persischen Reiches von ihrem verpestenden Hauche
berührt
werden.
Uebersichtliche Darstellung des
Einzelnen.
- Gruppe.
a) Die Erdbeben und
ungewöhnlichen
Natur-Ereignisse.
Dem Beginne der eigentlichen Periode jener gewaltsamen
Natur-Bewegungen steht um 10 Jahre voraus ein Erdbeben auf Delos, einer
Insel der Kykladen-Gruppe, welches im Jahre 490, kurz nach der Abfahrt
der persischen Flotte unter Datis aus jener Meeresgegend nach Eretria,
sich ereignete 2, und bei der physischen Beschaffenheit dieser Insel
auf die Zeitgenossen einen mächtigen Eindruck hervorbringen
mußte. Die
bekannte Sage 3 von dem Festwerden dieses ehedem schwimmenden Eilandes,
seitdem Leto dort Mutter geworden, weiset zwar auf heftige neptunische
Störungen in der vorhistorischen Zeit hin. Aber seit der Zeit der
beglaubigten Geschichte war Delos dadurch berühmt, daß es
von den im
ägäischen Meere häufigen Erderschütterungen nur
höchst selten
heimgesucht wurde 4. In der That berichtet Herodotos - nach
seinen bei
den Einwohnern selbst eingezogenen Erkundigungen -, daß
dieses Erdbeben
erst seiner Zeit das erste und letzte auf dieser Insel gewesen sei, und
erkennt in demselben eine von der Gottheit an Hellas ergangene
Vorherverkündigung der kommenden schweren Leiden, deren dieses
Land
während der Regierungen der drei Großkönige Dareios,
Xerxes und
Artaxerxes eine größere Zahl erduldet, denn in zwanzig
Menschenaltern
vorher 5
Vom Jahre 480 berichtet derselbe Geschichtschreiber 6 ein
außerordentliches Phänomen im ägäischen Meere bei
der Stadt Potidaia,
welches ohne Zweifel, wie die weiter unten zum Jahre 426
anzuführenden
Meeres-Einbrüche, mit gleichzeitigen - nicht näher
bekannt gewordenen -
Erderschütterungen im Zusammenhange stand. Als bei dem Abzuge des
persischen Heeres aus Hellas in Folge der Seeschlacht bei Salamis der
persische Feldherr Artabazos mit einem Theile der Truppen, die bestimmt
waren, unter Mardonios in Thessalien und Makedonien
zurückzubleiben,
die Stadt Potidaia belagerte, welche, wie die Städte auf der
benachbarten Halbinsel Pallene, der persischen Obmacht sich zu
entziehen gesucht hatte, begab es sich im dritten Monate der
Belagerung, daß eine ungewöhnlich starke und lang andauernde
Ebbe die
Meeresgewässer weit von der Küste des Festlandes
zurückzog. Die Buchten
und Meereseinschnitte umher waren trocken gelegt oder zu seichten Waten
geworden. Da gedachten die Perser quer durch eine dieser Buchten nach
der Halbinsel Pallene überzusetzen, deren Städte den
Potidaiaten
Hilfstruppen gesendet. Aber ehe sie noch die Hälfte des Weges
zurückgelegt, trat die Fluth ein, mit so ungewöhnlicher
Stärke und
Ausdehnung, wie dies nach der Versicherung der Eingebornen noch nie der
Fall gewesen war. Die Perser kamen theils in den Wellen um, theils
wurden sie von den zu Schiffe herbeieilenden Potidaiaten in den Fluthen
niedergemacht. Der Verlust derselben war so groß, daß
Artabazos die
Belagerung aufhob und die Trümmer des Heeres, welches bei seiner
Ankunft in dieser Gegend 60,000 Mann betragen hatte, zu Mardonios nach
Thessalien führte. Nicht lange vorher war auch die von Xerxes
über den
Hellespont geschlagene Brücke durch einen heftigen Sturm
zerstört
worden 7.
Ein Jahr später, 479, erfolgte nach längerer Ruhe
ein heftiger
Ausbruch des Aetna 8, der wahrscheinlich mit kurzen Unterbrechungen
durch vier Jahre sich fortsetzte 9 denn noch 475 entfloβ ein
verheerender Lavastrom diesem Vulkane 10, dessen unheimliche
Thätigkeit
sich übrigens weit hinauf in das graue Alterthum verliert, da
- nach
den Angaben eines einheimischen Schriftstellers 11 - schon die
ältesten
Bewohner der Insel, die Sikaner, durch häufige
Lava-Ausströmungen des
Aetna sollen veranlaßt worden sein, den östlichen Theil
Siciliens
aufzugeben und auf den westlichen sich zu beschränken.
Alle diese Ereignisse wurden an Schreckhaftigkeit des
Auftretens
und Bedeutsamkeit der Folgen bei weitem durch das furchtbare Erdbeben
übertroffen, welches Sparta 12 um das Jahr 464 13 heimsuchte und
den
nächsten Anlaß zum Ausbruch des dritten messenischen Krieges
gegeben
hat. So häufig auch Erdbeben in Lakonien waren 14, so wird uns
doch
weder aus früherer noch aus späterer Zeit ein Ereigniß
von ähnlicher
Heftigkeit in diesem Lande berichtet. An vielen Stellen klaffte die
Erde auf; von dem wankenden Taygetos rissen sich einige Felsgipfel los
und stürzten zerschmetternd in das Thal nieder; die Stadt Sparta
selbst
ward in einen Schutthaufen verwandelt, aus welchem nur wenige
Häuser,
emporragten. Ueber 20.000 Menschen, darrunter viele spartanische Knaben
und Jünglinge, die eben in einer Stoa den Leibesübungen
oblagen, fanden
unter den stürzenden Trümmern ihr Grab 15. Zu den
Schrecknissen der
Natur kam noch die drohende Gefahr einer allgemeinen Erhebung der
Heloten. Diese nämlich, die in den Perserkriegen mitgefochten
hatten
und dabei ihre Kraft mochten kennen gelernt haben, glaubten in der
allgemeinen Verwirrung und bei dem großen Verluste an streitbaren
Männern in Sparta eine günstige Gelegenheit gefunden zu
haben, sich der
Dienstbarkeit ihrer harten Herren zu entziehen und eilten, so wie sie
von dem Vorgefallenen vernommen, vom flachen Lande allenthalben
bewaffnet herbei. Der König Archidamos rettete zwar durch die
Entschlossenheit und Geistesgegenwart, womit er sogleich die geeigneten
Maßregeln traf, die Stadt vor der ersten und dringendsten Gefahr
eines
Ueberfalles durch die Heloten. Doch konnte der tapfere König nicht
hindern, daß jene, über das ganze flache Land sich
zerstreuend, aller
Orten die zu gleicher Dienstbarkeit geknechteten Messenier aufwiegelten
und, indem sie in Verbindung mit ihnen die messenische Bergveste
Jihonte besetzten, einen förmlichen Krieg gegen die Spartaner
eröffneten, der erst nach zehn Jahren, und keineswegs zum
Vortheile der
Letzteren, beendigt ward. Es darf zur richtigen Würdigung der
Tragweite
dieses Ereignisses nicht übersehen werden, daß die schweren
Wunden,
welche dieser Krieg und namentlich das vorausgegangene Erdbeben dem
spartanischen Staate schlug, für die ganze Folgezeit dort sichtbar
blieben. Denn die beträchtlichen Verluste an spartanischen
Bürgern,
welche der Staat hier wie dort erlitt, legten den ersten Grund zu der
großen Verringerung jenes geschlossenen Bürger-Standes, die
am
fühlbarsten nach dem peloponnesischen Kriege hervortrat. Mit
diesem
gingen aber die tiefeingreifenden Veränderungen in der Ordnung des
Grundbesitzes gleichen Schritt, mit deren Verfall der
altehrwürdigen
Lykurgischen Verfassung aller Halt entzogen, und in der Folge eine
förmliche Oligarchie der geringen Zahl der vollberechtigten
Altbürger
(όμοιοι) herbeigeführt werden
mußte 16.
In demselben Jahre, da in Sparta das furchtbare Erdbeben
wüthete -
464 -, wurden in Rom ungewöhnliche Feuer-Erscheinungen am
Himmel -
vielleicht Nordlichter? - wahrgenommen 17; auch gespenstische
Schreckgestalten glaubten Einzelne zu erblicken 18. Die Aufregung der
Gemüther war so groß, daß der Senat für
nöthig fand, eine dreitägige
Feier anzuordnen, während welcher alle Tempel sich mit Schaaren
von
Betenden füllten.
Dieselben Erscheinungen kehrten, nachdem Rom in der
Zwischenzeit
von einer mörderischen Seuche schwer betroffen worden war, nach
drei
Jahren - 461 - wieder 19, mit größerer
Heftigkeit, und begleitet von
anderen, deren einige, wie Dionysios bemerkt, ohne Beispiel in
schriftlichen Aufzeichnungen oder mündlichen Ueberlieferungen
waren. Am
Himmel, auf der Erde und in der Luft schien in gleicher Weise der
gewöhnliche Gang der Natur unterbrochen: dort erblickte man
leuchtende
Meteore, die das Firmament durchzuckten, und feurigrothen Schein, der
ruhig auf derselben Stelle blieb 20; die Erde erbebte von anhaltenden
Erschütterungen und aus ihrem Schooße ertönte dumpfes
Tosen; durch die
Luft zogen gespenstische Erscheinungen
(μορφαι
ειδωλων, Dionysios) in
mannigfach wechselnden Gestalten, und schreckhafte Töne klangen an
das
Ohr der Menschen. Größere Bestürzung noch erregte ein
anderes, bis
dahin ganz unerhörtes Phänomen. Es fielen nämlich
größere und kleinere
Flocken einer fleischartigen Substanz vom Himmel, welche theils noch in
der Luft von Schaaren allerlei Gevögels weggehascht wurden, theils
in
Rom und der Umgegend zur Erde niederkamen und dort mitunter einige Tage
liegen blieben, ohne Farbe oder Geruch zu ändern, oder sonstige
bemerkbare Spuren eingetretener Fäulniß zu zeigen.
Bei solchen ungewöhnlichen Natur-Ereignissen erschienen
die
gewöhnlichen Sühnmittel nicht ausreichend, und der Senat
erachtete für
nöthig, die heiligen Bücher befragen zu lassen.
Noch hat sich in dem Sammel-Werke des Joannes Skobaios 21
eine
Stelle aus Wellan's Ποικιλη
ίστορια erhalten, in welcher eines
Aetna-Ausbruches im 1. Jahre der 84. Olympiade (456) gedacht, und
berichtet wird, zwei edle Jünglinge von Katane, Philonomos und
Kallias,
hätten damals ihre Väter auf ihren Schultern vor dem
hereinbrechenden
Lavastrome glücklich geflüchtet 22. Allein da Thukydides 23,
jedenfalls
ein viel verlässlicheren Gewährsmann, als der diesem
Ereignisse bei
weitem ferner stehende Aelian, zwischen den Ausbrüchen von 475 und
425
einen mittleren nicht kennt, so ist sicher anzunehmen, daß obige
Angabe
auf einem Irrthume oder auf einem Fehler in den Handschriften beruhe,
und jenes Ereigniß wahrscheinlich einer viel früheren,
vielleicht der
vorhistorischen Zeit angehöre, worauf auch die Abweichungen, die
sich
bezüglich der Einzelheiten dieser Sage in andern Schriftstellern
finden, Hinweisen 24.
d) Die Epidemien.
Während der Kreis der Erderschütterungen und
ungewöhnlichen
Natur-Ereignisse dieser Gruppe sich über Griechenland, Italien und
Sicilien ausdehnte, scheinen die neben denselben hergehenden
Störungen
im animalischen Leben ihre Berührungs-Sphäre nach den
erhaltenen
Nachrichten nur auf Italien und vielleicht einzelne Inseln und
Küstenländer des ägäischen Meeres beschränkt
zu haben. Denn die Seuche,
welche im Landheere des Xerxes auf dessen Rückmarsche von
Thessalien
nach dem Hellespont wüthete 25 steht jedenfalls mit den italischen
Epidemien dieser Periode in keinerlei Verbindung. Sie war eine heftige
Ruhr (δυσεντερίη,
Herod.), erzeugt durch die unzureichenden und
schlechten Nahrungsmittel des übel versorgten Heeres während
der
furchtbaren Anstrengungen aufreibender Eilmärsche. Ganz anderer
Natur
waren die Epidemien, welche in dieser Zeit Italien und namentlich Rom
betrafen, dessen vulkanische, ungesunde Umgebung für verheerende
Seuchen ein fruchtbarer Boden war 26.
Nach den vorhandenen Quellen lassen sich vier
größere Stürme
unterscheiden, die in dieser Periode über die Bevölkerung der
Halbinsel
dahingingen und die, wenn sie auch manches Abweichende in ihrer
äußeren
Erscheinung und in dem Bereiche der ihrem zerstörenden Hauche
zunächst
ausgesetzten Lebensalter zeigen, doch alle in der Größe der
angerichteten Verheerungen übereinstimmen.
Der erste dieser Angriffe, der eigenthümlicher Weise dem
Beginne
der eigentlichen Epidemien-Periode ebenso um ein Bedeutendes
voransteht, wie das Erdbeben zu Delos der um 480 beginnenden Gruppe der
ungewöhnlichen Natur-Ereignisse, umfaßt die Seuchen von 492
und 490 vor
der aer. vulg. Die erstere derselben - im Jahre 492 - war
namentlich
den Völkern verderbliche 27. Diese, kurz vorher von den
Römern besiegt,
ersahen sich einen günstigen Zeitpunkt, da Rom von Mangel und
Siechthum
hart bedrängt war, und rüsteten in der Stille zu einem neuen
Angriffskampfe. Da brach unter ihnen ein schreckliches Sterben
(ηθορος)
aus, das unter jeglichem Geschlechte, Alter und Stande wüthete und
in
der volkreichen Stadt Velitrae allein neun Zehntel (?) der
Bevölkerung
dahinraffte. Die Volker mußten von ihrem Vorhaben abstehen; in
die
verödete Stadt Belitrae aber wurden römische Colonisten
gesendet.
Ueber die Art und die Erscheinungen der Krankheit schweigt
der
einzig erhaltene Bericht des griechischen Gewährsmannes.
Zwei Jahre darauf - 490 - ward Rom selbst von
einer Seuche (λοιμινη
τις νοσος) heimgesucht
28, welche unter Menschen und Thieren hauste,
und unter letzteren große Verheerungen anrichtete, während
bei den
ersteren ein tödtlicher Ausgang nicht häufig war.
Eigenthümlicher Art
sind die Erscheinungen, die dem Auftreten der Krankheit, wie es
scheint, unmittelbar voraus, oder vielleicht zum Theil auch neben
hergingen und auf eine krankhafte Störung der
Nerventhätigkeit
schließen lassen: ungewöhnliche Gesichte
(οψεις ουκ
ειωθυται), welche
Vielen erschienen, Stimmen, welche sich vernehmen ließen, ohne
daß man
einen Sprechenden wahrnahm, Frauen, vom Geiste der Weissagung
plötzlich
erfüllt und der Stadt Unglück verkündigend. Nicht minder
seltsam ist
ein anderes Phänomen, das zu gleicher Zeit mit jenen Visionen
beobachtet ward: man sah häufig Geburten von Menschen und Thieren
von
ihrer naturgemäßen Gestalt und Bildung, mit der sie zur Welt
gekommen,
zu Mißgestaltungen entarten (εις
το απιστον
τε και
τερατωδες
εφεροντο).
Ob, oder in wie weit dieser Angabe Glaube zu schenken sei, mögen
Fachmänner entscheiden; wenigstens läge hier ein analoger Fall, wie in
der Krankheits-Erscheinung der nächstfolgenden Epidemie von 472,
vor. Wie dort vorzugsweise das Leben und die Entwicklung der ungeborenen
Leibesfrucht krankhaft ergriffen ward, so hätte hier, obigem Berichte
zufolge, die verderbliche Macht der Seuche in ihrem ersten Stadium sich
vorzugsweise gegen das Neugeborene von Menschen und Thieren gerichtet
und dessen naturgemäße Entwicklung und Ausbildung
gestört.
Ob übrigens diese Epidemie zu Rom zu der kurz vorher im
Volsker-Lande aufgetretenen in näherer Beziehung stand, ob sie
vielleicht eine abgeschwächte, und theilweise durch locale
Ursachen modificirte Nachwirkung der volskischen war, muß bei der
Mangelhaftigkeit der Nachrichten dahin gestellt bleiben.
Ungleich schwerer ward Rom von dem zweiten Sturme betroffen,
welcher (472) 18 Jahre später eintrat 29. Angekündigt durch
mancherlei ungewöhnliche Erscheinungen - über deren Art etwas
Näheres nicht berichtet wird - brach daselbst eine heftige und tödtlich
erlaufende Epidemie aus (νοσος
καλουμενη
λοιμικη και
θανατος
όσος ουπω
προτερον,
Dionys.), welche in ihrem ersten Stadium vorzugsweise das Fötus-Leben
zum Ziele ihrer mörderischen Angriffe zu nehmen schien. Schwangere
Frauen, in großer Zahl von ihr befallen, gebaren vor der Zeit,
oder todte Kinder und erlagen selbst mit dem Geborenen im Akte der
unglücklichen Geburt. Nach zahlreich abgeforderten Opfern trat
eine längere Pause ein, während welcher die im allgemeinen Unglücke
gedämpfte Flamme der innerne Kämpfe zwischen den Patriciern
und Plebejern mit neuer Heftigkeit aufloderte. Aber noch im selben Jahre
trat auch die Seuche mit erneuter Wuth wieder auf, die jetzt von Rom
auch über die übrigen Länder Italiens sich verbreitete
und in diesem zweiten Stadium ihrer Erscheinung kein Alter, kein Geschlecht, keine
Körper-Constitution verschonte. Nirgends aber hausete sie
schrecklicher, als in Rom selbst, wo weder menschliche Hilfe Linderung
gewährte - denn mit und ohne Pflege starben die Befallenen,
und keine Arznei vermochte dem Uebel zu steuern -. noch Opfer und
öffentliche Bittgänge Erfolg hatten. Zum Glücke war sie nicht von Dauer;
dadurch allein ward, wie Dionys, berichtet, die Stadt vor gänzlicher Verödung
bewahrt. Rasch wie ein Meßbach oder eine Feuersbrunst war sie mit
aller Macht hereingebrochen: aber so wüthend ihr Anfall gewesen, so
schnell war auch ihr Verschwinden.
Ueber das Wesen und die Symptome der Krankheit entbehren wir
auch
hier aller Nachrichten.
Der dritte große Einbruch fand nach 9jähriger Ruhe
in den Jahren
463 und 462 Statt. Nach Orosius 30 erfolgte zwar schon einige Jahre
früher - 467 oder 466 - ein Anfall; dieser kann
jedoch, auch wenn man
der ganz isolirt stehenden Angabe dieses späteren Schriftstellers
Glauben beimessen will, in keinem Falle von Bedeutung gewesen sein.
Dagegen war dieser dritte Krankheitssturm nach den Schilderungen der
Quellenschriftsteller 31 entschieden der heftigste und verderblichste,
der bisher über Rom ergangen war.
Nach dem Berichte des Dionysios befiel die Seuche zuerst das
auf
den Fluren weidende Heerdevieh, welches fast gänzlich
hinweggerafft
wurde, und erfaßte dann die Hirten und Landleute, bis das Uebel,
über
alles flache Land verbreitet, zuletzt auch in die Stadt einbracht 32.
Von den ersten Tagen des Septembers an, wo die Epidemie -
wahrscheinlich unter Begünstigung der zu dieser Jahreszeit
herrschenden
ungesunden Südwinde 33 - zum Ausbruch gekommen, hielt sie
mit bisher
unerhörter Heftigkeit bis in das folgende Jahr ununterbrochen an,
indem
sie unter allen Schichten der Bevölkerung wüthete, aus
jeglichem
Geschlechte und Lebensalter zahlreiche Opfer forderte. Am meisten
scheint sie jedoch, wie früher die Neugeborenen, oder die
ungeborene
Leibesfrucht, diesmal die in voller Lebenskraft stehenden
Jünglinge und
Männer 34 zum Ziele ihrer Angriffe ersehen zu haben, ein Umstand,
der
um so mehr beachtet zu werden verdient, als derselbe in verschiedenen
Epidemien älterer und neuerer Zeit wiederkehrt 35.
Einen bedeutsamen Zug erhält dies Gemälde durch die
mannhafte
Haltung der Leiter des römischen Gemein-Wesens. Aequer und Volsker
wollten, diese Zeit furchtbarer Bedrängniß benützen,
und griffen, um
die Römer aller Unterstützung von Seite ihrer
Verbündeten zu berauben,
rasch die Latiner und Herniker an. Als Gesandte dieser Völker
Hilfe
suchend in Rom erschienen, war an diesem Tage eben der Eine Consul,
Aebutius an der Seuche gestorben, der andere, Servilius, trug, von der
Krankheit gleichfalls ergriffen, schon den Tod im Herzen. Doch
versammelte er den Senat, der, durch Todesfälle gezehntet, nur
unvollständig zusammentrat; viele seiner Mitglieder mußten
sich, schwer
erkrankt, in Sänften zur Curie tragen lassen. Dort ward den
Gesandten
der Bescheid, man sei für jetzt nicht im Stande sie zu
schützen und
überlasse es ihrer Tapferkeit, die Einfälle der Feinde
abzuwehren. Die
Aequer und Volsker drangen hierauf, nachdem sie die wider sie
ausgerückten Herniker geschlagen, plündernd allmählig in
das römische
Gebiet, und bedrängten, da sie auf dem flachen Lande nirgends
Widerstand gefunden, die Städte selbst, in welche vor ihrem Anzuge
die
Landbewohner mit ihren Heerden sich mochten geflüchtet haben.
Allein
die Bürger Roms, obwohl nun beider Consuln beraubt - denn
auch
Servilius war kurz vorher gestorben - und obwohl Krankheit und
Sterben
die Reihen der waffenfähigen Bevölkerung so sehr gelichtet,
daß die
rüstigeren Männer des Rothes dem Postendienst auf den Mauern
sich
unterziehen mußten, vertheidigten die Stadt mit
heldenmüthiger
Anstrengung. Die Feinde gaben daher die Hoffnung auf, der wehrlos
gewähnten Stadt sich zu bemächtigen, und kehrten unter
Verheerungen
nach Hause 36. An eine Verfolgung derselben konnte natürlich nicht
gedacht werden.
Erst nach dem Amts-Antritte der Consuln des nächsten
Jahres 462 -
es geschah derselbe aber in diesem Jahre am 11 Augusts 37 -
erlosch die
Seuche 38.
Daß dieselbe sich diesmal über das römische
Gebiet hinaus
verbreitet, und, wie Niebuhr anzunehmen geneigt ist 39, auch die
Volsker und Aequer ergriffen habe, wird nirgends erwähnt, ist auch
aus
dem Grunde nicht wahrscheinlich, weil beide Völker im Jahre 462
wieder
feindlich in die Ländereien der Herniker einfielen, von wo aus
eine
Schaar sogar bis in die Nähe Roms sich vorwagte, in der Hoffnung,
durch
einen kecken Handstreich sich vielleicht der Stadt zu bemächtigen,
oder
den Römern wenigstens eine Diversion zu machen 40.
Anlangend die Natur dieser Krankheit und ihre
Erscheinungsformen,
so hat sich zwar hier so wenig wie bei den früheren eine
Aufzeichnung
erhalten; beachtenswerth dürften jedoch jene oben berichteten
Störungen
im Bereiche des Seelen-Lebens erscheinen, die dem Anfange der Seuche
vorausgingen und ihrem Erlöschen folgten. Die Bedeutung derselben
und
ihre Beziehung zu der Seuche selbst gewinnt durch die Vergleichung mit
den Visionen, die unter den Krankheits-Symptomen in späteren
Epidemien
berichtet werden, (m. s. oben p. 6, Anmerk. 18) einiges Licht. Nach den
Schilderungen der 15jährigen Pest von 250-265 n. Chr.
glaubte man in
die Häuser derer, die von der Krankheit befallen wurden, Abends
vorher
ein Gespenst eintreten zu sehen; und Prokop in seiner Beschreibung der
Pest unter Justinian (im Jahre 542 ff.) berichtet, daß bei Vielen
der
Krankheitsanfall mit Visionen begann, die sie zu haben wähnten. Es
werden aber in den Nachrichten hierüber diese Visionen kurz vor
dem
Anfalle von den Fieber-Delirien in einem späteren Stadium der
Krankheit
sorgfältig unterschieden. Von der Steigerung des seelischen Lebens
aber, in Folge einer heftigen, die Nerventhätigkeit im
höchsten Grade
afficirenden Krankheit, bis zur Ekstase der Prophetie finden sich in
den Nachrichten über die Pestseuche des schwarzen Todes
(1347-50)
mehrere merkwürdige Beispiele bei Kindern*). Hienach möchte
der Schluß
ziemlich nahe liegen, daß auch jene von den Jahren 464 und 461
berichteten Störungen in den Zuständen des Seelenlebens, wie
oben
bemerkt wurde, mit der Epidemie der Zwischenjahre in Verbindung
standen, und daß zu dem Charakter der letzteren überhaupt
eine heftige
Affection der Nerventhätigkeit gehört habe. Beachtenswerth
ist endlich
noch, daß wir von der Epidemie der Jahre 463 und 462 die ersten
etwas
näheren Nachrichten über den Verlust an Menschen haben. Es
erlagen
derselben außer den beiden Consuln des ersteren Jahres der vierte
Theil
des Senates, die Mehrzahl der Volkstribunen, die Hälfte des
Auguren-Collegiums (zwei von vieren), Sklaven und niederen Volkes aber
eine unzählbare Menge, deren Leichen anfangs noch, auf Wagen
geschichtet, zur Bestattung hinausgefahren, zuletzt aber nur mehr in
die Tiber geworfen wurden. Nach diesen Angaben, und da - wie in
der
Natur der Sache liegt - unter den niederen Schichten die Zahl der
Opfer
gewiß verhältnißmäßig viel
größer war als unter den höheren Ständen 41,
dürfte man leicht auf einen Gesammt-Verlust von 30-40
Prozent zu
schließen berechtigt sein.
Von ärztlicher Hilfe wird Nichts erwähnt; der
Senat, an
menschlicher Kraft verzweifelnd, verwies das Volk an eine höhere
Macht,
indem er zu zahlreichen Bittgängen nach den Tempeln der
Götter, zu
Gebeten und Opfern aufforderte.
Ungefähr in diese Zeit - etwa in das Jahr 464
- mag jene Epidemie
zu setzen sein, welche nach Thukydides 42 längere Zeit vor dem
Ausbruche der großen Seuche in Athen in weiter Verbreitung theils
auf
Lemnos und den benachbarten Inseln und Küsten, theils in anderen
Gegenden herrschte. Daß dieses Ereigniβ ziemlich lange vor
dem
Auftreten der attischen Pest Statt gefunden haben, und einer Zeit
angehören müsse, welche außer dem Bereiche der von ihm
unter voller
Bürgschaft berichteten Begebenheiten steht, geht aus der ganzen
Fassung
der betreffenden Stelle hervor 43. Anderseits aber scheint in derselben
wieder eine Andeutung zu liegen, daß der Schriftsteller selbst
von dem
Ereignisse als einem zu seiner Zeit vorgefallenen sprechen hörte.
Es
müßte dasselbe somit in seiner früheren Jugendzeit sich
begeben haben.
Wird nun diese Epidemie etwa in das Jahre 464 gesetzt, so war
Thukydides, der nach einer Notiz bei Aulus Gellius 44 vierzig Jahre vor
dem Ausbruche des peloponnesischen Krieges geboren ward, damals ein
siebenjähriger Knabe, und konnte somit im elterlichen Hause recht
wohl
mittelbar oder unmittelbar aus dem Munde von Reisenden mancherlei
Erzählungen hierüber vernommen haben 45, deren Grund oder
Ungrund er
unter diesen Umständen auf sich beruhen lassen wollte.
Dazu kommen noch andere Umstände, welche zu obiger
Annahme zu
berechtigen scheinen. Fürs Erste fällt höchst
wahrscheinlich in dieses
Jahr das große Erdbeben zu Sparta; daß aber derartige
Natur-Erscheinungen in der Regel dem Ausbruche großer Epidemien
voran,
oder denselben zur Seite gehen, ist eine nunmehr von der Wissenschaft
anerkannte Thatsache, die auch im Verlaufe gegenwärtiger
Darstellung
oft genug ihre Bestätigung finden wird. Ferner berichtet
Thukydides in
jener Stelle, daß von jener weithin
(πολλαχοσε)
verbreiteten Epidemie
außer Lemnos und der Umgegend auch noch andere Orte berührt
wurden.
Welche diese waren, wird zwar nicht angegeben; allein nach dem von den
Epidemien regelmäßig eingehaltenem Zuge von Osten nach
Westen ist es
sehr wahrscheinlich, daß dieselben westwärts von Lemnos zu
suchen
seien, und etwa an die Küstenländer von Makedonien,
vielleicht auch an
Päonien und Illyrien gedacht werden müsse, Landstriche, die
auch
später, wahrscheinlich kurz vor der Zeit des Ausbruches der Seuche
in
Athen, von derselben heimgesucht wurden, und daß von Illyrien aus
die
Epidemie nach Italien sich verbreitet habe. Da nun auβer
erwähnten
Stelle bei Thukydides sich vermuthen läßt, daß die
lemnische Seuche mit
der attischen in ihrem Wesen von gleicher Beschaffenheit, nur minder
intensiv (ουτο
σουτος) , gewesen 46, letztere
aber nach der weiter
unten aufzuführenden Schilderung einen entschieden nervösen
Charakter
zeigt, so würden, vorausgesetzt daß jene Seuche auch in Rom
- locale
Färbungen abgerechnet - ihr eigenthümliches Wesen
beibehielt, jene oben
berichteten Störungen in den Funktionen des Nervensystems hiedurch
sich
wohl genügend erklären.
Auf diese Weise würde also die römische Epidemie
während der Jahre
463 und 462 nicht als vereinzelt stehende Begebenheit, sondern als ein
Glied einer größeren Kette von Krankheits-Erscheinungen, als
der
äußerste westliche Anhaltspunkt eines Seuchenzuges sich
darstellen, der
vielleicht ebenfalls von Aethiopien 47, wie die spätere attische
Pest,
ausgehend, in Rom das Ziel seiner Wanderung fand. Das Bedenken, das man
gegen diese Vermuthungen vielleicht aus dem Grunde erheben könnte,
daß
von einem Auftreten der Seuche in den östlichen Gegenden Italiens,
die
sie vor ihrem Ausbruche zu Rom berührt haben müßte,
nirgends sich eine
Nachricht findet, dürfte, auch wenn man die Unvollständigkeit
der über
diese frühere Zeit erhaltenen Berichte nicht in Anschlag bringen
will,
in dem Umstande seine Erledigung finden, daß in verschiedenen
Pesten
alter und neuer Zeit 48 ein sprungweises Vorrücken beobachtet
worden
ist.
Nach neunjähriger Ruhe auf diesem Gebiete menschlicher
Leiden -
während welcher indeß die heftigen Kämpfe um Abfassung
eines
geschriebenen Landrechts tobten - brach über Rom im Jahre
453 der
vierte Krankheits-Sturm herein 49, der an Heftigkeit dem dritten nicht
nachstand, an Umfang seines Gebietes denselben jedenfalls weit
übertraf. Auch diesmal litten, wie das vorige Mal, nicht minder
das
Heerde-Vieh als die Menschen unter der Geißel dieser Landplage.
Ob
übrigens die Seuche auch hier zuerst die Thiere ergriff, ehe sie
in
weiterer Entwicklung ihre verderbliche Macht gegen die Menschen wandte,
oder ob beide Erscheinungen gleichzeitig Statt fanden, ist aus den
Angaben nicht klar; man möchte jedoch das Erstere vermuthen, da
Dionysios berichtet, die Landleute seien durch den Verkehr mit den
Schaf- und Rinder-Heerden angesteckt worden. Die intensive Kraft der
Seuche läßt sich aus den erhaltenen Nachrichten über
die große
Ansteckbarkeit derselben, über die gänzliche Entmuthigung der
Menschen,
über die schreckliche Zahl der Opfer entnehmen, die ihr namentlich
in
den unteren Schichten der Bevölkerung erlagen. Bei der Menge der
Kranken, sagt Dionysios, reichten die Aerzte ebenso wenig hin, als die
Pflege von Hausgenossen oder Freunden; denn Diejenigen, welche Anderen
in der Krankheit Hilfe leisten wollten, wurden durch unmittelbare
Berührung oder beständigen Verkehr selbst von dem Uebel
befallen. Daher
verödeten nicht selten ganze Häuser, da zuletzt kein Gesunder
mehr zur
Wartung übrig geblieben. Die Wuth der Seuche steigerte sich
vollends
noch ans den höchsten Grad, als man anfing, die Leichen nicht mehr
gehörig zu bestatten. Denn da hiefür die Arme der
Ueberlebenden nicht
mehr ausreichen wollten, warf man die Todten zuletzt theils in die
unterirdischen Cloaken enger Gäßchen, zumeist aber in die
vorbeifließende Tiber. Der verpestende Geruch der vom Fluße
wieder
ausgeworfenen Körper verbreitete die Ansteckung mit
reißender
Schnelligkeit unter den noch Gesunden; auch war nun das Wasser der
Tiber untrinkbar geworden, oder flößte, wenn es getrunken
ward,
schädliche Substanzen den Genießenden ein. Um das Maß
des Unglückes
voll zu machen, so gesellte sich zu dem Schmerze über die
erlittenen,
zu der quälenden Unruhe über die noch drohenden Verluste
theurer
Angehörigen, zu den Schrecken eines stündlich bevorstehenden
Todes noch
eine gänzliche Entmuthigung und das trostlose Gefühl
völliger
Verlassenheit. So lange noch das Vertrauen auf göttliche Hilfe
vorgehalten, hatte man keinerlei Opfer und gottesdienstliche Handlungen
verabsäumt, ja sogar zu neuen, wahrscheinlich von auswärtigen
Culten
entlehnten Sühnmitteln gegriffen, die für eine
Götterverehrung wenig
passend waren; als aber hierauf keine Linderung erfolgte, da wankte
auch der letzte Halt im Unglücke, der religiöse Glaube, und
in dumpfer
Verzweiflung an der Macht oder dem Erbarmen der Götter
unterließ man
jeglichen Cultus derselben.
So Dionysios. Mag man immerhin in vorstehender Schilderung
einige
Anklänge an des Thukydides Gemälde von der attischen Seuche
erkennen;
mag auch bei der Ausführung des Einzelnen die Phantasie des
Darstellers
ihren Antheil gehabt haben: gewiß hat derselbe doch in den von
ihm
benutzten Quellen sichere Anhaltspunkte für seine Schilderung
vorgefunden, und von einem so gewissenhaften und sorgfältigen
Schriftsteller wie Dionysios 50 läßt sich wenigstens
annehmen, daß er
nichts erfunden habe.
Anlangend die Zahl der Opfer, welche diese Epidemie forderte,
so
erlagen ihr der eine der Consuln des Jahres 453, Sextus Quintilius, und
der an seine Stelle nachgewählte, Sp. Furius, einer der vier
Auguren,
der flamen quirinalis (einer der drei obersten flamines), vier
Volkstribunen von zehn 51, viele Senatoren; ungleich größer
war die
Zahl der Opfer unter den niederen Volksklassen; nach Dionys, wurden
beinahe sämmtliche Sklaven, und von den Bürgern etwa die
Hälfte
hinweggerafft 52.
Nicht zu übersehen ist, daß die mörderischen
Wirkungen dieser und
der vorhergehenden Seuchen besonders hart die Patricier, als einen
geschlossenen Stand, der nicht von außen ergänzt werden
konnte, treffen
mußten, wie in ähnlicher Weise die Folgen des Erdbebens von
464 die
Spartaner. Die Patricier, durch die vorgeschilderten Sterbeläufe
in
ihrer Zahl nach und nach gedrittelt, wo nicht gar gehälftes 53,
erschienen fortan nur mehr als eine Oligarchie, deren Prärogative
unter
diesen Umständen immer schwieriger zu behaupten waren. Die
reißenden
Fortschritte der Plebs in dem innerne Kampfe während der
nächstfolgenden Zeit finden daher wesentlich in dem durch diese
Seuchen
geänderten numerischen Verhältnisse der beiden Stände
ihre Erklärung.
Die Wuth der Seuche beschränkte sich aber nicht blos auf
die Stadt;
sie verbreitete sich auch über das flache Land und drang über
das
römische Gebiet hinaus 54. Denn als die Aequer diesen Zeitpunkt
wie
früher benützen wollten und sich zu einem Einfalle
rüsteten, wurden
während der Vorkehrungen hiezu auch sie von derselben ergriffen,
desgleichen die Volsker und Sabiner, und überall zahlreiche Opfer
dahingerafft. Dadurch ward allerwärts die Bestellung der Felder
gehemmt, und zu den Schrecknissen der Seuche gesellte sich noch eine
zweite, nicht minder arge Landplage, Hungersnoth und Theuerung (Liv.
III. 32. - Dionys. A. a. O.)
Erst im nächsten Jahre, 452, (nach Dionys.) erlosch die
Epidemie;
aber Mangel und Theuerung währten noch längere Zeit fort.
II. Gruppe
a)
Die
Erderschütterungen und
ungewöhnlichen Natur-Erscheinungen.
Von dem Jahre 461 ab herrschte in dem geheimnißvollen
Reiche jener
furchtbaren Kräfte, deren Wirken und Schaffen den Forschungen und
Berechnungen des menschlichen Geistes entrückt ist, eine
fünfundzwanzigjährige Ruhe. Doch diese Ruhe glich der
unheimlichen
Windstille vor dem Ausbruche eines Orkanes. Denn nunmehr trat ihr
schreckliches Walten aufs Neue in einer langen Kette tellurischer und
neptunischer Revolutionen zu Tage, welche nahezu zwei Jahrzehnte
[436(435)-413(412)]* währten, und in dieser Zeit beinahe
jedes Jahr mit
einem ungewöhnlichen Naturereignisse bezeichneten. Insbesondere
scheint
Hellas der Herd und Mittelpunkt jener Störungen gewesen zu sein,
mit
denen sich noch die Wuth einer mörderischen Seuche und die Leiden
eines
siebenundzwanzigjährigen, mit leidenschaftlicher Erbitterung
geführten,
inneren Krieges verbanden, um diese Periode zu einer der unheilvollsten
der Hellenischen Geschichte zu machen. - "Was man
früher nur vom
"Hörensagen kannte," - sagt der unsterbliche
Geschichtschreiber jenes
Krieges 55 - "durch die Wahrheit aber "nur selten
bestätigt sah, das
stellte sich jetzt in seiner ganzen schrecklichen Wirklichkeit dar und
verscheuchte dadurch jeglichen Zweifel: Erderschütterungen, die
über
den größten Theil des Landes sich verbreiteten und zugleich
mit
äußerster Heftigkeit und Andauer auftraten,
Sonnenfinsternisse, welche
gegen die Ueberlieferungen "aus der Vorzeit auffallend
häufig sich
einstellten; große Dürre in manchen Ländern und in
ihrem Gefolge
"Hungersnoth und die verderbliche, einen großen Theil der
Bevölkerung
dahinraffende Pestkrankheit: alle "diese Schrecknisse waren
Zugaben
jenes Krieges.
Die Reihenfolge dieser ungewöhnlichen Naturerscheinungen
eröffnet
ein größeres Erdbeben in der Römischen Landschaft 56 im
Jahre 436
(435), welches gleichzeitig mit dem Beginne einer längeren
Seuchenperiode dortselbst auftrat, und in häufig wiederholten
Stößen
viele Gebäude niederwarf.
Fünf Jahre darauf, kurz vor Eröffnung der
Feindseligkeiten im
peloponnesischen Kriege, 431 - wie es scheint im Frühjahre
-, ward
Delos, "das unerschütterte Eiland", wieder von einem
Erdbeben
erschüttert 57, eine Begebenheit, welche, an sich schon
auffallend, in
jener Zeit allgemeiner Aufregung und Spannung, die damals in Hellas
herrschte, und während welcher man sich in allen Städten mit
inhaltsschweren Weissagungen und Orakelsprüchen trug,
natürlich als ein
Vorzeichen großer Ereignisse aufgenommen wurde 58.
Das Jahr 428 (427) war im Römischen Gebiete
ausgezeichnet durch
eine ungewöhnliche Dürre. Kein Regen tränkte die
schmachtenden Fluren,
es versiegten Quellen und Bäche, während zu gleicher Zeit
Stadt und
Land nach mehrjähriger Ruhe einen nochmaligen Seuchenanfall zu
bestehen
hatte 59.
Im folgenden Jahre sodann, 427, im Spätherbste,
während eines
nochmaligen Auftretens der attischen Pest, zahlreiche Erdbeben, die
ihre Erschütterungskreise über den östlichen Theil von
Mittelgriechenland zogen. Unter den betroffenen Gegenden macht
Thukydides 60 Athen, Euboia, Boiotien und in letzterem Lande
vorzugsweise die Stadt Orchomenos namhaft. Daß diese tellurischen
Revolutionen bedeutend gewesen sein müssen, zeigt schon der
Umstand,
daß der Berichterstatter, ohne sich auf eine nähere
Schilderung
einzulassen, für genügend erachtet, auf dieselben als auf
allbekannte,
in der Erinnerung der Zeitgenossen noch in voller Kraft fortlebende
Ereignisse hinzuweisen
(εγενοντο
δε και
πολλοι
τοτε
σεισμοι της
κ. τ.
λ).
Im Sommer des nächsten Jahres 426 traten aufs Neue
zahlreiche
Erderschütterungen und in ihrem Gefolge große neptunische
Revolutionen
auf, deren erweitertes Gebiet sich diesmal südlich bis in die
Peloponnesos und nördlich bis auf die Inseln an der Ostküste
Thessaliens erstreckte 61. Die Peloponnesier - erzählt
Thukydides -,
welche einen Einfall nach Attika beabsichtigten, waren schon bis an den
Isthmos gekommen, als sie durch häufige Erdbeben (offenbar in der
Gegend wo sie standen) erschreckt, umkehrten und den ganzen Zug
aufgäben. Zur selben Zeit, während die Erschütterungen
noch allerwärts
anhielten, zog sich bei Orobiai, einer am Euripos gelegenen Stadt von
Euboia, das Meer von der Küste zurück, und überschwemmte
darauf, mit
gewaltiger Fluth wiederkehrend, einen Theil der Stadt mit solcher
Schnelligkeit, daß die Bewohner kaum noch auf die Höhen sich
retten
konnten, und manche in den Wogen ihr Grab fanden. Eine Strecke der
Küste war vom Meere hinweggerissen worden. Ein ähnlicher
Meereseinbruch
geschah in derselben Meerenge auf der Insel Atalante an der Küste
der
Opuntischen Lokrer, durch welchen, außer sonstigen
Beschädigungen, ein
Stück von dem dortigen athenischen Befestigungswerke abgerissen
ward
62. Ein heftiges Zurücktreten des Meeres, jedoch ohne
nachfolgendes
Ueberfluthen, ward auch bei der Insel Peparethos 63 an der
Ostküste von
Thessalien beobachtet, und die Insel selbst durch ein Erdbeben
erschüttert, welches in der gleichnamigen Stadt auf derselben
mancherlei Zerstörungen an den Stadtmauern und Gebäuden
anrichtete. Daß
diese sämmtlichen neptunischen Störungen mit den tellurischen
Revolutionen in unmittelbarem Zusammenhange standen, hat schon
Thukydides ohne Zweifel ganz richtig vermuthet 64.
Gegen Anfang des Frühlings 425 ergoß der Aetna
einen Lavastrom, der
eine beträchtliche Strecke des Gefildes von Katane verheerte 65,
während zugleich ein heftiges Erdbeben Sicilien erschütterte
66.
Im Frühlinge von 424, einige Tage nach der
Sonnenfinsterniß dieses
Jahres 67, erfolgte wieder ein Erdbeben 68. Eine Angabe des Ortes fehlt
zwar; jedoch die von Thukydides beigesetzte, dem attischen Kalender
entnommene Zeitbestimmung läßt vermuthen, das; dasselbe in
Athen
selbst, der Vaterstadt des Geschichtsschreibers, oder in der Umgegend
vorfiel.
Im Sommer des Jahres 420 wurde zu Athen eine
Volksversammlung, in
der ein Bündniß mit den Argeiern geschlossen werden sollte,
in Folge
eines dazwischen eingetretenen Erdbebens, wie Gebrauch bei solchen und
ähnlichen Natur-Erscheinungen, noch bevor ein endgültiger
Beschluß
gefaßt worden war, vertagt 69.
In gleicher Weise ward bald darauf, noch im nämlichen
Sommer, zu
Korinthos ein Congreβ von Abgeordneten verschiedener hellenischen
Staaten aus Anlaß eines Erdbebens aufgelöst, und die
Gesandten gingen,
noch ehe die Verhandlungen zu einem Resultate geführt hatten,
auseinander 70.
Einige Jahre später - um 416 - wurde der
Sparterkönig Agis, welcher
in Elis einzufallen gedachte, und bereits bis Olympia und an den
Alpheios gekommen war, durch ein Erdbeben zum Rückzuge bestimmt
71.
Ebenso veranlasste zwei Jahre darauf (im Frühlinge 414),
als die
Lakedaimonier einen Zug wider Argos unternahmen, und bereits bis zu der
aegeischen Stadt Kleonai vorgedrungen waren, ein Erdbeben in dieser
Gegend dieselben zum Rückzuge 72.
Gegen Ende des Winters von 412 wieder eine
Erderschütterung zu
Sparta, in Folge dessen ein vorher gefaßter Beschluß der
Spartaner,
über die den Bewohnern von Chios und Erythrai zu sendende
Unterstützung
an Schiffen, aus religiösem Bedenken in mehrfacher Beziehung
abgeändert
wird 73.
b) Die Seuchen.
1) In Thrakien, auf Thasos und in
Makedonien, vielleicht um 436
oder etwas früher.
Aus den als unzweifelhaft ächt anerkannten Büchern
I. und III. des
griechischen Arztes Hippokrates über "Landseuchen"
(επιδημιων) geht
hervor, daß derselbe längere Zeit als ausübender Arzt
im Norden von
Hellas sich aufgehalten und unter anderem auch über Gang und Wesen
dort
herrschender Epidemien Beobachtungen angestellt habe. Er bezeichnet
selbst die thrakischen Städte Datos, Doriskos, Kardia, Abdera,
ferner
die an der Küste gelegene Insel Thasos, endlich die makedonischen
Städte Pella, Olynthos und Akanthos als Schauplätze seiner
Beobachtungen und feiner ärztlichen Thätigkeit 74.
So sicher nun auch feststeht, daß Hippokrates schon
frühe weite
Reisen bis nach den Gegenden nördlich und östlich vom Pontos
Eureinos
unternommen, auch in Thrakien und Makedonien längere Zeit gelebt,
so
wenig läßt sich anderseits über den Gang und die
Reihenfolge dieser
Reisen, oder über die Zeit, wann er die einzelnen Punkte
berührt und
wie lange er an denselben geblieben, etwas Sicheres ermitteln.
Daß
jedoch sein Aufenthalt in den oben erwähnten thrakischen und
makedonischen Städten und auf der Insel Thasos, und somit auch das
Auftreten der von ihm dort beobachteten Epidemien höchst
wahrscheinlich
um einige Jahre früher als der Ausbruch der attischen Pest, und
muthmaßlich um oder kurz vor 436 zu setzen sei, dürfte sich
aus
folgenden Erwägungen ergeben:
1) Daß die Epidemie in den vorerwähnten
Ländern gleichzeitig mit
der attischen Pest von 430 aufgetreten sei, somit also dem
nämlichen
Seuchenzuge angehört habe 74, ist aus dem Grunde nicht
wahrscheinlich,
weil Thukydides an den Stellen, wo er von dem Gange dieses Seuchenzuges
spricht und jeden der drei Aeste, in die er sich nach seinem Austritte
aus Aegypten spaltete, näher verfolgt (II. 38 und 54), von einem
Weiterdringen dieser Epidemie nach den oben genannten Ländern
nichts
erwähnt. Hätte wirklich der mittlere Ast, der Attika
verheerte, und,
wie man aus der Darstellung dieses Schriftstellers schließen
muß, in
diesem Lande auch sein Ziel fand, sich nach dem Norden weiter
fortgesetzt, so ist ein genügender Grund, warum Thukydides dies
unerwähnt gelassen, nicht abzusehen; so gut, wie von dem
Eindringen der
Pestseuche von 430 in die Länder der persischen Monarchie und nach
der
Nordküste von Afrika, hätte er auch von einem Vordringen
derselben nach
Makedonien sc. Kenntniß erhalten müssen; der Einwand aber,
daß
Thukydides die in Rede stehenden nordhellenischen Seuchen
überhaupt
nirgends erwähnt, und dies aus dem Grunde gethan haben werde, weil
dieselben auf den Gang der von ihm zu schildernden Begebenheiten keinen
Einfluß übten, ist gewiß nicht stichhaltig. Dagegen
erklärt sich das
Stillschweigen des Schriftstellers über dieselben viel leichter,
wenn
sie mit dem großen Seuchenzuge von 430 nicht in Zusammenhang
standen,
und namentlich wenn sie einige Jahre vor dem peloponnesischen Kriege,
dem eigentlichen Gegenstande seiner Darstellung aufgetreten waren. Auch
Häfer (Gesch. d. epid. Krankh. p. 15) erklärt es für
zweifelhaft, ob
die von Hippokrates im III. Buche der Landseuchen geschilderten
Krankheiten der Zeit nach mit der attischen Seuche zusammenfallen 76.
2) Die Annahme, daß die makedonisch-thrakische Epidemie
erst nach
der attischen Seuche aufgetreten sei, würde - abgesehen
davon, daß
hiefür gar keine Anhaltspunkte sich finden - noch weiter die
mißliche
Folge haben, daß dann die Abfassung der ächten Bücher
des Hippokrates
über die Landseuchen in eine ziemlich späte Lebensperiode des
Verfassers herabgerückt werden müßten, gegen die
übereinstimmende
Ansicht der neueren Kritik, welche jene Schriften für eines seiner
ersten Werke hält und einem früheren Lebensalter desselben
zuschreibt
77.
3) Es dürfte demnach nur die Annahme übrig bleiben,
daß die
fraglichen Seuchen-Erscheinungen der attischen Pest vorausgingen.
Hiefür aber scheint zunächst folgender Umstand zu sprechen.
In den
angeblichen Briefen von und an Hippokrates findet sich die Nachricht,
daß derselbe zur Zeit der attischen Pest nach Athen berufen und
wegen
seines ersprießlichen Wirkens daselbst durch öffentliche
Anerkennung
ausgezeichnet worden sei 78. Obwohl nun in der Frage über die
Aechtheit
dieses Briefwechsels die neuere Kritik ein entschiedenes
Verwerfungs-Urtheil gesprochen hat 79, so ist doch anzunehmen,
daß der
spätere Gelehrte, der diese Briefe schmiedete, wenigstens so
vorsichtig
werde gewesen sein, keine Nachrichten zu geben, die von vorneherein
schon als unwahrscheinlich sich darstellen mußten.
Glaubwürdig aber war
jene Berufung des Hippokrates nach Athen - und daß
jedenfalls an eine
ärztliche Thätigkeit desselben zu Athen in der Zeit der
großen Pest
wirklich im späteren Alterthum geglaubt wurde, ergibt sich aus
mehreren
Zeugnissen 80 - doch nur dann, wenn seine Tüchtigkeit in
Behandlung
epidemischer Krankheiten schon anderswo sich bewährt hatte. Man
muß
demnach im Alterthum jene nordhellenischen Seuchen der Zeit nach
für
früher als die attische Pest gehalten haben.
4) Die oben ausgesprochene Vermuthung aber, daß selbe
um 436 zu
setzen sein möchten, dürfte dadurch gerechtfertigt
erscheinen, weil in
dem genannten Jahre die mehrjährige große Epidemie zu Rom
und in der
näheren und ferneren Umgegend beginnt, für deren Zusammenhang
mit den
Seuchen im Norden von Hellas eine in der Biographie des Hippokrates 81
enthaltene, auch von Plinius 82 theilweise bestätigte Notiz von
einer
Pest in Paionien und Illyrien ein gewichtiges Zeugniß liefern
dürfte.
Allerdings fehlt in jener Notiz eine nähere Zeit-Angabe; aber nach
dem
constanten Gange aller großen Epidemien darf man gewiß mit
vieler
Wahrscheinlichkeit annehmen, daß von Makedonien und Thrakien aus
die
Seuchen sich in jene westlichen Nachbarländer und von da nach
Italien
mögen verbreitet haben.
5) Bei der Annahme des Jahres 436 oder 437 für die
mehrerwähnten
Epidemien würde man sich auch mit den allgemeinen Aufstellungen
über
die Zeit der Abfassung des III. Buches von den Landseuchen in voller
Übereinstimmung befinden. Wenn Hippokrates, nach der Berechnung
von
Petersen 83, um 475 geboren ist, so wäre er bei der Abfassung
dieses
Werkes etwa im 39. oder 40. Lebensjahre gestanden, einem Alter, das,
wie es einerseits für schriftstellerische Thätigkeit immer
noch ein
frühes zu nennen ist, anderseits jene nur durch längere
Erfahrung zu
gewinnende Reise des Geistes, wie sie namentlich dem Schriftsteller in
einer empirischen Wissenschaft unerläßlich ist, nicht
ausschließt. Die
Frage endlich, die allenfalls der obigen Annahme entgegen gehalten
werden könnte, warum Thukyd. II. 47) bei Erwähnung der
gleichfalls vor
der attischen Pest aufgetretenen lemnischen Seuche nicht auch jener
nordhellenischen Epidemie gedacht habe, dürfte sich dahin
beantworten
lassen, daß der Schriftsteller letztere vielleicht nicht für
gleicher
Natur mit der attischen Pest gehalten habe, als wofür er offenbar
die
lemnische ansah.
Die Art und Natur der von Hippokrates oben bezeichneten
Krankheiten
betreffend, so zerfielen dieselben nach dem Urtheile eines Fachmannes
-
Kraus 85 - in zwei nach ihrem Wesen und Verlaufe verschiedene
Gruppen.
Die erstere bildeten die von Hippokrates im 1. Buche von den
Landseuchen beschriebenen hitzigen, mit heftigen Delirien verbundenen
Fieber, die derselbe auf Thasos und einigen benachbarten Inseln und
Städten beobachtete und von welchen Kraus annimmt, daß sie
nach den von
Hippokrates geschilderten Symptomen mit dem typhus communis der neueren
Pathologie zusammenfielen. Von diesen wesentlich verschieden seien die
im 3. Buche des genannten Werkes geschilderten Krankheitsfälle,
welche
die zweite Gruppe ausmachten; diese seien als eine eigentliche Epidemie
anzusehen, in deren Natur und Charakter, obgleich Hippokrates dieselben
nur von allgemeinen Ursachen, insbesondere von atmosphärischen und
Witterungsverhältnissen ableite, doch bestimmte Anzeichen auf
ausländischen Ursprung hinwiesen. Es sei aber wahrscheinlich,
daß die
Krankheiten der ersten Gruppe jener eigentlichen Epidemie
vorausgegangen seien, gleich wie die orientalische Pest in Europa
häufig bösartige nervöse Fieber zu Vorläufern
gehabt habe. Hiebei wird
beispielsweise auf die ganz gleiche Erscheinung in der Pest des Jahres
1665 zu London - Sydenham opera omnia, sect. III. Lond. 1695
-
hingewiesen. Von den Krankheits-Erscheinungen der letzteren Gruppe aber
sucht Kraus 85 nachzuweisen, daß sie dem Grundcharakter nach
für eine
und dieselbe Krankheits-Form mit der attischen Pest zu halten seien.
Die von Hippokrates und von Thukydides angeführten
Krankheits-Symptome
stimmten in den wesentlichsten Punkten überein; und wenn einzelne
der
von Hippokrates beobachteten Erscheinungen - wie z. B. die
Anschwellungen (φυσηματα) in
der Weichgegend - von Thukydides nicht
erwähnt werden, so seien sie von dem Letzteren vielleicht
absichtlich,
als nicht wesentlich, bei der Schilderung weggelassen worden, wie denn
Thukydides selbst bemerke, er habe, mit Uebergehung mancher
ungewöhnlichen Einzelheiten, nur ein Gesammt-Bild der
Krankheitserscheinungen geben wollen. Auch hätten ohne Zweifel
locale
Verhältnisse in Athen - wie namentlich die damalige
Ueberfüllung der
Stadt - manche Modificationen in den dortigen Erscheinungs-Formen
der
Seuche bedingt 86; so hätte auch, nach dem Zeugnisse des
Verfassers der
"history of Great-Britain" Vol. II. pag. 172 ff., zu London vor
dem
Jahre des großen Brandes 1666 in der eng zusammengebauten, dicht
bevölkerten Stadt die Pest einen viel heftigeren Charakter und
Verlauf
gezeigt, als nach jenem Zeitpunkte, seit welchem die Stadt
weitläufiger
gebaut wurde.
Endlich, so wie gleiches Wesens, so dürfte die Epidemie
im Norden
von Hellas nach Kraus auch gleiches Ursprungs mit der attischen Pest zu
halten, und als gemeinschaftliches Vaterland beider Africa zu
betrachten sein 87, von woher auch wahrscheinlich die obenerwähnte
Seuche auf Lemnos und in der Umgegend eingewandert sei 88.
Dies die Ansicht eines Arztes. Der Verfasser, als Laie,
beschränkt
sich einfach auf das vorstehende kurze Referat derselben und
behält
sich nur vor, weiter unten einige nahe liegende
Wahrscheinlichkeits-Schlüsse bezüglich der römischen
Epidemie von 436
(435) ab darauf zu begründen.
2) Die große Epidemie zu
Rom und in der
Umgegend während der Jahre
436 (435) - 428 (4 27).
Ueber diese mehrjährige Seuche, welche dem Ausbruche der
furchtbaren Epidemie zu Athen
um wenige Jahre vorausging, in der letzteren Zeit ihres
Verlaufes
aber mit der Herrschaft derselben
zusammenfiel, haben sich nur bei einem einzigen
Schriftsteller
(Livius IV. 21-30), und auch bei diesem nur sehr ungenügende
Nachrichten erhalten.
Sie begann im Jahre 436 (435), angekündigt oder
begleitet, nach dem
Berichte des Römischen Historikers 89 von häufigen
Erderschütterungen
in der Römischen Landschaft, Schrecken erregenden Erscheinungen 90
und
Wunderzeichen. Ihre steigende Macht veranlaßte noch im selben
Jahre den
Senat, zu religiösen Sühne-Mitteln zu greifen, durch welche
in jenen
Zeiten noch fast ausschließlich dergleichen Uebel bekämpft
zu werden
pflegten, und es ward zufolge der heiligen Bücher ein
öffentliches
Bittfest angeordnet.
Im nächsten Jahre, 435 (434), griff die Seuche mit
gesteigerter
Heftigkeit um sich 91. Die Stadt erödete unter ihren Verheerungen;
es
bemächtigte sich der Gemüther eine solche
Niedergeschlagenheit, daß
nicht nur das bisher nach außen befolgte System aggressiver
Politik vor
der Hand aufgegeben ward, sondern sogar die abtrünnig gewordenen
Einwohner von Fidenä in Verbindung mit einem Heere der
etruskischen
Stadt Veji ungehindert gegen Rom vordrangen und unfern des Collinischen
Thores Stellung nahmen. In dieser Noth schien es erforderlich, einen
Dictator zu ernennen, um welchen sich Alles, was noch Kraft hatte, die
Waffen zu führen, auf dessen Aufruf schaarte 92. Es gelang
demselben,
die Feinde in offenem Felde zu schlagen und die drohende Gefahr von Rom
glücklich abzuwenden 93.
Auch noch im folgenden Jahre, 434 (433), scheint die
Epidemie,
wiewohl mit geringerer Heftigkeit, angedauert zu haben, da Livius ihrer
nicht gedenkt, ohne gleichwohl das Erlöschen derselben
ausdrücklich zu
bemerken, wie er sonst wohl zu thun pflegt. Im Jahre 433 (432) aber
erreichte sie ihren Höhenpunkt. In der Stadt selbst wie auf dem
flachen
Lande, unter Menschen und Heerde-Thieren hausete jetzt der
Würgengel
dieser Seuche mit furchtbaren Verheerungen 94. Da es an rüstigen
Armen
zur Bestellung der Felder mangelte, fiel die Ernte dieses Jahres bei
weitem nicht zureichend aus 95, weshalb, um schlimmen Folgen zu
begegnen, Getreide in Etrurien, im Pomptinischen Lande, in Cumä,
zuletzt sogar in Sicilien aufgekauft wurde, während zur Linderung
der
Seuche selbst dem Heilgotte Apollo ein Tempel gelobt und viele andere
Sühnemittel nach dem Ausspruche der heiligen Bücher
angewendet wurden.
Die Epidemie scheint übrigens in diesem Jahre nicht nur
in Rom
selbst mit der größten Intensität gewüthet,
sondern auch ihren
Ansteckungs-Kreis über das Römische Gebiet hinaus verbreitet,
und
namentlich Etrurien befallen zu haben. Nach dem unglücklichen
Ausgange
der Kriegsfahrt der Fidenaten und Vejenter wider Rom im Jahre 435 (434)
war, wie Livius berichtet 96, ganz Etrurien in Bewegung gekommen, und
es hatten auf Andringen der Vejenter und Falisker die Abgeordneten der
zwölf Bundesstaaten im Tempel der Voltumna bei Volsinii getagt;
die
Römer aber hatten in Erwartung eines großen Kampfes
ungewöhnliche
Rüstungen getroffen und wieder einen Dictator ernannt. Gegen
Erwarten
aber ward im nächsten Jahre, 434 (433), weder von der Gesammtheit
des
Bundes, noch von den Vejentern für sich allein etwas unternommen
97;
ebenso verfloß das Jahr 433 (432) den Römern ohne Kampf.
Sehr nahe
liegt daher die Vermuthung, daß die Etrusker, wie die sonstigen
Völker,
die zu Rom in feindlicher Stellung standen, damals aus dem Grunde Ruhe
hielten, weil auch zu ihnen die Epidemie vorgedrungen war 98.
Für diese Vermuthung spricht noch ein weiterer Umstand:
unmittelbar
nach der Stelle, wo Livius die Abnahme der Seuche in Rom im Jahre 432
(431) berichtet, erfahren wir von ihm, daß in den Landtagen der
Volsker
und Aequer wieder von kriegerischen Unternehmungen gegen Rom die Rede
ist, daß von Seite der etruskischen Bundes-Staaten zu diesem
Zwecke im
Tempel der Voltumna aufs neue getagt 99, von beiden ersteren
Völkerschaften aber der Krieg auch sogleich eröffnet wird
100.
Im Jahre 432 (431) brach sich endlich die Macht der Seuche 1,
und
es scheint dieselbe in den nachfolgenden Jahren allmählich ganz
erloschen zu sein. Aber nach kurzer Ruhe erhob sie sich, gleich der
attischen Pest, ehe sie auf längere Zeit ans diesen Gegenden
schied,
noch einmal im Jahre 428 (427) 2 mit voller Kraft, um auf dem
leichenvollen Felde ihrer Ernte eine letzte Nachlese zu halten 3.
Ungewöhnliche Dürre herrschte in diesem Jahre, den
Wiederausbruch der
Seuche begünstigend. Gleich der Epidemie von 463 zeigte sie sich
im
ersten Stadium ihres Wiederauflebens den Heerde-Thieren verderblich; in
weiterer Entwicklung befiel sie die Menschen und zwar zunächst die
Landleute und die Sklaven; zuletzt ward auch die Stadt von ihr
erfüllt.
Daß dieselbe unter großen Verheerungen aufgetreten sein
müsse, beweis't
der von Livius (IV. 39) berichtete Umstand, daß die Menschen, an
der
Macht einheimischer Götter verzweifelnd, zu mannigfachen von
ausländischen Culten entlehnten Opferbräuchen und Sühnen
ihre Zuflucht
nahmen, so daß zuletzt der Senat den Aedilen Auftrag geben
mußte,
strenge darüber zu wachen, daß nur Römische Gottheiten
und nach
vaterländischer Weise verehrt würden.
Ueber den in jenen Seuchenjahren erlittenen Menschenverlust
fehlen,
ebenso wie über das Wesen der Krankheit, nähere Nachrichten.
Doch darf
in ersterer Beziehung nicht unbeachtet bleiben, daß diese
Epidemie
gleich der von 463 ihre Opfer vorzugsweise unter den kräftigen
Männern
und Jünglingen sich ersehen zu haben scheint, wie dies theils aus
der
oben not. 92 schon erwähnten Stelle des Livius zu entnehmen ist,
theils
noch besonders bei einer andern Gelegenheit (IV. 26) von diesem
Schriftsteller bemerkt wird, wo derselbe unter anderen Gründen,
weshalb
im Jahre 431 (430) der Senat auf die Ernennung eines Dictators drang,
mich anführt: "et aliquantum Romanae juventutis morbo
absumptum erat."
Anlangend aber die Natur der beiden letzteren großen
Epidemien, so
dürfte man aus den im Obigen
dargelegten Prämissen - die Richtigkeit oder
Wahrscheinlichkeit
derselben vorausgesetzt - zu der Vermuthung berechtigt sein,
daß sowohl
die römische Epidemie von 436 - 428, als wahrscheinliche
Fortsetzung
der makedonischen und thrakischen Seuchen, deren Natur Kraus im
Wesentlichen für identisch mit der attischen hält, als auch
die
Epidemie zu Rom von 463 - 462, vermöge ihres
muthmaßlichen
Zusammenhanges mit der lemnischen, welche Thukydides ebenfalls für
gleichartig mit der attischen Pest betrachtete, im Großen und
Ganzen
denselben Grund-Charakter wie die attische Seuche gehabt haben
mögen.
Innere, aus dem Wesen und den Krankheits-Erscheinungen selbst
abzuleitende Gründe für diese Muthmaßung lassen sich,
bei dem äußerst
mangelhaften Bilde der römischen Epidemien in den
Quellen-Schriftstellern, freilich nicht auffinden, wenn man nicht
vielleicht jene in der Schilderung der beiden römischen Epidemien
vorkommende Andeutung von heftigen Affektionen des Nervensystems,
welche ja auch zum Wesen der attischen Pest gehörten, hieher
rechnen
will. Doch sind bei aller Mangelhaftigkeit der Beschreibungen in der
Physiognomie der beiden römischen Epidemien einige
übereinstimmende
Züge nicht zu verkennen, wie die vorwaltende Richtung beider gegen
das
Jünglings- und rüstige Mannes-Alter, ferner die successive
Aeußerung
ihrer Wirkungen erst im Bereiche des niederen, dann des höheren
animalischen Lebens.
Doch um den freundlichen Leser aus dem dunklen Bereiche mehr
oder
minder unsicherer Vermuthungen wieder auf das Feld sicherer Thatsachen
zu führen, möge es schließlich gestattet sein,
denselben auf eine
interessante Erscheinung in der Geschichte der römischen Epidemien
dieses Jahrhunderts aufmerksam zu machen. Die am Schlusse
angefügte
Tabelle weis't aus, daß dieselben von 492-412 in
regelmäßigen
Zeitabschnitten wie in gleichmäßigen Pulsschlägen
- von 10 zu 10 Jahren
- über Rom dahingegangen, und daß diese
Pulsschläge nur dreimal
aussetzten. Denn auch das Jahr 412 (411) ist nach Livius (IV. 52) noch
einmal durch eine Epidemie bezeichnet, die zwar nicht sehr
bösartig
war, aber durch zahlreiche Erkrankungen sich bemerkbar machte. Die
Jahre 492, 472, 462, 452, 432, 4l2 waren Seuchen-Jahre; nur die Jahre
482, 442, 422 erscheinen von Epidemien frei.
3) Die sogenannte attische Pest
während
der Jahre 430- 427/426
incl.
Unter allen Epidemien des Alterthums ist keine so allgemein
bekannt, als die attische Pest in den ersten Jahren des
peloponnesischen Krieges. Sie verdankt diese Notorietät ohne
Zweifel
theils dem Griffel eines der tüchtigsten Meister der historischen
Kunst, theils dem Umstande, daß sie in die Zeit jener schweren
Krisis
für Athen fiel, und daß zu ihren zahlreichen Opfern auch der
Mann
gehörte, der, wie er seine Vaterstadt durch seine
staatsmännische
Einsicht ans die Sonnenhöhe ihres Glanzes und ihrer politischen
Bedeutsamkeit emporgehoben hatte, so auch bei längerem Leben
höchst
wahrscheinlich jenen verhängnißvollen Krieg zu einem ganz
anderen
Ausgange für Athen geführt haben würde.
Aus dem, was Thukydides, welcher bekanntlich diese herbe Zeit
Athens im vollen Sinne des Wortes durchlebte 4, von den
äußern
Erscheinungen der erwähnten Epidemie, von dem Gange ihrer
Verbreitung
und den damaligen Zuständen in Athen in seinem ausführlichen
Berichte
aufgezeichnet hat 5, ergibt sich im Wesentlichen Folgendes.
a) Ursprung und Verbreitungsgang
der
Seuche.
Die Pest soll 6 ihren Ursprung im Lande Aethiopien,
südlich von
Aegypten, genommen haben; von hier verbreitete sie sich, dem Laufe des
Nils folgend, über Aegypten, und theilte sich sodann auf ihrer
weiteren
Bahn in drei Arme 7, von denen der eine westwärts zur
Nordküste
Africa's sich wendete, der zweite ostwärts in die Länder des
westlichen
Asiens eindrang, während der mittlere in nördlicher Richtung
sprungweise 8 und ohne Berührung der dazwischen liegenden Eilande
Mittel-Griechenland erfaßte, um vorzugsweise Attika zum
Schauplatze
seiner mörderischen Wuth zu machen. Der zuerst ergriffene Punkt
war
hier - nach einer in dem Ausbreitungs-Gange aller großen
Epidemien
stetig wiederkehrenden Eigentümlichkeit - ein
Küsten-Platz, der
Peiraieus, Athens prachtvolle Hafenstadt. Später brach sie in der
höher
gelegenen Stadt Athen selbst ("ή ανω
πολις") aus und entfaltete hier
erst alle Schrecken ihrer furchtbaren Macht. Doch blieb sie nicht auf
die Hauptstadt des attischen Landes beschränkt, sondern ergriff
von
hier aus auch die bevölkertsten der übrigen Plätze,
begleitete die
athenischen Schiffsmannschaften auf ihren Expeditionen unter Perikles
nach verschiedenen Punkten der peloponnesischen Küste, und ward
auch
mit einer neugesendeten Verstärkung unter Hagnon und Kleopompos in
das
athenische Feldlager vor Potidaia verschleppt 9.
d) Aeußeres und inneres
Krankheits-Gebiet.
Damit ist zugleich das äußere Gebiet der Seuche
angedeutet, welches
das Nilthal, einen Theil des Nordküste Africa's, dann des
westlichen
Asiens ("den größeren Theil der Länder des
Großkönigs", Thuk. II. 48),
und in Europa vorzüglich die hellenische Landschaft Attika, sowie
einen
Theil der Apenninen-Halbinsel umfaßte, wenn anders die im vorigen
Abschnitte geschilderte italische Epidemie, deren letzter Ausbruch mit
der Periode der attischen Pest zusammenfällt, dem Wesen nach von
gleicher Natur mit dieser letzteren war. Daß der Peloponnes,
trotz der
mannigfachen feindlichen Berührungen, in welchen die Peloponnesier
mit
den Athenern kamen, von der attischen Pest - einige unerhebliche
Fälle
abgerechnet - nicht berührt wurde, wird von Thukydides
ausdrücklich
hervorgehoben 10.
Was das innere Gebiet der Krankheit betrifft, so erlitt die
Ausbreitung ihrer Herrschaft weder durch die individuelle
Verschiedenheit der Menschen, noch durch äußere
Umstände und
Verhältnisse irgendwelche Beschränkung; es verfielen ihren
Angriffen
starke Constitutionen so gut, wie schwache; man starb bei der
sorgfältigsten Pflege nicht minder, als bei gänzlichem Mangel
derselben
11. Nirgends findet sich eine Andeutung, daß irgend ein Alter
oder
Geschlecht, irgend ein Stand oder eine Beschäftigungsweise vor
ihrem
Anfalle oder wenigstens vor einem tödtlichen Ausgange desselben
einigen
Schutz gewährte.
c) Dauer der Epidemie.
Die Seuche trat in Athen zuerst im Frühlinge des Jahres
430 v. Chr.
auf und wüthete in diesem und im folgenden Jahre 429 dortselbst
mit
voller Kraft, nur daß sie - wenigstens nach der Art und
Weise,
wie Plutarchos 12 den Krankheitsverlauf bei Perikles
schildert -
gegen das Ende des zweiten Jahres in einzelnen Fallen einen minder
acuten, mehr schleichenden und langsam aufreibenden Charakter
angenommen haben mag; noch im ersten Jahre verbreitete sie sich in das
athenische Feldlager vor Potidaia und brach auch unter den nach dem
Peloponnes segelnden Expeditions-Mannschaften aus. Hierauf trat
während
der Jahre 428 und 427 einiger Nachlaß ein, ohne daß jedoch
das Uebel
gänzlich erlosch. Schon mochte die durch Krieg und Seuche schwer
heimgesuchte Bevölkerung Athens der Hoffnung sich hingeben, von
dem
Einen Feinde wenigstens in Kurzem ohne größere Opfer
erlös't zu sein.
Diese Hoffnung wurde bitter getäuscht. Nach kurzer Rast erhob sich
im
Spätherbste des Jahres 427 - nach der gewöhnlichen
Weise der großen
Epidemien - die attische Pest mit erneuter Heftigkeit,
während zugleich
zahlreiche Erderschütterungen theils Athen selbst, theils Euboia
und
Böotien betrafen, und hausete, zahlreiche Opfer abfordernd, noch
ein
volles Jahr, bis zum Spätherbste 426 über Athen 13. Kurz
vorher hatte
auch die seit 436 (435) über Rom wüthende Epidemie nach
einigen
Ruhejahren ihre Kraft noch einmal zu einem letzten Angriffe
zusammengerafft. Nach dem Jahre 426 geschieht der attischen Pest nicht
mehr Erwähnung, und es scheint dieselbe von da ab erloschen zu
sein.
d) Symptome und Krankheitsbild.
Fragt man nach den äußeren Erscheinungen und
Symptomen der Seuche,
so ergibt sich aus der sehr eingehenden Schilderung des Thukydides
-
der ältesten genaueren Beschreibung einer Pestseuche durch einen
Augenzeugen und zugleich Selbsterkrankten, die auf uns gekommen ist
-
etwa folgendes Krankheits-Bild.
Die Seuche, welche ihre Opfer mit plötzlichem Angriffe
und ohne
alle merkbaren Vorzeichen 14 befiel, begann mit einem starken
Blutandrange nach dem Kopfe, der sich durch heftige Fieberhitze in
demselben, durch Rothe und Entzündung der Augen, dann des
Schlundes und
der Zunge (vielleicht des Hinteren Zungen-Randes?) ankündigte; zu
letzteren Symptomen gesellten sich bald übelriechender Athem,
Niesreiz
und Heiserkeit, als Anzeichen von eingetretener Entzündung der
Schleimhäute der Nase und der Kehle. Auf dieses erste Stadium
erfolgte
nach kurzer Frist ein zweites, in welchem das Uebel in die
Brusthöhle
sich verbreitete und die Respirations-Organe ergriff, von deren
Entzündung ein heftiger Husten Zeugniß gab. Im dritten
Stadium, wo der
fortschreitende Gang der Krankheit den Magen erreichte, erfolgten
Uebelkeiten, heftige und äußerst schmerzhafte gallichte
Erbrechungen,
zu denen bei dem größeren Theile der Kranken - wie
Kraus 15 vermuthet,
als Folge theils des Reizes der scharfen gallichten Ergießungen
auf die
Mägenwände, theils der plötzlichen Leere nach dem
heftigen Erbrechen -
erfolglose Brech-Anstrengungen (λυγξ
κενη "leerer Schlucken") mit
furchtbaren Convulsionen sich gesellten. Diese letzteren verloren sich
manchmal erst lange nach überstandener Krankheit 16. Es erreichte
aber
die Macht der Krankheit, wie es scheint, in diesem Stadium ihren
höchsten Grad, durch die zunehmende Entzündung innerer Organe
und die
Intensität des damit verbundenen Fiebers. So furchtbar war die
innere
Gluth, daß die Kranken auch nicht die leichteste Hülle
ertragen
mochten, so schrecklich die Qual des unlöschbaren Durstes,
daß sie sich
am liebsten in kaltes Wasser gestürzt hätten, und Viele
wirklich in
unbewachten Augenblicken den nächsten Cisternen zueilten 17. Die
peinlichste Unruhe und Schlaflosigkeit folterte die Leidenden und
verzehrte alle Kräfte. In dem Maße als die Heftigkeit der
inneren
Entzündung sich steigerte, zog sich alle Lebenskraft von den
äußeren
Theilen nach dem Innern zurück. Die Hautoberfläche zeigte
daher nicht
die erhöhte Temperatur oder die fahle Blässe, wie bei
gewöhnlichen
fiebern, sondern erschien röthlich, dunkelgefärbt und mit
einem
Exanthem von schwarzen Pusteln und Geschwürchen bedeckt, einem
schwachen aber erfolglosen Heilbestreben der Natur, den Krankheitsstoff
aus dem Körper unschädlich nach Außen abzuleiten.
Gewöhnlich trat in diesem Stadium am 9. oder 7. Tage des
ganzen
Krankheits-Verlaufes die Krisis ein, bei den Meisten zum Tode, der noch
vor völliger Aufzehrung der Kräfte unerwartet (wahrscheinlich
in Folge
der zum Brande gesteigerten Entzündung edler Organe) erfolgte, bei
denen aber, die sie überstanden, zur Dysenterie. Denn in dem nun
beginnenden vierten Stadium, dem der Nachkrankheit, ergriff das Uebel
die Unterleibshöhle und erzeugte in den Gedärmen
Geschwüre
(Ulcerationen) und unhemmbaren Durchfall, so daß hier noch die
Meisten
aus Entkräftung erlagen. Ja, wenn alle diese Gefahren und Leiden
überstanden waren, warf sich das Uebel häufig noch auf die
auβersten
Theile der Ertremitäten, oder auf die Genitalien, oder die Augen,
so
daß also die zerstörende Gewalt der furchtbaren Krankheit
nicht selten
den ganzen Körper, vom Haupte bis zu den Fingern und Zehen,
durchzog.
In dem letzterwähnten Falle pflegten die ergriffenen Gliedmassen,
wahrscheinlich in Folge brandiger Entzündung, allmählig
eiternd
abzufaulen, und so mußten Viele das gerettete Leben noch mit dem
Verluste des einen oder anderen Gliedes oder der Augen bezahlen 18.
e) Sonstige bemerkenswerthen
Eigenthümlichkeiten.
Zur Vervollständigung des Gesammtbildes dieser Krankheit
mögen noch
folgende einzelnen Züge dienen, die uns Thukydides aufbewahrt hat.
1) Vor dem Auftreten der Krankheit war in Athen der
Gesundheits-Stand ein ungewöhnlich günstiger gewesen. Bei den
Wenigen,
die zur Zeit des Pestausbruches an anderen Krankheiten darniederlagen,
ging - wie bei Epidemien gewöhnlich - die mildere
Krankheitsform in die
Natur der Seuche über, die auch während der Zeit ihrer
Herrschaft keine
andere der sonst gewöhnlichen Krankheitsformen neben sich bestehen
ließ
19.
2) Wer die Krankheit überstanden hatte, blieb zwar nicht
gegen
einen neuen Anfall derselben, wohl aber in der Regel gegen einen
tödtlichen Ausgang gesichert.20.
3) Als die schrecklichste Erscheinung in der ganzen Krankheit
bezeichnet Thukydides die gänzliche Mutlosigkeit und Verzweiflung,
die
sich der Kranken gleich von dem ersten Gefühle ihrer Erkrankung an
bemächtigte, so daß sie sich von vorne herein aufgaben, und
die noch
kämpfende Lebenskraft ohne Unterstützung durch einen
moralischen
Widerstand blieb 20.
4) Eben so eigenthümlich ist der Umstand, daß bei
Einigen
unmittelbar nach der Genesung ein so gänzlicher Verlust des
Gedächtnisses sich einstellte, daß sie weder sich noch ihre
Angehörigen
mehr zu erkennen vermochten 21.
Letztere beiden Erscheinungen auf dem Gebiete des psychischen
und
des Geisteslebens mögen wohl ihren Grund in einer heftigen
Affection
des Nervensystems gehabt haben, und demnach zu der Annahme berechtigen,
daß auch das letztere von der Macht der Krankheit ergriffen oder
jedenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurde.
f) Ansteckbarkeit.
So schildert Thukydides im Wesentlichen den Verlauf und die
Symptome dieser Epidemie, die schon bei ihrem ersten Austreten im
Peiraieus mit solcher Schnelligkeit unter der dortigen Bewohnerschaft
um sich griff, daß sich die Sage verbreitete, die Peloponnesier,
welche
einige Tage vorher verheerend in das attische Gebiet eingefallen waren
und dasselbe noch nicht verlassen hatten 23, hätten Gift in die
offenen
Cisternen geworfen; denn verschlossene Quell-Brunnen gab es dort noch
nicht 24. Auch in manchen anderen Bemerkungen bei Thukydides wird der
ungewöhnlichen Ansteckbarkeit der Krankheit gedacht. Die Menschen,
sagt
er (II. 51), starben dahin, wie die Schafe einer Heerde, einer von dem
Verkehre mit dem andern angesteckt. Während man bei anderen
Epidemien
die Bemerkung machte, daß Aerzte und Krankenwärter von der
Krankheit
nicht ergriffen wurden, oder doch wenigstens der Gefahr der Ansteckung
minder ausgesetzt waren 25, erlagen hier die Aerzte gleich als die
ersten Opfer ihres schweren Berufes 26. Ja selbst auf Thiere ging das
tödtliche Gift der Ansteckung über. Die Raubvögel, die
sich vom Aase
nähren, enthielten sich theils aus Instinct der zahllosen Menge
unbeerdigter Leichname, theils, wenn sie denselben überwanden,
verendeten sie an dem Fraße 27. Dies bewies die ausfallend
geringe Zahl
solcher Vögel, die damals bei Leichen oder sonst überhaupt zu
sehen
war; noch bestimmter waren diese Wirkungen der Ansteckung an den Hunden
zu bemerken, da diese aus der Nähe der Menschen sich nicht zu
entfernen
pflegen. Selbstverständlich kennt Thukydides nur Eine Art der
Ansteckung, die durch unmittelbare Berührung (Contagium) der
Erkrankten
und ihrer Atmosphäre erzeugte; aber daß man damals schon
eine dunkle
Ahnung davon hatte, es könne eine so rasche und allgemeine
Verbreitung
der Krankheit unmöglich durch Berührung allein - die
bei Vielen der
Erkrankten gewiß gar nicht Statt gefunden hatte - bewirkt
worden sein,
sondern es müsse dieselbe nothwendig in der Alterirung eines zur
Erhaltung des menschlichen Organismus überhaupt unentbehrlichen
Mediums, in der Vergiftung eines Lebens-Elementes ihren Grund gehabt
haben, beweist offenbar jener merkwürdige Wahnglaube von der
Brunnenvergiftung durch die Peloponnesier. Man irrte nur darin,
daß man
nicht in der atmosphärischen Luft, die von den Ausdünstungen
der
Kranken und Todten mit giftigen Miasmen erfüllt, vielleicht auch
in
Folge tellurischer Störungen mit schädlichen Dünsten
inficirt war 28,
den Hauptfactor und Träger der Ansteckung vermuthete, sondern in
dem
Trinkwasser und dessen künstlicher Vergiftung durch Menschenhand.
Auf
diese Weise wird es erklärlich, wie um viele Jahrhunderte
später und
bei ganz verschiedenen Völkern, bei gleichen Veranlassungen,
derselbe
oder ein ähnlicher Wahnglaube auftauchen konnte. Wie hier die
Peloponnesier, denen die wilde Verbitterung der Gemüther in diesem
Kriege und der nationale Haß eine solche schmachvolle und
barbarische
Weise der Kriegführung wohl zutrauen zu dürfen glaubte, durch
das
Gerücht als die Urheber dieses Unheils durch Vergiftung der
Brunnen
bezeichnet wurden, und der Umstand, daß der Peloponnes von der
Krankheit so gut wie ganz verschont blieb, diesem Wahne auch
später
noch bei Vielen Glauben verschaffen mochte, so wurden in ähnlicher
Weise ein Jahrhundert später zu Rom, als im Jahre 331 v. Chr. eine
Epidemie vorzugsweise, wie es scheint, unter den Männern herrschte
und
zahlreiche Opfer ans den höheren Ständen hinraffte, die
Römischen
Matronen der Giftmischerei bezüchtigt, ja auf die angebliche
Entdeckung
eines weitverzweigten Complottes unter denselben zur Vergiftung ihrer
Männer sogar ein gerichtliches Verfahren wider sie eingeleitet,
und an
170 dieser Unglücklichen hingerichtet 29. Das merkwürdigste
Seitenstück
aber zu jenem Wahnglauben in der attischen Pest bietet im 14.
Jahrhunderte nach Christus, während der Schreckenszeit des
schwarzen
Todes, der allgemein verbreitete Glaube einer Brunnenvergiftung durch
die Juden zur Ausrottung der Christen, welcher, ähnlich wie dort,
durch
die - auch in spätern Epidemien häufig gemachte -
Wahrnehmung bestärkt
werden mochte, daß die Juden von der Pest
verhältnißmäßig weniger zu
leiden Hatten 30. Gegen Einzelne derselben wurde förmliche
Untersuchung, wie gegen jene römischen Matronen, mit peinlichem
Verhöre, eingeleitet 31, in der Regel aber gegen die
Unglücklichen eine
barbarische Volksjustiz geübt, und zahlreiche Städte
Deutschlands und
Frankreichs befleckten sich damals mit den Gräueln einer
wüthenden
Judenverfolgung. Einen deutlichen Beweis aber für die oben
ausgesprochene Ansicht, daß sich in dem Volksglauben von der
Vergiftung
des Wassers, als eines unentbehrlichen Lebens-Elementes, eine dunkle
Vorahnung von der Verbreitung der Seuchen durch die Alterirung und
Infection der Luft (also auf miasmatischem Wege) ankündigte,
liefert
die Thatsache, daß beim schwarzen Tode wirklich auch von einer
Vergiftung der Luft die Rede ist, deren die Juden neben der
Brunnenvergiftung bezichtigt werden 32.
g) Befördernde
Umstände.
Verschiedene Umstände begünstigten theils den
Ausbruch der Seuche,
theils erhöhten sie ihre schrecklichen Wirkungen. Als solche sind
aufzuführen:
1) Die große Dürre und Hungersnoth, die nach dem
Berichte des
Thukydides (l. 23) an einzelnen Orten der Epidemie vorangegangen waren.
2) Die Ueberfüllung der Stadt Athen. Man hatte
nämlich kurz vor dem
Ausbruche der Pest, als die Peloponnesier das flache Land verheerten,
einer großen Zahl flüchtiger Landleute sammt ihren Heerden
- wie
Plutarch berichtet 33, auf den Rath des Perikles - Aufnahme
theils in
die Stadt selbst, theils in den durch die sogenannten langen Mauern
befestigten Raum zwischen der Stadt und dem Peiraieus gewährt.
Indem
diese während der heißen Jahreszeit in erstickend engen,
für das
augenblickliche Bedürfnis; schnell errichteten Baracken, dicht
zusammengedrängt wohnten, ward die Macht der Ansteckung und damit
die
Wuth der Seuche selbst gesteigert. Doch würde man die Bedeutung
dieses
Umstandes, jedenfalls überschätzen, wollte man in demselben
mehr als
ein bloßes Beförderungsmittel, und, wie dies
verschiedentlich in alter
34 und neuer Zeit 35, ja schon während der Pest selbst von einer
gegen
Perikles entstandenen Oppositionspartei geschehen ist 36, sogar die
eigentliche Ursache der Epidemie erblicken, während letztere doch
schon
vorher im Nilthale aufgetreten war. Dazu kam
3) später bei der gesteigerten Intensität der
Krankheit die große
Menge von Leichen, die unbestattet in Häusern und Tempeln, ans den
Straßen und an den Brunnen lagen, und deren verpestende
Ausdünstungen
der Seuche wieder neue Nahrung zuführten 37
Außerdem werden von Diodor 38 an der Stelle, wo er den
Wiederausbruch der Krankheit (im Jahre 427) berichtet, als
einflußreiche Umstände hiebei aufgeführt: a) die
ungewöhnliche Nässe
des vorausgegangenen Winters, welche zur Folge gehabt habe, daß
an
vielen Orten, namentlich in muldenförmigen Niederungen Sümpfe
sich
bildeten, aus denen dann unter dem Einflusse der Sommerhitze
verpestende Nebel sich entwickelten; b) eine Mißärnte in
diesem Jahre
in Folge des ersteren Umstandes, und daraus entstandener Mangel; c) das
Ausbleiben der Passatwinde
(ενησιαι) im Sommer kurz vor dem
Ausbruche
der Epidemie. Diese pflegten regelmäßig um die Zeit der
Hundstage auf
dem ägäischen Meere und in den Küstenländern gegen
40 Tage von Norden
her zu wehen und durch ihren erfrischenden Hauch die unerträgliche
Gluth eines südlichen Sommers zu mildern. Letzterem Umstande
schreibt
Diodor namentlich die Intensität der Fieberhitze bei den Kranken,
zu.
Der historische Werth dieser Angaben übrigens ist, wie der
Verfasser
glaubt, vielfach überschätzt worden. Man vermißt vor
Allem eine
genauere Bezeichnung der Zeit. Sollen die gemeldeten
Witterungsverhältnisse vor dem ersten Pest-Ausbruche Statt
gefunden
haben, so befindet sich Diodor nicht nur mit Thukydides, der von
denselben nichts weiß, ja in Athen selbst um diese Zeit den
Gesundheitsstand als ungewöhnlich günstig angibt und von
einzelnen
Orten sogar große Dürre berichtet, sondern mit sich selbst
in
Widerspruch, da er kurz vorher (c. 45) die Ueberfüllung Athens als
Ursache der Krankheit bezeichnete. Sind aber jene Angaben von der Zeit
vor dem zweiten Ausbruche zu verstehen, so steht denselben wieder das
gänzliche Schweigen eines sorgfältig beobachtenden
Augenzeugen
entgegen, der selbst die mit der Seuche anscheinend nicht im
Zusammenhange stehenden Naturereignisse in der Nähe und Ferne
gewissenhaft verzeichnet. Wie die Angabe der Zeit, so fehlt auch die
des Ortes 39. Ein so ungenauer Gewährsmann kann auf
Glaubwürdigkeit
keine besonderen Ansprüche machen, und keinenfalls können
jene
Witterungs- und Luftverhältnisse, wenn sie in der Zeit der
Epidemie
wirklich vorkamen, von irgend wesentlichem Belange gewesen sein.
h) Art und Wesen der Krankheit.
Fragt man nun, welcher Art die im Vorstehenden geschilderte
Krankheit gewesen sei, so begegnet man unter den Fachmännern
selbst,
die sich hierüber ausgesprochen haben, der weitgehendsten
Meinungs-Verschiedenheit. Die orientalische Pest, das gelbe Fieber, den
Scharlach, den Typhus, die Blattern, das sogenannte heilige Feuer,
selbst die lues Venerea, und noch manche anderen epidemischen
Krankheitsformen hat man in der attischen Seuche wieder zu erkennen
geglaubt. Aber gerade in dieser großen Divergenz der Urtheile
scheint
ein deutlicher Beweis zu liegen, daß die attische Pest nach ihrem
eigentlichen Wesen von allen diesen Krankheits-Formen verschieden war,
wenn sie auch in einzelnen Symptomen mit der einen oder der andern
derselben ähnlichkeit zeigte.
In neuerer Zeit glaubte man daher von dem Versuche, die
attische
Pest mit irgend einer der später zur Erscheinung gekommenen oder
noch
heut zu Tage bestehenden epidemischen Krankheits-Formen zu
indentificiren, ganz abgehen zu sollen, und man betrachtete die
attische Pest unter dem Namen "typhus aethiopicus" oder "typhus
pustulosus antiquorum" als eine besondere Krankheitsform, gleichsam als
eine Uebergangsform, aus der sich später im Laufe der Zeit die
orientalische oder sogenannte Bubonenpest entwickelt habe 40. Diese
letztere Ansicht wird auch von Kraust 41 vertreten, und unter Hinweis
auf die Schrift des Letzteren hat der Verfasser in seinem Programme von
1857 (pag. 33 ff.) wahrscheinlich zu machen gesucht, daß die
attische
Pest, ferner die beiden großen Epidemien im zweiten und dritten
Jahrhundert christlicher Zeitrechnung während der Regierung des
Marcus
Aurelius und des Decius unter sich verschwistert und mit der
Justinianischen Pest verwandten Charakters waren, daß aber in
denselben
eine fortschreitende Entwicklung ihres Charakters zu erkennen sei,
daß
namentlich die charakteristischen Eruptionen der orientalischen Pest,
die Bubonen und Karbunkel- die weder von Thukydides erwähnt
werden,
noch in den betreffenden Schriften des Hippokrates mit Sicherheit sich
nachweisen lassen - in den beiden mittleren Epidemien immer
deutlicher
hervortraten, bis endlich mit der vierten, der Justinianischen Seuche,
die Bubonen-Pest in ihrem vollständig ausgeprägten Charakter
zur
Erscheinung kam. Diese Vermuthung dürfte noch unterstützt
werden durch
die mehr oder minder bei allen diesen vier Epidemien nachweisbare
Übereinstimmung in dem Gange ihrer Verbreitung: allen gemeinsam
ist der
gleiche Ausgangspunkt der Seuche aus den Nilländern, und die
vorherrschende Zugesrichtung von Ost nach West; die erste und vierte
stimmen außerdem noch in ihrem sprungweisen Vorrücken und in
der
vorzugsweisen Befallung von Küstenpunkten überein. Eine
genauere
Würdigung dieser Ansicht muß selbverständlich der
Fachwissenschaft
überlassen bleiben.
In neuester Zeit endlich hat eine hervorragende
Autorität, Häser,
(Gesch. der epidem. Krankheiten p. 13) sich dahin ausgesprochen,
daß
zwar ein sicheres Urtheil über die Natur der attischen Pest zu
fällen
unmöglich sei, daß aber die meisten Gründe sich zu
Gunsten derer
vereinigen, welche dieselbe für ein typhusartiges Nebel (und zwar
für
exanthemathischen Typhus) erklären 42. Als solche Gründe
werden
angeführt: die Sumpf-Miasmen, worauf Diodor's Bericht 43
hinweise; die
Ueberfüllung Athens; der Eintritt der Krisis am 7.-9. Tage; das
Delirium und die Neigung der Kranken sich in's Wasser zu stürzen;
die
brandige Zerstörung der äußersten Körpertheile,
endlich die
abgeschwächte Heftigkeit bei einem zweiten Krankheits-Anfalle an
'demselben Individuum.
Indem der Verfasser sich der Sache gemäß darauf
beschränkt, das
vorstehende gewichtige Urtheil eines der ersten Fachgelehrten in der
beregten Frage dem Leser einfach darzulegen, erlaubt er sich nur noch
bezüglich des Werthes, welcher den Angaben Diodor's vom
Standpunkte der
historischen Kritik beizulegen ist, auf seine obige Erörterung
sich zu
beziehen.
i) Menschen-Verlust.
Die Größe des Menschen-Verlustes in dieser Seuche
läßt sich, wenn
nach bestimmten Zahlen oder Procent-Sätzen gefragt wird, bei der
Mangelhaftigkeit der auf uns gekommenen Nachrichten kaum
annäherungsweise ermitteln. Es haben sich in dieser Beziehung
-
abgesehen von einer Notiz bei Diodor, die eine offenbare Unrichtigkeit
enthält - nur zwei Angaben erhalten: bei Thukydides II. 58
und III. 87.
An ersterer Stelle wird berichtet, daß im Sommer 430 die Seuche
auch
unter dem Heere der Athener, welches Potidaia belagerte, ausbrach,
nachdem sie durch die unter Hagnon aus Athen gesendete Verstärkung
dorthin verbracht worden war. Die Belagerung hatte, da die Pest
"hier
erst in besonders hohem Grade" wüthete 45, einen schlechten
Fortgang,
und Hagnon sah sich genöthigt, mit seinen Leuten zur See nach
Athen
zurückzugehen, nachdem er von 4000 Schwerbewaffneten 1050 durch
die
Krankheit in höchstens 40 Tagen verloren hatte 45. Diese Notiz
gibt
aber nur den Verlust eines kleinen Truppen-Körpers, und noch dazu
während einer ganz kurzen Zeit der Krankheitsdauer an. Denn der
Zusatz
"in höchstens vierzig Tagen" kann doch nicht den Sinn haben, als
habe
der Schriftsteller hiemit die ganze Dauer der Krankheit bei dieser
Truppen-Abtheilung bezeichnen wollen; derselbe wollte damit vielmehr
nur sagen, es sei im Momente der Einschiffung, vierzig Tage nach dem
Ausbruche der Epidemie im Lager vor Potidaia, der oben genannte Verlust
- 26-27 Procent - constatirt worden. Durch die
Einschiffung der Truppen
horte die Seuche sicherlich nicht auf; hat sie ja doch, wie wir von
demselben Gewährsmanne schon erfahren haben, auch die zur
Verheerung
der Küsten der Peloponnesos in diesem Jahre unter Segel gegangenen
Mannschaften nicht verschont. Zu einem Schlusse auf den Procentsatz des
Gesammt-Verlustes der attischen Bevölkerung in der ganzen Dauer
dieser
Seuche kann demnach obige Notiz keinen Anhaltspunkt gewähren,
zumal in
dem vorliegenden Falle die Intensität der Krankheit als eine
außergewöhnliche bezeichnet wird.
Von größerer Wichtigkeit ist die zweite Stelle bei
Thukydides,
welche den Gesammtverlust eines Theiles der athenischen Wehrkraft, und
zwar ohne Zweifel während der ganzen Dauer der Epidemie, angibt
46.
Nachdem derselbe nämlich das zweite Auftreten der Seuche in Athen
erwähnt, fährt er fort: "Sie dauerte aber das zweite
Mal nicht weniger
als ein Jahr, das erste Mal sogar zwei Jahre, so daß Nichts die
Wehrkraft der Athener in höherem Grade geschädigt hat. Denn
es starben
nicht weniger als 4400 Schwer-Bewaffnete aus den zum Dienste in dieser
Waffengattung verpflichteten Bürgern 47 und 300 Reiter, von dem
übrigen
Volke aber eine nicht mit Bestimmtheit festzustellende Zahl 48."
Nun wird aber in einem officiellen Nachweise über den
Stand der
attischen Wehrkraft unmittelbar vor dem Beginne des peloponnesischen
Krieges 49 die Zahl der Hopliten und Reiter in folgender Weise
angegeben
a) Zum Felddienste bestimmte Schwerbewaffnete 13,000 Mann
b) Als Besatzungsmannschaft für die festen Plätze
in Attika und zum
Wachdienste auf
den Mauern von Athen bestimmte Schwerbewaffnete 16,000 Mann,
Zu diesen gehörten aber - außer den
jüngsten und ältesten der
Bürger - auch eine Anzahl Schutz-Verwandte,
c) Reiter, mit Einschluß der berittenen Schützen
1,200 Mann.
Um nun den Procent-Satz des Verlustes bei den
Schwerbewaffneten zu
ermitteln, fragt es sich zunächst, da unter den 4400 der Epidemie
Erlegenen nur Bürger zu verstehen sind, aus wie hoch etwa die Zahl
der
bei d) mitbegriffenen Schutzverwandten anzuschlagen sei; denn
Zahlen-Angaben finden sich nicht.
Eine unter dem Archonten Demetrios dem Phalereer (Olymp. 117.
4 =
309 vor der christlichen Aera) vorgenommene Volkszählung in Attika
50 -
die einzige, von der sichere Nachrichten sich erhalten haben -
ergab
21,000 Bürger- und 10,000 Schutzverwandten-Familien. Dieses
numerische
Verhältniß der Bürge zu den Schutzverwandten -
21:10 - auch bei dem
obenerwähnten combinirten Corps von 16,000 Schwerbewaffneten zu
Grunde
gelegt, so würden sich etwa 11,000 Bürger und 5000
Schutzverwandte
ergeben. Bringt man noch in Anschlag, daß unter den
Schutzverwandten
verhältnißmäßig weniger Wohlhabende, als unter
den Bürgern gewesen sein
mögen 51, und schlägt man die Anzahl der damals unter den
Schwerbewaffneten dienenden Schutzverwandten nur auf 4000 an, so
würde
man bei dem in Rede stehenden Truppenkörper eine Anzahl von
12,000, im
Ganzen also eine Gesamtsumme von 25,000 schwerbewaffneten Bürgern
erhalten. Der Verlust durch die Epidemien bei den schwerbewaffneten
Bürgern und den Reitern würde sich demgemäß auf
18, beziehungsweise auf
25 Procent entziffern.
Daß unter dem übrigen, ärmeren und darum
gewiß auch dichter
gedrängt wohnenden Theile der Bürger und Schutzverwandten,
und vollends
bei der Sklavenbevölkernng die Sterblichkeit bedeutend
größer gewesen
sein wird, läßt sich nicht bezweifeln.
Gegen obige Angaben des Thukydides kann die erwähnte
Notiz bei
Diodor kaum in Betracht kommen.
Nachdem derselbe (XII. 58) den heftigen Wiederausbruch der
Krankheit nach kurzer Ruhepause erwähnt hat, führt er
unmittelbar
darauf fort: "Sie (die Athener) wurden nämlich von der
Krankheit so
schwer heimgesucht, daß sie von den Kriegsleuten über 4000,
an Reitern
400, von dem übrigen Volke aber, Freien und Sklaven, über
zehn Tausende
verloren." Ganz abgesehen von der ungenauen Bezeichnung
"Kriegsleute",
worunter wohl Hopliten sollen verstanden werden, abgesehen ferner
davon, daß aus dem Zusammenhange sich nicht entnehmen
läßt, ob man in
den angegebenen Zahlen den Gesammt-Verlust während der ganzen
Dauer der
Pest, oder blos den Verlust bei diesem zweiten Anfalle vor sich habe,
nehmen sich die 10,000 der gesammten übrigen Bevölkerung mit
Einschluß
von Weibern, Kindern und der ganzen Sklavenschaft beinahe komisch aus.
Bei der oben erwähnten Volkszählung in Attika findet sich die
Sklaven-Bevölkerung bei 21,000 Bürger- und 10,000
Schutzverwandten-Familien auf 400,000 Köpfe 52 angegeben.
Böckh 53
glaubt dieselbe auf 365,000 ermäßigen zu müssen. Wollte
man nun auch
annehmen, die Sklavenbevölkerung sei zu Anfang des
peloponnesischen
Krieges noch geringer gewesen (wozu bei einer Zahl von mindestens
26,000 schwerbewaffneten oder als Reiter dienenden Bürgern, die
damals
Athen zählte, gewiß kein Grund ist), und wollte man ferner
den Umstand,
daß, als im Anfange des Krieges der Feind in Attika einfiel, die
Sklaven schaarenweise entliefen 53, noch so sehr in's Gewicht fallen
lassen, so würden, selbst bei einer Sklavenzahl von nur 250,000
Köpfen,
jene 10,000 von der Seuche Dahingerafften, auch wenn sie alle dem
Sklavenstande angehört hätten, doch nur einen Verlust von 4
Procent
darstellen.
Ist aber auch die Gröβe des Menschen-Verlustes
nicht durch sichere
Zahlen zu ermitteln, so ergibt sich doch aus dem Bilde, das Thukydides
entwirft, daß sie eine furchtbare Höhe erreichte, so
daß die Kraft der
Ueberlebenden und die bisher gebrauchten Räume nicht mehr
ausreichten,
die Menge der Todten noch in einiger Ordnung zu bestatten. Die Einen,
sagt unser Berichterstatter 54, die nicht mehr die Kraft hatten, sich
hinauszuschleppen, blieben als Leichen liegen, wie sie auf und neben
einander
(επαλληλοις
) gestorben waren. Andere, die sich noch
fortschleppen konnten, wälzten sich mit dem Tode ringend auf den
Straßen und in der Nähe der Brunnen, nach denen sie
schmachteten.
Selbst die geweihten Räume, die bei der Ueberfüllung der
Stadt
gleichfalls zu Wohnstätten benützt worden waren, lagen voll
von
Leichen. Das Uebermaß des Elendes brachte die Menschen dahin,
daß sie
in völliger Rathlosigkeit, wie sie die Erkrankten insgemein
hilflos
ihrem Schicksale überließen, auch bei der Beschickung der
Todten sich
nicht mehr um geweihte Stätten oder religiöse Gebräuche
bekümmerten,
daß hiebei überhaupt alle Rücksicht auf gesetzliche
Anordnungen, alles
Gefühl für Anstand und Sitte aufhörte.
Unter den zahllosen Opfern aber, welche die Krankheit aus
allen
Ständen und Schichten der Bevölkerung abforderte, war keines
hervorragender, keines, dessen Verlust schwerer auf Athen lag und von
einsichtsvollen Freunden des Vaterlandes schmerzlicher beklagt wurde,
als Perikles. Nachdem der gefeierte Staatsmann in den letzten
unheilvollen Jahren seiner 40jährigen Staatsleitung noch die
Wandelbarkeit der Volksgunst erfahren, nachdem er sein Haus und den
Kreis seiner Freunde durch die Pest hatte veröden, und binnen acht
Tagen seine beiden einzigen vollblütigen - freilich dem
Vater sehr
unähnlichen -Söhne Xanthippos und Paralos hatte in's
Grab sinken sehen,
wurde auch er von ihr ergriffen. Nach dem oben erwähnten Berichte
des
Plutarchos verzehrte sie langsam, wie ein schleichendes Gift, seine
körperliche und geistige Kraft. Er starb im Herbste des Jahres
429.
k) Aerzte, ärztliche
Behandlung und
Krankenpflege.
Gegen die furchtbare Macht der Krankheit erwies sich, wie
Thukydides berichtet, die damalige ärztliche Kunst völlig
wirkungslos.
Anfangs behandelten die Aerzte die Krankheit ohne alle Kenntniß
von dem
Wesen derselben 56, und erlagen überdieß in großer
Zahl als ihre ersten
Opfer. Und wenn sie auch später dieselbe in ihren Erscheinungen
näher
kennen lernten und einige Erfahrungen machten, so vermochten sie doch
kein einziges Heilmittel oder Heilverfahren ausfindig zu machen, das
sich allgemein als bewährt herausgestellt hätte 57.
Allerdings war die
Wissenschaft in Erforschung des Wesens der Krankheit nicht müssig.
Hippokrates, damals im rüstigsten Mannesalter stehend, hatte ihr,
wohl
schon früher, an anderen Orten eine vorzügliche
Thätigkeit gewidmet;
daß er aber im Laufe derselben längere oder kürzere
Zeit in Athen als
ausübender Arzt gewesen, läßt sich durch ein sicheres
Zeugniß nicht
nachweisen. Die Nachricht, die Galenos, bekanntlich nächst
Hippokrates
der berühmteste und gelehrteste Arzt des Alterthums, der
übrigens einer
viel späteren Zeit - dem zweiten Jahrhunderte der
christlichen
Zeitrechnung - angehört, in einer seiner zahlreichen
Schriften 58 uns
überliefert hat, Hippokrates habe nur durch Alteration und
Desinfection
der Luft gegen die Epidemie gewirkt, und zu diesem Zwecke
(brieflichen?) Auftrag ertheilt, in der ganzen Stadt (Athen?) Feuer
anzuzünden, die Flammen mit wohlriechenden Kräutern zu
unterhalten und
Salben und Oele darüber zu gießen, dürfte -
ebenso, wie eine andere von
Plutarchos 59 gerüchtweise mitgetheilte Nachricht, der griechische
Arzt
Akron habe in der großen Pest zu Athen bei den Kranken nicht ohne
Erfolg Feuer anzünden lassen - gegenüber dem Schweigen
unseres ersten
und wichtigsten Gewährsmannes kaum in einigen Betracht zu ziehen
sein,
obwohl auch der neueste Forscher über griechische Geschichte,
Curtius
(Band II p. 339), hievon als von einer beglaubigten Thatsache spricht.
Ein so eigenartiges Mittel, wenn es in größerem
Maßstabe und noch dazu
mit Erfolg in Anwendung gebracht worden wäre, hätte doch der
Beobachtung des Thukydides nicht entgehen und bei seiner
sorgfältigen
Berichterstattung nicht unerwähnt bleiben können. Große
Wahrscheinlichkeit hat daher die Vermuthung Petersens 60, daß die
oben
erwähnte Thätigkeit des Hippokrates in eine spätere
Zeit, etwa um 420,
zu setzen sei.
Eben so unzureichend als die ärztliche Kunst, zeigte
sich die
Kranken-Pflege. An eine Organisation derselben von irgend welcher
Seite, durch welche es in neueren Zeiten gelungen ist, den
Würgengel
verheerender Seuchen mit Erfolg zu bekämpfen 61, darf hier
selbstverständlich, wie überhaupt im Alterthume, nicht
gedacht werden.
Die Krankenpflege war ausschließlich Privat-Sache. Hier aber
besiegte
bald die Furcht vor der fast sicheren Ansteckung die anfangs noch
opferwillige Hingabe beherzterer Freunde; die Pflege von Seite der
eigenen Angehörigen ermattete, von Nachbarn oder Freunden nicht
unterstützt, und so starben viele Häuser aus Mangel an Pflege
gänzlich
aus 62. Die Wartung der Erkrankten beschränkte sich zuletzt
größtentheils ans Diejenigen, welche die Krankheit
glücklich
überstanden hatten, und nun theils aus Mitleid, nach den selbst
erfahrenen schrecklichen Leiden, theils im Gefühle der Sicherheit,
weil
erfahrungsgemäß ein zweiter Anfall wenigstens keinen
tödtlichen Ausgang
hatte, sich der armen Leidenden und Sterbenden annahmen 63
.
1) Moralische Wirkungen der
Krankheit.
So furchtbar aber alle diese physischen und materiellen
Leiden und
Verluste waren, unter denen das schwer heimgesuchte Volk seufzte, so
waren sie doch entfernt nicht den moralischen Wirkungen dieser Seuche
an die Seite zu stellen, der hier zuerst hervortretenden Auflösung
aller sittlichen und religiösen Ordnung. Angesichts des raschen
Wechsels, mit dem das Besitzthum stets in neue Hände
überging, drängte
sich Allen die furchtbare Gewißheit auf, daß Leben und
Vermögen kaum
auf Einen Tag sich verbürgen ließen. Da wollte Niemand mehr
um der Idee
des Sittlichguten willen Opfer und Entsagungen sich auferlegen. Eine
völlige Verwirrung der Begriffe schien eingetreten: die
augenblickliche
Sinnenlust ("ο τι ηδη
ηδυ") und das, was diese, gleichviel durch welche
Mittel, förderte, galt jetzt für gut und ersprießlich.
Götterfurcht und
Staatsgesetz verloren ihre Kraft, da man Gottesfürchtige und
Gottlose
dem gleichen Verderben erliegen sah, und der Verbrecher längst dem
Todesloose verfallen zu sein gedachte, ehe der Arm der strafenden
Gerechtigkeit ihn erreichte. Nur vor dem über Allen
gleichmäßig
drohenden Verhängnisse bangte man, und nahm nicht Anstand, vor dem
Eintritte desselben, den jede nächste Stunde bringen könne,
die Neige
des Lebens noch zur Erbeutung jedweden Genusses auszunützen. Dies
ungefähr sind die Züge, mit welchen der Augenzeuge Thukydides
64 jenes
düstere Nachtstück in der Geschichte des athenischen Volkes
gezeichnet
hat.
m) Folgen der Seuche in
politischer und
culturhistorischer
Beziehung.
Und doch, wie schwer auch alle diese Leiden waren, Athen
wäre noch
glücklich gewesen, wenn ihre Dauer nur auf einige Jahre sich
beschränkt
hätte. So aber bewirkte das Zusammentreffen mehrerer
verhängnißvollen
Umstände, unter denen der lange Krieg die erste Stelle einnimmt,
daß
die tiefen Wunden, welche diese Pest geschlagen, auf eine lange Zeit
hinaus auf politischem wie auf culturhistorischem Gebiete sichtbar
blieben, ja zu offenen Schäden wurden, von denen Staat und Volk
von
Athen sich nie wieder ganz zu erholen vermochten.
a) In politischer Beziehung waren zuvörderst von
schwerwiegender
Bedeutung die namhaften Verluste, welche das athenische
Vollbürgerthum
- der eigentliche, schwer zu ersetzende Kern der Bevölkerung
- und
damit nicht nur die Wehrkraft 65, sondern auch die Tüchtigkeit des
Staates überhaupt durch die Pest erlitten hatte. Wie derartige
plötzlich gerissene Lücken in geschlossenen politischen
Körperschaften
überhaupt eine weit größere Bedeutung haben, als in der
übrigen
Bevölkerung, ist oben bei den Verlusten des römischen
Patriciats
hervorgehoben worden. Perikles, dessen staatsmännischer Blick in
jenem
Vollbürgerthum den Träger der Kraft und der moralischen
Tüchtigkeit des
Staates erkannte, hatte, um dasselbe in ungetrübter Reinheit zu
erhalten, früher die Bestimmung durchgesetzt, daß nur
ehelichen
Kindern, und zwar von Eltern, welche beide das Indigenat hatten 66, das
volle Bürgerrecht zustehen sollte.
Dem Berichte des Plutarchos 67 zufolge hätte Perikles
selbst nach
dem Verluste seiner vollbürtigen Söhne, damit sein Haus nicht
gänzlich
veröde, die Aufhebung oder Abänderung jenes Gesetzes -
vielleicht auch
nur speciell für seinen und Aspasia's Sohn - beantragt und
durchgesetzt. Jedenfalls muß nach dem großen durch die
Seuche
herbeigeführten Verluste von der Handhabung jenes strengen
Gesetzes auf
lange Zeit abgesehen worden sein, da man, sicheren Nachrichten zufolge,
unter dem Archon Eukleides - im Jahre 403 - für
nöthig fand, es
ausdrücklich wieder herzustellen, jedoch ohne rückwirkende
Kraft 68.
Waren doch vor der Seeschlacht bei den Arginusen - 406 v. Chr.
-
Schutzverwandte und Sklaven, unter der Verheißung des
Bürgerrechts und
beziehungsweise der Freiheit, zu den Waffen aufgerufen worden 69.
Auf diese Weise drangen - abgesehen von mancherlei
Einschleichungen
- fremdartige Elemente in großer Zahl in die
Bürgerlisten und in den
Familien-Verband, welche die Abgänge nur der Zahl nach, nicht
durch
Thatkraft und Tüchtigkeit der Gesinnung zu ersetzen vermochten.
Dazu
kam, daß durch die am Anfange des Krieges in Folge der
Einfälle der
Peloponnesier nöthig gewordene Uebersiedlung zahlreicher Familien
vom
flachen Lande in die Stadt ein großer Theil der Bürger den
ländlichen
Beschäftigungen und der gewohnten Thätigkeit auf längere
Zeit
entfremdet wurde 70, daß während der Seuche, und
wahrscheinlich noch
längere Zeit nach dem Aufhören derselben, die
öffentlichen
Uebungsplätze, jene Pflanzschulen der bürgerlichen
Wehrhaftigkeit, leer
standen 71, während die öffentlichen Plätze mit
müssigem, an dem
Partheitreiben und den Neuigkeiten des Tages sich ergötzenden
Volke
aller Art sich füllten.
Wie die Wehrkraft und die Tüchtigkeit des Staates, so
erlitt auch
der materielle Wohlstand einen starken Stoß. Das jüngere
Geschlecht,
über dessen Entartung Platon in einem seiner trefflichsten Dialoge
72
den Sokrates Klage führen läßt, wobei als die
auffallendsten Beweise
mißrathener Söhne der edelsten Väter die Söhne des
Perikles und des
Bildhauers Polykleitos angeführt werden, ergab sich der
Genußsucht, die
ja gerade in der Zeit der Pest so furchtbar um sich gegriffen, und
verpraßte das von den Vorfahren gesammelte und mit weiser
Sparsamkeit
zusammengehaltene Vermögen in kurzer Zeit, so daß die
wohlhabendsten
und angesehensten Familien der Stadt gänzlich in Verfall
geriethen. Als
eines der hervorragendsten Beispiele dieser Art begegnet uns in
demselben Platonischen Dialoge Kritias, welcher, aus einer
altehrwürdigen, ebenso durch ungewöhnlichen Reichthum, wie
durch die
bisher von ihren Gliedern bekleideten Staatswürden angesehenen
Familie
entsprossen, in der außerdem das ehrenvolle Amt eines Heroldes
und
Fackelträgers in den eleusinischen Mysterien erblich war, in
eitler
Schaustellung seiner Gönnerschaft für die fremden Sophisten,
mit diesen
und ihren zahlreichen Jüngern, sowie in niedrigen sinnlichen
Genüssen
das ganze Vermögen vergeudete, und vergessen und verachtet in
höchster
Dürftigkeit endete 73.
b) Was Wachsmuth 74 von den Nachwirkungen der Krankheit
bemerkt:
"Die Pest, welche im "zweiten Jahre des Krieges ausbrach,
ist ein
Wendepunkt in der Geschichte des athenischen Demos; von da geht "es
abwärts," hat auch noch, in einer andern als der oben
dargestellten
politischen und materiellen Beziehung seine volle Berechtigung. "Die
Pest," fährt derselbe fort, "tilgte nicht blos Menschenleben
allein,
..... sondern auch Bürgertugend." Und in der That, wie im
Aeußeren die
Physiognomie Athens in den nächsten Jahren bei der Minderung der
Wehrkraft und des Wohlstandes eine wesentlich veränderte sein
mußte, so
sehen wir gleichzeitig auch alle Kreise der geistigen Atmosphäre
von
einem vergiftenden Pesthauche durchzogen; überall in den
verschiedenen
Sphären des geistigen und des Culturlebens die gesunden
Zustände von
einer Reihe krankhafter Erscheinungen und After-Bildungen
verkümmert
oder verdrängt: im staatlichen Leben die ächte Staatskunst
und
Volkesleitung von der Demagogie; in der öffentlichen Rechtspflege
den
gesunden Rechtssinn von der Sykophantie; im Kreise des ethischen Lebens
die alte Zucht und Sitte von moderner Unsitte; auf dem religiösen
Gebiete den alten Götterglauben von Unglauben und Aberglauben,
endlich
im Bereiche des wissenschaftlichen Strebens und der höheren
Geistesbildung die wahre Philosophie von der Sophistik.
Alle diese tiefeingreifenden Uebel, im Grunde lauter
Mißtöne einer
und derselben verstimmten Saite - der Verderbniß des
geistigen Lebens
-, stehen mit der Pestseuche im innigsten Zusammenhange. Denn
jene
Verderbniß des geistigen Lebens entstand in der Pest und
wesentlich
durch dieselbe, und anderseits ist es großen Theils auch der Pest
und
ihren Wirkungen zuzuschreiben, daß das Verderben sich dauernd
festsetzte und bei den mächtigen Dimensionen, die es bald annahm,
nicht
mehr bewältigt werden konnte.
Durch das plötzliche Aussterben vieler Familien, welche
die Träger
der alten, ehrenfesten Gesinnung und Sitte gewesen, wurde die stetige
Kette der Tradition, in welcher sich diese Gesinnung aus der Zeit eines
Aristides und Kimon bis in die Gegenwart fortgepflanzt hatte, mit einem
Male abgerissen, und so der Wall, der sich einer, sei es von
Außen
einreißenden, oder im Innern aufkeimenden, Entsittlichung wirksam
hätte
entgegen stellen können, vielfach durchbrochen. Diese
Entsittlichung
kam aber durch die Pest zum schrecklichen Ausbruche, und konnte bei dem
Mangel einer kräftigen Reaction nicht eine blos
vorübergehende Wirkung
derselben bleiben 75. Daß sie immer tiefere Wurzeln schlug, immer
weiter fortwucherte, dazu trug außerdem auch der Krieg das Seine
bei,
der unheilvollste, den Hellas je geführt, da er nicht nur die
Gesammtheit seiner Staaten in zwei feindliche Heereslager schied,
sondern auch in den einzelnen Staaten selbst wieder die
Aristokratisch-Gesinnten, die meistens einen Rückhalt an den
Spartanern
hatten, in wüthendem Partheihasse gegen die Demokraten, deren sich
gewöhnlich die Athener annahmen, entflammte und ganz Griechenland
zu
einer großen Wahlstätte machte, auf der, sei es in den
Felsschluchten
der kriegführenden Hauptmächte, sei es in erbitterten
Straßenkämpfen
der von denselben unterstützten Factionen, Bürgerblut in
Strömen floß.
Noch hatte kein Krieg bei den Hellenen solche Beispiele von Wuth und
Grausamkeit durch Zerstörung von Städten, gewaltsame
Austreibung ihrer
Bürgerschaften, Hinschlachtung von Besiegten und Wehrlosen,
Mißhandlung
der sonst durch das Völkerrecht geschützten Herolde,
Weihestätten und
Gefangenen aufgezeigt, wie dieser 76.
a) Staatsmänner von ungewöhnlichem Geiste und
unbeugsamer
sittlichen Kraft hätte es in solcher Zeit entfesselter
Leidenschaften
bedurft, um in demokratischen Gemeinden das souveräne Volk in
wichtigen
Fragen der innern und äußern Politik zu berathen, über
seine, wahren
Interessen aufzuklären und bei derartigen Beschlußfassungen
seinen Sinn
über die Eingebungen unedler Leidenschaften hinweg auf die Gebote
der
Ehre und der Humanität zu lenken. In diesem Sinne hatte Perikles
gewirkt. Die Männer aber, die nach seinem Tode dem Volke sich als
Führer aufdrängten, nicht, wie früher, den alten,
geachteten
Geschlechtern, sondern den niederen Schichten der Gesellschaft
angehörig, - die berüchtigten Demagogen - waren
weder befähigt noch
gewillt, an das Volk, wie ihr Vorgänger, höhere sittlichen
Anforderungen zu stellen, sondern nur darauf bedacht, zur Behauptung
ihres Einflusses den jeweiligen Launen oder Leidenschaften des
großen
Haufens zu schmeicheln, und wurden so, statt weiser Berather und
segensreich wirkender Leiter des Volkes, dessen Verderber und
Verführer, so wie selbst hinwiederum von ihm verführt, da
sie, wollten
sie ihre Popularität nicht auf's Spiel setzen, gelegentlich auch
ihre
bessere Einsicht und Denkart verläugnen mußten. Die Periode
der
Demagogie bildet eines der unheilvollsten und schmachvollsten
Blätter
in der Geschichte Athens77.
b) Hand in Hand mit der Demagogie in den Volksversammlungen,
welche
das staatliche Leben und den politischen Sinn des Volkes vergiftete,
ging an den Stätten, wo dieses seine richterliche Thätigkeit
als Jury
zu üben hatte, das Treiben der Sykophanten, durch welches der
gesunde
Rechtssinn des athenischen Volles verpestet ward. Die leicht erregbaren
Leidenschaften dieses Volkes, seine Abneigung gegen die Aristokraten,
seine Lust an Skandal-Prozessen wurden von gewissenlosen Anklägern
-
man gab ihnen den Nachnamen Sykophanten - unter Benützung
aller
möglichen Chicanen und Rechtsverdrehungen, um des Gewinnes willen,
der
bei siegreicher Durchführung des Prozesses lockte, ausgebeutet,
und die
Geschwornen nicht selten zu Verdicten verleitet, die man hinterher bei
ruhigerer Stimmung bitter bereute 78.
c) Zur Signatur dieser Zeit gehörte nicht minder der
damals
hervortretende Verfall des einheimischen religiösen Glaubens, der,
wie
oben erwähnt wurde, in der Schreckenszeit der Seuche, bei der
Auflösung
aller Scheu und Zucht, einen mächtigen Stoß erlitt, und das
Schwanken
zwischen Unglauben und rohem Aberglauben, eine Erscheinung, die in
derselben Weise später in der Römischen Welt - in den
letzten Zeiten
der Republik und in den ersten Jahrhunderten des Kaiserreichs -
zur
Erscheinung gekommen ist. Der Scepticismus, der mehr oder minder
ausgeprägte Atheismus zeigte sich, noch als vereinzelte
Erscheinung und
auf das theoretische Gebiet beschränkt, in den höheren
Schichten der
Gesellschaft, während die Menge, unbefriedigt durch den
einheimischen
Cultus, sich verschiedenartigem Aberglauben in die Arme warf und theils
in den alten, aus der Vergessenheit wieder hervorgezogenen orphischen
Weihen, theils in den Sühnmitteln und Orakeln asiatischer
Priester, die
überall im Lande herumzogen, religiöse Befriedigung für
die
unerträgliche Leere des Herzens suchte 79. Daß mit dem
Verfalle des
religiösen Glaubens auch ein tiefes Verderbniß des
moralischen Lebens
einreißen mußte, ist selbstverständlich, und zeugen
hiefür am
sprechendsten die zahlreichen Andeutungen in den Komödien des
Aristophanes, der in den mannigfachen Lastern seiner Landsleute
überreichen Stoff für seine kaustische Satire fand 80.
d) Vervollständigt wird dieses Charakter-Bild der
damaligen
Entartung durch jene Afterbildung im Bereiche der Philosophie und des
höheren Geisteslebens, welche erst durch die geistige und
sittliche
Kraft eines Sokrates überwunden werden mußte, ehe der Baum
der
attischen Philosophie in den ächten Weisheits-Lehren dieses
Meisters
und seines großen Schülers Platon seine herrlichsten
Blüthen treiben
konnte. Schon etwa ein Jahrzehnt vor Beginn des peloponnesischen
Krieges hatte sich auf diesem Gebiete eine neue, eigenartige
Geistesrichtung angekündigt. Die Träger derselben, unter dem
Namen der
Sophisten bekannt, Männer von großer geistiger Begabung und
von
ausgebreiteten Kenntnissen, namentlich in einzelnen, damals noch wenig
gepflegten Wissenszweigen, durch welche sie auch unläugbar
mannigfach
anzuregen wußten, viele auch durch eine bestechende Rednergabe
unterstützt, stimmten, bei aller Mannigfaltigkeit ihrer einzelnen
Bestrebungen, doch im Wesentlichen darin überein, daß sie,
im
entschiedensten Gegensatze zur ächten Philosophie, die
Möglichkeit
einer objectiven Erkenntniß läugnend, die Berechtigung jeder
individuellen, momentanen Ansicht proclamirten (welcher gegenüber
selbstverständlich auch von einem allgemein gültigen
Sittengesetze
nicht mehr die Rede sein konnte); daß sie ferner zu einem
Hauptziele
ihres Studiums machten, jedwede individuelle Meinung, trotz innerer
Schwäche und Unhaltbarkeit, durch die Kunst der Rede, d. i. durch
Anwendung formeller, auf die Verwirrung des Gegners berechneter
Kunstgriffe siegreich zu vertheidigen 81 (wodurch die Rede, die
naturgemäß doch nur Mittel für die Mittheilung einer
Erkenntniß sein
soll, gewissermaßen über die Erkenntnis gesetzt und zum
Selbstzweck
erhoben wurde); endlich aber und vorzüglich darin, daß es
ihnen in
letzter Instanz überhaupt nicht um Erforschung der Wahrheit
- das Ziel
der ächten Philosophie - zu thun war, sondern daß sie
ihre Gaben und
geistigen Mittel zur Befriedigung persönlicher Interessen, ihrer
Eitelkeit und Gewinnsucht, möglichst zu verwerthen suchten. Wie
alle
Träger und Verbreiter destructiver Lehren und Tendenzen in alter
und
neuer Zeit, suchten auch diese Leute, in der richtigen Berechnung,
daß
in dem conservativen Sinne der älteren Generation kein Boden
für ihre
neue, zweideutige Aufklärung sei, das hiefür
empfänglichere jüngere
Geschlecht an sich zu ziehen. Und so sehen wir sie in ihrem
Wanderleben, wobei sie natürlich die Metropole hellenischer
Bildung,
Athen, zu berühren nicht versäumten, überall als Lehrer
der Jugend
auftreten, und gegen hohes Honorar Unterricht "in der für das
öffentliche und häusliche Leben erforderlichen
Tüchtigkeit" ertheilen,
bei welchem selbstverständlich die in republikanischen Staaten,
namentlich in Leiten leidenschaftlichen Partei-Treibens,
bedeutungsvolle Redefertigkeit eine Hauptrolle spielte. Waren hiebei
die älteren Meister der Sophistik noch so vorsichtig oder
vielleicht
noch so weit von einem Reste von Scheu besangen, daß sie ihre
Principien nicht bis in ihre letzten Consequenzen verfolgten, so ward
bei den jüngeren und den Sophisten-Schülern solche
Zurückhaltung und
Scheu bald zu einem überwundenen Standpunkte, und es wurden
Behauptungen und Grundsätze von diesen 92 aufgestellt, die, wenn
sie
irgendwo zur praktischen Durchführung gelangten, nicht nur der
Philosophie, sondern jedweder Geistesbildung überhaupt, ja jedem
geordneten Staatsthume und der ganzen socialen Ordnung gründlich
ein
Ende machen mußten' 83.
Dies war der Zustand Athens nach der Seuche und noch lange
Jahre
hinaus; ja es ist Thatsache, daß Athen nie wieder, sei es in
Bezug auf
seine politische Stellung, sei es in Bezug auf seine culturhistorische
Bedeutung 84, im Großen und Ganzen, und wenn man einzelne
hervorragende
Erscheinungen auf dem Gebiete der Philosophie und der Redekunst
abrechnet, zur früheren Höhe sich erschwungen hat. Den
Culminationspunkt seiner Entwicklung und die höchste Blüthe
in den
beiden vorerwähnten Beziehungen hatte Athen schon in der
früheren Zeit
der Perikleischen Verwaltung, vor dem Kriege, erreicht, und es mag
hierin noch ein weiterer Grund zu finden sein, weshalb die Seuche in
Verbindung mit dem Kriege in Athen so tiefeingreifende und so
nachhaltige Folgen äußern sonnte, während in Rom,
welches doch unter
der Geißel seiner Epidemien gewiß nicht weniger schwer
litt, Beispiele
von Sittenverwilderung und Rohheit, wenn sie sich auch hie und da
bemerkbar machten 85, doch nur vorübergehende Erscheinungen
blieben und
von der geistigen Kraft der Nation wieder überwunden wurden. Athen
wurde von der Seuche nicht, wie Rom, in der Periode seiner
aufsteigenden Macht, sondern nach schon erreichtem Wendepunkte und im
beginnenden Niedergange betroffen, und hatte zum Kampfe gegen die
Folgen derselben nicht mehr, wie Rom, die volle Frische seiner
geistigen und moralischen Kraft einzusetzen.
4) Die Seuche in
Mittelgriechenland und
im Peloponnes um 420 (?).
Petersen, in einer schon mehrfach angeführten Abhandlung
86, hat
nachzuweisen gesucht, daß im Laufs des peloponnesischen Krieges
noch
einmal im Jahre 430 Mittelgriechenland und der Peloponnes von einer
Seuche heimgesucht wurden, bei welcher Hippokrates und sein Sohn
Thessalos durch ärztliche Hilfeleistung thätig waren, und
nimmt an, daß
bei dieser Gelegenheit von dem Ersteren jene oben erwähnten
Wucherungen
in großartigem Maßstabe (als prophylaktische
Maßregeln) angewendet
worden seien. Der Verfasser kann, um die von einem Schulprogramme
einzuhaltenden Gränzen nicht noch weiter, als es schon geschehen
ist,
zu überschreiten, auf eine nähere Darlegung und
Würdigung der von
Petersen hiefür geltend gemachten Gründe nicht eingehen und
muß sich
darauf beschränken, seine unmaßgebliche Ansicht
hierüber in aller Kürze
auszusprechen. Es ist nicht zu verkennen, daß Petersen's
Vermuthung
sehr Vieles für sich hat; namentlich machen es die noch bis 413
fortdauernden Erderschütterungen in Griechenland, deren eine in
das
kritische Jahr 420 selbst fällt, nicht unwahrscheinlich, daß
auf den
großen Seuchenzug der attischen Pest noch ein oder der andere
schwächere Anfall gefolgt sei. Anderseits aber ist nicht in Abrede
zu
stellen, daß jener Vermuthung wieder gewichtige Bedenken
entgegenstehen, und zwar: die zweifelhafte Beglaubigung derselben durch
die - von der neueren Kritik allgemein als unächt erkannte
-
Gesandtschaftsrede des Thessalos, der Mangel anderer sicheren
Nachrichten, und namentlich der Umstand, daß Thukydides bei
Aufzählung
der den peloponnesischen Krieg begleitenden Unfälle (I. 23) nur
Eine
Epidemie, die attische Pest, kennt 87. Jedenfalls dürfte so viel
feststehen, daß die fragliche Epidemie, falls sie wirklich als
genugsam
historisch beglaubigt erscheinen sollte, im Allgemeinen nicht von
bedeutendem Belang gewesen sein könne.
FUßNOTEN
1) Ueber die im Laufe der Geschichte vielfach constatirte
Thatsache, daβ groβe Epidemien regelmäβig von
ungewöhnlichen
Natur-Erscheinungen der mannigfaltigsten Art eingeleitet und begleitet
werden, sowie über den hieraus zu ziehenden Schluβ eines
wahrscheinlichen innern Zusammenhanges zwischen beiderlei Ereignissen,
hat sich der Verfasser ausführlich in seinem früheren
Programme "die
groβe Pest zu Zeit Justinians I.", Dillingen 1857, ausgesprochen.
2) Herod. VI. 98.
3) Pindar. Fragm. Bei Strabon VIII. 185, in der
Dissen'sche Ausgabe
von Pindar. I. p. 228. Cf. Müller, Dorier, I. p. 311. Schol zur
Odyss.
X. 3.
4) Herod. A. angef. O. nennt sie
ακινητος. Auch eine von ihm
angeführte Orakel-Stelle bezeichnet sie so:
Κινησω και
Δηλον
ακινητον
περ εουσαν. Und
bei Pindar (Fragm. V. 1. 4. Der Ausgabe von Dissen)
wird sie angeredet: Ποντου
θυγατερ
χθονος
ευρειας
ακινητον
τερας. -
Plinius h. n. IV. 22. - Hoff. IV. p. 140. - Wachsmuth I. p.
9.
5) Mit Herodots Angabe im Widerspruche bemerkt Thukyd. I. 8,
wo er
von einem späteren Erdbeben aus dieser Insel im Jahre 431 spricht,
es
sei vor diesem letztgenannten Ereignisse Delos niemals, so weit die
Erinnerung der Hellenen reiche, von einer Erderschütterung
betroffen
worden. An der Glaubwürdigkeit der von Herodot mitgetheilten
Nachricht
ist aber um so weniger zu zweifeln, als er sie an Ort und Stelle
erhielt, wo er - da seine Reisen jedenfalls geraume Zeit vor dem
Jahre
444 beendigt waren - unter der älteren Bevölkerung der
Insel gewiß noch
Viele treffen konnte, die jenes Ereigniß erlebt hatten. Ob
Thukydides
jene Nachricht für unbegründet gehalten, oder ob sie ihm mit
jenem
Theile des Herodotischen Geschichtswerkes überhaupt unbekannt
geblieben, oder endlich, was vielleicht noch am wahrscheinlichsten sein
dürfte, ob sie ihm zufällig entgangen ist, wird sich
schwerlich mit
Bestimmtheit ermitteln lassen. Man vergleiche die Erklärer des
Thukyd.
a. a. O.
6) VIII. 126-129.
7) Herod. VIII. 117. Daβ beide Ereignisse nur etwa zwei
bis drei
Monate auseinander liegen, ergibt sich theils aus Herod. VIII, 110 und
111, wo die Brücke, als Xerxes von Attila aus den Rückzug
antrat, noch
als stehend erwähnt wird, theils aus VIII. 117 selbst, wo gesagt
wird,
Xerxes habe bei seiner Ankunft an der Meerenge die Brücke
zerstört
getroffen; das Ereignis scheint demnach erst kurz vor seiner Ankunft
vorgefallen zu sein, da er unter Wegs keine Nachricht davon erhalten.
8) Parische Chronik, 53, Epoche, wo der Ausbruch in das
gleiche
Jahr mit der Schacht von Plataiai gestellt ist.
9) Obige zuerst von Böckh (Comment. zu Pind. Pyth. I.)
aufgestellte
- durch die Stelle bei Thukyd. III. 116 veranlaßte -
Annahme, der auch
Dissen (Comment. zu Pind. p. 160) beitrat, hält der Verfasser bei
sorgfältiger Prüfung des Wortlautes jener Stelle bei Thukyd.
für
vollkommen gerechtfertigt. Letzterer sagt nämlich, indem er von
dem
Ausbruche des Jahres 426 spricht: Ερρυη
δε περι
αυτο το εαρ
τουτο ο
ρυαξ του
πυρος εκ της
Αιτνης, ωσπερ
και το
προτερον.....λεγεται
δε
πεντηκουτωι
ετει ρυηναι
τουτο μετα
το προτερον
ρευμα, το δε
ξυμπαν τρες
γεγενησθαι
το ρευμα αφ'
ου Σικελια
υπο Ελληνων
οικειται. Dem Thukydides
waren demnach von jenen drei erwähnten Ausbrüchen zwei mit
Sicherheit
bekannt, der dritte von 426 und der zweite (το
προτερον
ρευμα), welchen
er der Angabe seiner Gewährsmänner zufolge in das Jahr 475
setzt. Der
erste kann, nach der ganzen Fassung der Stelle, unmöglich mit der
in
der Parischen Chronik zum Jahre 479 berichteten Aetna-Eruption zusammen
fallen, sondern muß einer viel früheren Zeit angehören,
von der
Thukydides keine sichere Kunde hatte. Es bleiben daher nur zwei Wege
übrig, um die scheinbar widersprechenden Angaben des Parischen
Marmors
und der erwähnten Stelle des Thukydides in Einklang zu bringen:
entweder mit dem neuesten Herausgeber Classen den von Thukydides
erwähnten zweiten Ausbruch mit dem der Parischen Chronik von 479
zu
identificiren und zu diesem Zwecke die Zeitangabe bei Thuk.
"πεστηκοστωι
ετει" nur als runde Zahl zu fassen, oder mit
Böch und
Dissen anzunehmen, daß der Aetna-Ausbruch von 479 mit
längeren oder
kürzeren Zwischenpausen bis 475 fortdauerte, so daß die
einzelnen
Erscheinungen als ein zusammengehöriges Ganzes einer großen
Eruption
betrachtet werden konnten. Der erste« Erklärungsversuch aber
mittels
Annahme einer runden Zahl scheint bei einem relativ nicht so fern
liegenden Ereignisse nicht gehörig begründet, und
dürfte, nach der
Ansicht des Verfassers, der zweiten Annahme der Vorzug gebühren.
- M.
vergl. Hoff IV. p. 138, und die Erklärer zu Thukyd. a. a. O.
- Erfolgte
der Ausbruch des Aetna vom Jahre 479 nach einer längeren Ruhe, und
erstreckte er sich über mehrere Jahre, dann gewinnt auch Pindar's
erhabene Schilderung von diesem Ereignisse (Pyth. I. v. 21 f. ed.
Dissen) eine erhöhte Bedeutung.
10) Thukyd. a. a. O.
11) Diodor. V. 6.
12) Thukyd. I. 101. 128. - Diodor. XI. 63. -
Strabon VIII. 367. -
Plutarch, Kimon cap. 16. - Pausan. I. p. 28. ed. Xyland.; dann
IV. 24.
2. VII. 25. 1.
13) Bezüglich der Zeitbestimmung waltet große
Verschiedenheit der
Angaben ob. Die von Diodor für das fragliche Jahr angegebenen
Röm.
Konsuln werden in Almel. Fast. zum Jahre Roms 280-474 v. Christus
aufgeführt. In der Epitoms der Pariser Ausgabe von Diodor wird das
Ereigniß in Olymp. 774 = 469 v. Chr. gesetzt. Nach Niebuhr (R.
Gesch 3.
Aufl. II. p. 309) fällt dasselbe in das 2. Jahr der 79. Olymp.,
welches
er dem Jahre der Stadt 248 (= 472 vor der aer. vulg. nach Niebuhr)
gleichstellt. Ottfr. Müller (Dorier) setzt es in Olymp. 78. 4 =
465,
Krüger (hist. philol. Stud. I. p. 149) in Olymp. 78. 3 = 466,
Manso
(Sparta), Clinton (fast. Hellen.) und Wachsmuth (Hell. Alt. Rde. I. p.
9) in Olymp. 79. 1 = 464 v. Chr. Letzteren folgte auch Weigel
(Geburts-Jahr Christi, 2. Theil).
14) Lakonien wird - nebst Euboia - als
bezeichnet. Strabon I. 60.
VIII. 367. X. 447.
15) Nach Diodors Schilderung (l. l.) scheint eine große
Zahl
einzelner Erdstöße in kurzen Zwischenpausen erfolgt zu sein,
welche
deshalb als zu Einer Erscheinung gehörig betrachtet werden
konnten. So
erklären sich die Ausdrücke: επι
πολυν δε
χρονον
συνεχως της
πολεως
καταφερομενης
sc. und γενομενων
σεισμων
μεγαλων sc. und wieder:
επει
δια τον
σεισμον sc.
16) Cf. Wachsmuh I. p. 786 und 693 ff.
17) Liv, III. 5. - Paul. Oros. II. cap. 12.
18) Liv. a. a. O. - Der Verfasser hat schon in seinem
Programme vom
Jahre `1857 p. 30 not. 41) de Ermuthung ausgesproche, daβ der
etwas
unbestimmt gehaltene Ausbruch bei Livius: "portenta aut observata
oculis aut vanas ex "territis ostentavere species. His avertentdis
terroribus" &c. (vielleicht auch die bei demselben, IV. 21, zur
Epidemie von 436 - 428 erwähnten "terrores"), desgeliechen
die gleich
nachher zu 461 aus Dionysios auzuführenden
μορφαι
ειδωλων δι'
φερομεναι, in gleichem
Sinne zu fassen seien, wie die ungewöhnlichen
Gesichte, welche - nach demselben Dionys. - in der Epidemie
von 490 zu
Rom fielen, erschienen waren. Der Wahn, schreckhafte Erscheinungen zu
sehen, tritt in eigenthümliche Weise bei mehreren
gröβere Epidemien der
früheren Zeit auf; so - auβer der eben genannten von
490 - in der
15jährigen Epidemie von 746 - 748 n. Chr. (Schnurrer,
Chronik der
Seuchen I. p. 96), am auffalendsten in der Justianianischen und in der
Pest von 746 - 748 n. Chr. in Unteritalien. Und so scheinten auch
die
im Texte aufgeführten Vistonen von 464 und 461 mit der
groβeren
Epidemien der Zwischenjahre 463 und 462 in näheren Zusammenhange
zu
stehen. Wenistens wäre nicht undenkbar, daβ die
Störungen in der
Nerventhätigkeit, welche allen groβen Epidemien des
Alterthums
eigenthümlich zu sein scheinen, bei einzelnen Personen von
besonders
reizbaren nerven schon vor dem Eintritte der Epidemie sich
ankündigten,
oder nach dem Verschwinden derselbem als Nachwirkungen noch einige Zeit
fortdauerten.
19) Livius III. 10; am ausführlichsten Dionys. V.
Hallkorn. K. 2.
(pag. Steph. 463 ff.) Cf. Val. Max. I. cap. 6 und Plin. II. 57.
20) "πυρος
αναφεις εφ'
ενος
μενουσαι
τοπον," bei Dionys., wohl
dasselbe, was Livius mit "coelum ardere vaiaum" gibt, und
wahrscheinlich noch Nordlichtern zu versthene. Cf. Niebuhr, Röm.
Gesch.
II. Bd. p. 310. Schwegler. R. G. II. pag. 618.
21) Serm. LXXVII. Pag. 456 der 3ten Ausgabe von Gesner.
22) Diese Begebenheit wird als eine bekannte Thatache auch
von
Pausan. X. p. 344. F. (der Ausgabe von Xyland.) erwähnt, jedoch
ohne
Angabe der Zeit und der Namen der Jünglinge. - Bei Valerius
Maximus V.
cap. 4, und Seneca de benef. III. 37., wo dieselben als Brüder
unter
den Namen Amphinomous und Anapus aufgeführt werden, die ihre
beiden
Aeltern retteten, ist wohl dasselbe Ereignis gemeint.
23) III. 116; s. oben not. 9.
24) Niebuhr (R. G. II. 3te Aufl. P. 310), nach dessen
Berechnung
diese Eruption gleichzeitig mit der groβen Epidemie von 291 U. C.
(463
v. Chr.) in Rom zu setzen wäre, scheint - wohl
hauptsächlich aus
letzteren Grunde - die Richtigkeit der Angabe Aelians nicht zu
beanstanden.
25) Herod. VIII. 115. - Auszug aus Trog. Pomp. Bei
Justin. IV. 23.
26) Liv. VII. 38. "An aequum esse" - läβt er
dei Miβvergnügten
unter den Römischen Besatzungs-Truppen in Capua sagen -
"dediticios
suos illa fertilitate et amoenitate perfrui; se, militando fessos, in
pestilente atque arido circa urbem solo luctari?" seqq. -
Schnurrer I.
p. 30 f.
27) Dionys. ed. Kiessling VII. C. 12. (pag. St. 315.)
28) Derselbe, VII. 68. (p. Steph. 348.)
29) Derselbe, IX. C. 40 u. 42. (p. Steph. 441. f.) - M.
s.
insbesondere Niebuhr. R. G. II. p. 305. Schwegler II. pag. 614.
30) Advers. Pag. hist. II. cap. 12. "......quamvis
etiam superiore
quarto anno oborta lues eundem populum depopulata sit." Da im Tekst
vorher von dem Jahre 290 U. C. die Rede war, in welches Orosius die
groβe Seuche des Jahres 463 (291 U. C.) setzt, so müβte
die erwähnte
Epidemie im Jahre 287 d. Stadt (467), beziehungsweise 288 (466) Statt
gefunden haben.
31) Dionys. IX. 67. (p. St. 459 f.) - Livius III. 6-8.
- Paul.
Oros. II. cap. 12.
32) Livius l. l. hiemit ziemlich übereinstimmend: Grave
tempus et
forte annus pestilens erat urbi agrisque, nec hominibus magis quam
pecori. Wenn Livius hieraus fortfährt: et auxere vim morbi,
terrore
populationis pecoribus agresibusque in urbem acceptis &c. &c.,
so scheint er in seiner Darstellung dem natürlichen Gange der
Ereignisse vorgegriffen zu haben. Die Aufnahme der mit ihren Heerden
flüchtenden Landbewohner innerhalb der Ringmauern - wenn sie
nicht
überhaupt eine bloße Nachbildung des gleichen Vorganges in
der
attischen Pest ist, da Dionysios hievon Nichts berichtet - fand
doch
wohl erst später Statt, zur Zeit da die Volsker und äquer
sich der
Stadt selbst nahten. In keinem Falle dürfte man berechtigt sein,
mit
Niebuhr (Vortr. über R. Gesch. I. pag. 278 ff.) in dem
Zusammendrängen
von Menschen und Vieh auf einen engen Raum den eigentlichen
Entstehungsgrund der Epidemie zu suchen, da Livius selbst diesen
Umstand nur als ein Beförderungs-Mittel der schon früher
vorhandenen
Seuche darstellt.
33) Horat. sat. II. 6. 18. f. Od. I. 14 v. 15. Ep. I. 7. 3-10
und
dort d. Ausleger.
34) Liv. III. 6. "Militaris fere aetas omnis [affecta
erat]. -
Oros. II. 12. "militares copias plurima ex parte confecit
(pestilentia). -
35) So z. B. in der großen Pest unter Justinian, beim
sogenannten
schwarzen Tode (M. s. des Verfassers Progr. v. 1857 p. 39), in der
englischen Schweiß-Sucht (M. s. d. Monographie hierüber von
Hecker) sc.
36) So Dionys. IX. 68. - Livius (III. 7.)
läßt - etwas poetisch -
die Feinde schon beim Anblicke der Stadt ohne Versuch einer Berennung
oder Belagerung wieder abziehen.
37) Liv. III. 8.
38) Dionys. IX. 69. (p. St. 461.)
39) Vorträge über R. Gesch. p. 279.
40) Liv. III. 8. - Cf. Dionys. L. l.
*) M. s. u. Andr. Ratisbon. et J. Chraft. Chron. bei Eccard.
corp.
scr. med. Aev. I. p. 2105 f.
41) Von Orosius l. l. wird dies noch bemerkt: multos nobiles
praecipueque plebem foeda tabe delevit (pestilentia).
42) και οντων
(Πελοποννησιων)
ου πολλας
πω ήμερας εν
τηι Αττικήι, ή
νοσος
πρωτον ηρξατο
γενεσθαι
τοις
Αθηναιος,
λεγομενον
μεν και
προτερον
πολλαχοσε
εγκατασκηψαι
και περι
Λημνον και εν
χωριοις ου
μεντοι
τοσουτος
γε λοιμος
ουδε φθορα
οιτως
ανθρωπων
ουδαμου
μνημονευετο
γενεσθαι.
43) Cf. Kraus (Disquisitio &c.) p. 7.
44) Noct. Attic. XV. 23.
45) Auf solche von dem Schriftsteller selbst in früherer
Zeit
mehrfach vernommene Erzählungen scheint aber namentlich der
Ausbruch
μνημονευετο
(sc. τοτε, οτε
ελεγετο την
νοσον
πολλαχοσε *c.)
mit
Bestimmtheit hinzuweisen, da man sonst offenbar
μνημονευεται
erwarten
müβte.
46) Cf. Kraus a. a. O.
47) Cf. Kraus a. a. O.
48) So namentlich in der groβen Pest unter Justinian,
dann beim
schwarzen Tode, endlich in der asiatischen Brech-Ruhr unserer Zeit.
49) Dionys. X. 73. (p. Steph. 499). - Livius III. 32.
- Paul. Oros.
II cap. 3. Der Letztere setzt zwar diese Pest in das Jahr 299 der Stadt
(= 455 v. Chr.). Aus dem Zusatze jedoch: "dum legati ad Athenienses
propter Solonis leges deferendas missi expectantur" (ebenso Livius l.
l. "quietior annus, perpetuo silentio tribunorum, quod primo leagtorum,
qui Athenas ierant, expectatio praebuit"), sowie noch bestimmter aus
dem Nachfolgenden, ergibt sich, daβ er den nämlichen
Zeitpunkt, wie
Livius, meint, nämlich das Jahr unmittlebar vor dem erfolgten
Beschlusse, Zehnmänner für Abfassung des Landrechtes zu
wählen, für
welchen letzteren er das Jahr 300 (= 454), Livius aber (III. 33) das
Jahr 302 (= 452) angibt. Orosius disserirt also in seiner
Zeitberechnung in dem einen, wie in dem anderen Falle um 2 jahr von
Livius. Der Amtsantritt der Zehnmänner erfolgte aber nach Livius
im
Jahre 303 der Stadt, 451 v. Chr. - Schwegler, II. pag. 616.
50) Eine ausführliche Würdigung desselben s. m. bei
Schwegler I. p.
100 sc.
51) Seit dem Jahre 457. Livius III. 30. - Dionys. X.
30. (p. Steph.
484). Cf. Becker, R. Alterth. II. p. 252.
52) Auch die Ausdrücke bei Livius (III. 32.) "urbs
assiduis
exhausta funeribus"....."multiplici clade foedatus annus"...,
wenn auch
allgemein gehalten, weisen gleichwohl auf ungewöhnliche
Verheerungen
hin.
53) So hoch schätzt ihren Gesammt-Verlust Schwegler II.
p. 619 (der
überhaupt diesen wichtigen Umstand zuerst hervorgehoben hat), und
Niebuhr (R. G, II. p. 312) führt eine ganze Reihe von patricischen
Geschlechtsnamen an, die nach jenen Seuchen aus den Magistrats-Fasten
verschwinden,
54) Das Folgende nach Dionys. - Livius berichtet
hierüber Nichts.
Doch scheint in seiner Bemerkung "ab hoste otium fuit" eine
Bestätigung
der Nachrichten des griechischen Geschichtschreibers zu liegen.
*) Von den doppelten Zahlen hier und im Folgenden bedeutet
die
erste das Jahr v. Chr. nach Almeloveen's, die zweite, [in ( )
gesetztes], nach Weigels Berechnung.
55) Thukyd. I. 23.
56) Livius IV. 21.
57) Thukyd. II. 8. - Plin. Hist. nat. IV. 22. -
Wenn Herodot,
welcher damals zu Thurioi in Unteritalien lebte, (VI. 96) berichtet,
das Erdbeben auf Delos im Jahre 499 sei dort das erste und das letzte
bis auf seine Zeit gewesen, so ist anzunehmen, daß er von diesem
späteren vor Veröffentlichung dieser Parthie seines
Geschichtswerkes,
die allerdings nicht vor dem Anfange des peloponnesischen Krieges
erfolgt sein kann, aber wahrscheinlich auch nicht viel später zu
setzen
ist, keine Kunde erhalten habe. Cf. Poppo zu Thukyd. a. a. O.
59) In demselben Jahre, und zwar nach der Berechnung von
Heiß (Die
Finsternisse während des peloponnesischen Krieges. Köln,
1834, p. 6
ff.) am 3. August, trat des Nachmittags eine Sonnenfinsterniß
ein, bei
welcher einige Sterne sichtbar wurden (Thuk. II. 28). Daß sie
eine
partiale war, ergibt sich aus der Bemerkung des Thukydides, daß
die
Sonne hiebei
μονοειδης, d. i.
der Mondes-Sichel ähnlich, erschien.
59) Liv. IV. 30. - Dionys. Exc. Ambr. XII, 3.
60) III. 87. - Euboia und Boiotien wurden auch sonst
von Erdbeben
häufig erschüttert, Strab. X. 406. - Aristot. Meteor.
II. 8. - M. s.
Wachsmuth, H. Alt. Kde. I. p. 9.
61) Thukyd. III. 89. - Diodor. XII. 59. - Paul.
Oros. II. 18.
62) Die vorerwähnten Stellen. - Der abweichende
Bericht bei Diodor.
und Paul. Oros., denen zufolge Atalante, früher mit dem Festlande
zusammenhängend, erst durch dieses Ereigniß, mittels
Ueberfluthung der
verbindenden Landenge, zur Insel geworden sei, beruht wahrscheinlich
auf einer irrigen Auffassung der Schilderung bei Thukydides. Daß
Atalante (jetzt Talantonesi, nach Bursian, Géogr. v. Griech. i.
p.
191.) Schon vor dieser Begebenheit einer Insel gewesen, ergibt sich
inzweifelhaft aus Thukyd. II. 32. Der Angabe Diodors folgte Wachsmuth
H. A. R. I. p. 10.
63) Thukyd. III. 89. Wahrscheinlich die heutige Insel
Skopelos,
nach L. Roβ, Inscript. Graec. Inedit fasc. 2. 91. Athen. 1842. Cf.
Wachsmuth, I. p. 37.
64) Die Ansicht des Thukyd. wird auch von Häser, Gesch.
d. epid.
Krankh. 2. Aufl. p. 12 gebilligt.
65) Thucyd. III. 116. - Paul. Oros. II. 18. - S.
Hoff. IV. P. 142.
Bezüglich der Sage von Amphinomos und Anapis, deren hier von Hoff
gedacht wird, s. oben not. 22.
66) Oros. a. a. O. - Von dem Erdbeben berichtet Thukyd.
Nichts;
doch ist die Angabe des Orosius der Natur der Sache nach nicht
unwahrscheinlich.
67) Thukyd. IV. 52. - Sie fand Statt 21. März, 8
Uhr Morgens.
68) Derselbe a. a. O.
69) Thukyd. V. 45. S. f. - Cf. Schöman, de
comitiis Atheniensis,
Gryphisw. 1819. p. 148.
70) Thuk. V. 50. s. f.
71) Pausan. III. ed. Xyland. p. 89.
72) Thukyd. VI. 95. - Im Sommer des nächfolgendesn
Jahres 413, nach
Heiβ (p. 11) am 27. Aug. Nach 8 Uhr Abends, ereignete sich jene
Mondsfinsterniβ, welche bei dem religiösen Bedenken der
Athener und
namentlich des einen ihrere Oberfeldherrn, Rikias, für das
athenische
Heer vor Syrakus so verhängniβvolle Folgen hatte (Thuk. VII.
50. -
Diod. XIII. 12. - Plutarch. Rikias).
73) Thuk. VIII. 6.
74) M. s. den Artikel Hippokrates in Pauly's
Real-Encyclopädie der
class. Alterth.-Wissenschaften und in der Encyclopädie von Ersch
und
Gruber. Auch der unbekannte Verfasser der Biographie des Hippokrates,
welcher das verloren gegangene biographische Werk des Soranos nebst
anderen Quellen benutzt zu haben scheint, berichtet (in der Ausgabe des
Hippokrates von Kühn, Leipzig 1827. III. p. 852), Hippokrates sei
nach
Abdera berufen worden, theils um den Philosophen Demokritos von
angeblichem Wahnsinne zu heilen, theils um die Stadt vor den
Verheerungen einer Seuche zu retten.
75) Wie z. B. Petersen in seiner Abhandlung "Zeit und
Lebens-Verhältnisse des Hippokrates" (im Philologus IV. 2. Heft p.
258)
annimmt.
76) Ebenso wenig wird man aus dem von Thukyd. II. 58
berichteten
Umstande, daß die attische Pest im Sommer 430 durch eine
athenische
Verstärkung in das Feldlager vor Potidaia verschleppt worden sei,
mit
Sicherheit auf eine weitere Verbreitung derselben in Makedonien sc.
schließen können. Die Verstärkung wurde nach 40 Tagen
wieder
eingeschifft, und von einem Weitergreifen der Seuche ist nicht die
Rede. Begleitete dieselbe ja auch athenische Expeditionen nach
verschiedenen Küstenpunkten der Peloponnesos, ohne daß sie
hier, wie
Thukydides ausdrücklich bemerkt (II 54), irgend nennenswerthe
Fortschritte machte.
77) M. s. die Artikel in Pauly und in Ersch und Gruber;
desgleichen
Petersen im Philol. IV. 2 pag. 216. 78) Hievon das Nähere unten im
3.
Abschnitte.
79) M. s. u. A. Schmitt, Epistolarum quae Hippocrati
tribuunter
censura. Jenae 1813, und die betreffenden Artikel bei Pauly und in
Ersch und Gruber's Encyclopädie.
80) Wovon unten d. Nähere.
81) Hippocratis operad. Ed. Kühn, Tom. III. p. 852.
82) Histor. natur. VII. 36; hier wird nur Illyrien genannt.
83) In der oben angeführten Abhandlung im Philol. IV. 2.
Heft. -
Die Abweichung desselben von der Angabe in der Biographie des
Hippokrates, welche als dessen Geburtsjahr Olymp. 80. 1 = 460 angibt,
wird dort ausführlich begründet.
84) Kraus, disquietio histor.-medica &c. &c. p. ff.
85) p. 28 und 29 der angeführten Schrift. - Cf. p.
33.
86) Kraus, p. 29. Quod si concessum est, fonte fluxisse,
atheniensem vero aliqui ex parte discessisse a morbo aliarum Gracciae
regionum, arbitror, singularem urbis Atheniensium conditionem
eximiam...fuisse differentiae causam.
87) Pag. 14 und 29 der genannten Schrift. Als die Heimath der
attischen Pest nennt Thukydides II. 48. äthiopien.
88) Pag. 7.
89) Liv. IV. 21.
90) "Terrores" Liv. l. l. - Welcher Art dieselben
waren, wird nicht
näher gesagt. Daß aber dieser Ausdruck wohl in demselben
Sinne wie III.
5 zu fassen, und an beiden Stellen von schreckhaften Visionen, welche
Einzelne gehabt zu haben wähnten, zu verstehen sein dürfte,
hat der
Verfasser oben Note 18) näher zu begründen gesucht. Wäre
diese
Vermuthung richtig, so würde dadurch auch auf die Natur der in
Rede
stehenden Epidemie einiges Licht fallen,
91) Liv. IV. 21.
92) Liv. IV. 22; also auch die älteren Leute, ein
Beweis, daß die
eigentliche militaris setas von der Seuche hart betroffen war.
93) Daß der Dictator damals auch die Stadt Fidenä,
in welche sich
die Geschlagenen geworfen, erobert habe, wie Liv. IV. 22. berichtet,
ist bei der damaligen Entkräftung Roms an sich schon schwer zu
glauben,
wird aber durch manche inneren Widersprüche, an denen die
Erzählung
hievon leidet, in hohem Grade unwahrscheinlich. (Man vergleiche
namentlich cap. 23, 4, ferner cap. 25, 8, cap. 30, 5 und 14 der
Weißenborn'schen Ausgabe des Livius mit dem Inhalte von cap. 22;
endlich Weißenborn zu Livius IV. 22. 6.) - Der Umstand,
daß Diodor
(XII. 80) den Abfall der Fidenaten, der jenen Kampf der Römer mit
denselben und die Eroberung ihrer Stadt zur Folge hatte, in ein
späteres Jahr setzt, soll, bei der Zerrüttung der Fasten
dieses
Schriftstellers (worüber Mommsen, Rom. Chronologie p. 125), hier
gar
nicht in Betracht kommen.
94) Liv. IV. 25.
95) Die Conjectur Trevier's zu Liv. IV, 25. 4.: famem
absumptis
cultoribus agrorum timentes &c., erscheint durch die Natur der
Sache selbst, sowie durch das vorausgegangene "magna clades in
urbe
agrisque accepta" vollkommen gerechtfertigt. Daß ferner eine
Mißernte
Statt gefunden, obwohl Livius an dieser Stelle Nichts davon
erwähnt,
ergibt sich aus der Schilderung der Zustände im folgenden Jahre
(im
selb. cap.): "Eo anno morbi levata, neque a penuria frumenti, quia ante
provisum erat, periculum fuit."
96) IV. 23.
97) Liv. a. a. O.
98) Vielleicht ist dies gerade der Sinn der Stelle bei Livius
IV.
25: Pestilentia (nämlich die in und außerhalb Rom
herrschende
Pestseuche eo anno aliarum rerum otium praebuit. Durch diese Deutung
würde auch das Ungewöhnliche, das man sonst in dem Gebrauche
von
praebuit finden müßte, in Wegfall kommen,
99) Liv. IV. 25.
100) Liv. IV. 26. init.
1) Liv. IV. 25.
2) Derselbe IV. 30 - Dionys. Exc. Ambr. XII, 3.
3) Aus den Quellen ist freilich nicht klar, ob man hier die
Wiederkehr der früheren Epidemie, oder eine ansteckende Krankheit
anderer Art vor sich habe; bei Livius fehlt hier auch die bei den
vorerwähnten Seuchen-Jahren stets gebrauchte Bezeichnung
pestilentia,
pestilens annus &c. Doch möchte die Heftigkeit, mit der auch
dieser
Krankheits-Anfall auftrat, und der kurze Zwischenraum, der zwischen
diesem und dem letzten hervortreten der Epidemie im Jahre 432 liegt,
die oben im Texte gegebene Darstellung rechtfertigen. Auch der Umstand,
daß diesmal zugleich das Heerde-Vieh befallen wurde, kann dieser
Annahme nicht entgegenstehen, da Livius (IV. 55) das Gleiche von der
"pestilentia" des Jahres 433 (432) berichtet: magna clades...,
promiscue
hominum pecorumque pernicie, accepta.
4) "Αυτος τε
ποσησας και
αυτος ιδων
αλλους
πασχοντας. Thukyd. II.
48.
5) II. 47 - 53 incl. Das hier mit Meisterhand
entfaltete und -
wenigstens nach seiner ersten Anlage - gewiβ noch unter
frischen
Eindruck des gewaltigen Ereignisses entworfene Gemälde der
attischen
Pest mit seinen ergreifenden Einzelheiten findet sich nur beinahe
wiedergegeben in Lucret. Carus de nat. rer. VI. v. 1186 seqq., sondern
schwebte auch dem Ovidius in der Schilderung der Pest (Metamorph. VII.
523 - 613, welche, dem Mythos zufolge, Aigina unter König
Aiakos
entvölkerte (Apollod. III. 15. 6) als Muster vor. - Man
vergeleiche
damit auch die poetischen Beschreibungen verheerender Seuchen in Lucan.
Pharsal. VI. 80 seqq. und in Sil. Punic. XIV 580 seqq., insbesondere
aber die meisterhafte Schilderung einer "pseudum pestis" bei Virgil.
Georg. III. 470 -566.
6) Die in dem Beisatze "ως
λεγεται" bei Thukyd. (II.
48) liegende
Ablehnung einer Verbürgung bezieht sich offenbar nicht, wie
Brandeis p.
69 irrig annimmt, auf die Thatsache der Einwanderung der Seuche aus
Inner-Afrika, sondern nur auf die Bezeichnung desjenigen Landes
dortselbst, welches als die eigentliche Heimath derselben zu betrachten
war, und wofür dem Berichterstatter Aethiopien genannt wurde. Auch
Galenos, in einer weiter unten zu erwähnenden Schrift, gibt
Aethiopien
als ihre Heimath an.
7) In dem Gange dieser Krankheit, sowie in der vorzugsweisen
Berührung von Küstenpunkten und in dem sprungweisen
Vorrücken (wovon
gleich nachher die Rede sein wird), macht sich eine auffallende
Uebereinstimmung mit der Justinianischen Pest bemerkbar. M. s. d. Vers.
Progr. v. 1857 p. 27 u. 28.
8) "Ες δε την
Αθηναιων
πολιν
εξαπιναιως
ενεπεσε."Thuk. II. 48.
9) Thuk. II. 58. - Diod. XII. 46.
10) Thuk. II. 54. - Kraus, de natura morbi
Atheniensium, p. 35,
schreibt diese Thatsache den günstigen klimatischen
Verhältnissen zu,
deren sich diese Halbinsel im Alterthum zu erfreuen gehabt habe,
während in neuerer Zeit, wo diese Verhältnisse wesentlich
sich geändert
hätten, die Peloponnesos häufig von der Pest heimgesucht
worden sei; er
verweis t in letzterer Beziehung auf Puqueville, voyage en Morée
&c. pendant 1798 - 1801. Daß in der That die Natur in
der
Peloponnesos, wie zum Theil auch im übrigen Hellas, an manchen
Stellen
Rückschritte gemacht habe, beweist unter Anderm am
auffälligsten das
Beispiel von Korinthos, jener Stätte der üppigsten Lust im
Alterthum,
die jetzt durch ihre giftigen Ausdünstungen verrufen ist. M. s.
Wachsmuth, hell. Alterth.-Kde. I. p. 45.
11) Thuk. II. 5l.
12) Leben des Perikles, cap. 38. - Cf. Kraus, p. 30.
13) Thuk. III. 87. - Diod. Sicul. XII. 58.
14) "Απ'
ουδεμιας
προφασεως,
αλλ'
εξαιφνης,
υγιεις
οντας," sc.
Thukyd. II. 49.
15) In der angeführten Schrift: De natura morbi
Atheniensium
&c.
16) Ueber diese Erklärung der Worte
"μετα ταυτα" s. m.
Classen zu
dieser Stelle (II. 49. 4.)
17) Thuk. II. 49. Dasselbe erwähnt Diodor. XII. 58 in
dem Berichte
über das Wiederauftreten der Seuche 427/426.
18) Möglich auch, daβ die Aerzte solche ergriffenen
Gliedmassen, um
das Weiterfressen des Brandes zu verhüten, amputirten, wie
Lucretius
(V. 1207 seq.) andeutet. M. s. hierüber Kraus in d. angef.
Schrift.
19) Thukyd. II. 49 und 51.
20) Derselbe, II. 51.
21) Derselbe, a. a. O.
22) Derselbe, II. 49 und daselbst Classen.
23) Derselbe, II. 47.
24) Derselbe II. 48.
25) So namentlich in der groβen Pest zur Zeit
Justinians; m. s. d.
Verf. Progr. V. 1857 p. 34.
26) Thukyd. II. 47.
27) Derselbe, II. 50.
28) In dem Jahre vor dem Pest-Ausbruche hatt e ein Erdbeben
Delos,
eine von solche natur-Erscheinungen fast nie besuchte Stätte,
erschüttert. M. s. oben pag. 14.
29) Liv. III. 18, aus dessen Erzählung erhellt, daβ
schon von den
alten Annalisten, aus denen er schápfte, manche jene angebliche
Giftmischerei für eine grundlose Erfindung hielten. - Cf.
Hist.
Miscell. Bei Murator. rer. italic. scriptor. Tom. I. 1. Pag. 8. D.
30) Häser, Gesch. d. Med. p. 279.
31) Die Acten einer solchen peinlichen Inquisition zu Chillon
am
Genfersee 1348 "super facto tossici et venini" sind aus der Chronik von
Königshoven mitgetheilt in Hecker, der schwarze Tod, p. 1029 ff.
- Man
siehe auch Seb. Frank's Chronik, p. 219. b) und Eccard, Corp. hist.
med. Aev. p. 1504.
32) Hecker, in der vorerwähnten Schrift, p. 53.
33) Leben des Perikles, v. 34.
34) Diodor. Sic XII. 45.
35) So unter Anderen selbst von Niebuhr, Vorträge
über alte
Geschichte. - M. s. die gründliche Widerlegung dieser
Ansicht von Kraus
in der angef. Schrift, p. 31, der mit Recht noch hervorhebt, daß
die
Pest nicht in der eigentlichen Stadt oder dem an dieselbe
stoßenden
befestigten Raume, sondern im Peiraieus zuerst ausbrach.
36) Plutarch, Leben des Perikles, c. 34.
37) Thukydid. II. 52.
38) XII. 58. Diodor scheint zwar die von ihm berichteten
Umstände
als die eigentlichen Ursachen der Krankheit zu betrachten; von einer
Einwanderung derselben meldet er nichts. Wenn aber letztere als nicht
zu bezweifelnde Thatsache feststeht, so können die von ihm
angegebenen
Witterungsverhältnisse - die Richtigkeit der Angabe
überhaupt
vorausgesetzt - jedenfalls nur die Bedeutung von secundären
Ursachen
oder befördernden Neben-Umständen gehabt haben.
39) Curtius (griech. Gesch. II. p. 696, Note 13) nimmt an
(wahrscheinlich um das Schweigen des Thukydides erklärlicher zu
machen), jene Krankheits-Ursachen bezögen sich nicht auf Attika,
sondern auf die Gegenden, wo sich die Krankheit entwickelt habe. Allein
von diesen ist bei Diodor nirgends die Rede, und daß dieselbe
irgendwo
in Griechenland vorher sollte aufgetreten sein, steht mit Thukydides im
entschiedensten Widerspruche.
40) M. s. Canstatt, Pathologie (Erlangen, 1847), II. Theil.
41) In der mehrerwähnten Schrift, p. 35.
42) Diesem Urtheile ist im Wesentlichen auch Classen zu Thuk.
II.
49 gefolgt.
43) Auch Brandeis p. 69) legt aus die Angaben Diodor's großes
Gewicht.
44) "Ενταυθα
δη πανυ
επιεσε."
45) So auch ungefähr Diodor. XII. 16.
46) Daß hiebei der Schriftsteller aus officiellen
Quellen schöpfte,
wenn er seinen Lesern auch nur runde Zahlen vorführt, kann nicht
bezweifelt werden,
47) "Εκ των
ταξεων." Die sind aber die
Unterabtheilungen des aus
den Bürgern gebildeten schwer
bewaffneten Fussvolkes. werden sonach durch diese Bezeichnung
(wofür anderswo auch "εκ
καταλογου"
vorkommt) ausgeschlossen: a) die
Burger der untersten Schatzungs-Classe (Theten), die als
Leichtbewaffnete dienten; b) die Schutzverwandten (Metoiken). Von den
Letzteren leisteten übrigens die Wohlhabenderen ebenfalls wie die
Bürger der oberen Schatzungs-Classen, Kriegsdienste als
Schwerbewaffnete. - M. s. hierüber Classen zu Thuk. a. a. O.
und
Hermann, gr. Gesch.-Alterth, Par. 152.
48) Ohne Zweifel, weil über die in diese Kategorie
gehörigen
Classen der attischen Bevölkerung: die Theten, Metoiken, ferner
die
Frauen und Kinder, sowie die gesammte Sklavenschaft, keine Listen
geführt wurden. Hieraus ist man aber zu dem Schlusse berechtigt,
daß
die Zahlen-Angaben bei den Vorgenannten auf den Ausweis der officiellen
Listen gegründet sind.
49) Bei Thukyd. II. 13.
50) M. s. hierüber das Nähere bei Böckh,
Staatshaushaltung der
Athener, I. p. 38 seqq.
51) Bekanntlich hatte der attische Kriegsmann seine
Bewaffnung und
Ausrüstung auf eigene Kosten zu beschaffen.
52) Von Köpfen oder Seelen, wie zuerst Böckh a. a.
Orte bemerkt
hat, muß nämlich die bei Athen. VI. erhaltene Angabe
bezüglich der
Sklaven verstanden werden, und nicht, wie bei den Bürgern und
Schutzverwandten, von Familien-Vätern oder Familien, da nach den
Anschauungen des Alterthums der Begriff Familie auf Sklaven keine
Anwendung fand.
55) An der mehrerwähnten Stelle.
56) Worüber u. A. der Landmann Strepstades in des
Aristophanes
Wolken (v. 6. u. 7) sich bitter beklagt,
55) II. 52. und hiebei Classen.
56) Thukyd. 11. 47. - Brandeis, in der Eingangs
aufgeführten
Abhandlung, hat die Worte des Schriftstellers
"ουτε γαρ
ιατροι
ηρκουν
το πρωτον
θεραπευοντες
αγνοιαι," durch den Scholiasten
verführt, in
einem die Ehre der athenischen Aertzte im höchsten Grade blos
stellenden Sinne gedeutet, indem er übersetzt: "denn die Aertzt,
welche
Anfange aus Unkunde den Kranken ihre Pflege angedeihen lieβen" sc.
Der
Sinn dieser Worte kann aber nur der oben im Texte angedeutete sein. M.
s. Classen zu dieser Stelle.
57) Thukyd. II. 51.
58) Περι
θηριακης c. 16:
Διοπερ
επαντο και
τον
θαυμασιωτατον
Ιπποκρατην
οτι τον
λοιμον
εκεινον τον
εκ της
Αιθιοπιας
ες τους
Ελληνας
φθασαντα
ουκ αλλως
εθεραπευτες,
αλλ' η τον
αερα τρεψας
και
αλλοιωσας,
ινα μηκετι
τοιουτος
ων
επιπνευται.
Κελευσας
ουν δια την
πολιν ολην
ξαπτεσθαι το
πυρ κ.τ.λ.
59) De Iside et Osir. c. 80. p. 568.
60) Philologus, IV. Jahrg. 2. Heft, VI.
61) Der Verfasser kann nicht unterlassen, bei dieser
Gelegenheit
auf die interessante Schrift Häfer's: Geschichte
christlicher
Krankenpflege, Berlin 1857, hinzuweisen.
62) Thukydides. II. 51.
63) Thukydides ebendaselbst.
64) II. 53. Der Verfasser hat in seinem Programme vom Jahre
1857,
pag. 38, zwischen den Moralischen Wirkungen der Justinianischen Pest in
Constantinopel und denen der Seuche zu Athen eine Vergleichung
angestellt, die insofern zu Gunsten der oströmischen Hauptstadt
ausfiel, als dort, nach den Schilderungen des Augenzeugen Prokopios,
das furchtbare Unglück nicht demoralisirend, sondern, wenigstens
momentan, moralisch erhebend und kräftigend auf die Massen wirkte.
Der
Verfasser glaubte sich daher zu dem Schlusse berechtigt, doch der Grund
dieser auffallenden Ungleichheit der Wirkungen bei fast gleichen
Ursachen, in der wesentlichen Verschiedenheit der religiösen
Anschauungen während der betreffenden Zeitperioden liege, und
daβ sich
in Constantinopel ohne Zweifel der wohlthätige Einfluß der
christlichen
Religion geltend gemacht habe. Eine Recension jenes Programms in den
Gel. Anzeigen d. t. b. Akad. d. Wiss, Jahrg. 1857 Nr. 77, welcher der
Verfasser im Uebrigen für die darin ertheilten Winke zu
großem Tanke
sich verpflichtet fühlt, hat hierin eine tendenziöse Erhebung
des
Christenthums auf Kosten des classischen Alterthums erblicken wollen.
Eine derartige Unterschöbling der classischen Cultur und ihrer
großartigen Erscheinungen lag und liegt aber dem Verfasser, der
das
Studium und die Erklärung derselben zu seinem Lebensberufe gemacht
hat,
gewiß so ferne, wie dem verehrten Herrn Recensenten. Er hat mir
die
Thatsachen im Auge gehabt, und kann sich nicht enthalten, zu einiger
Rechtfertigung eine Stelle aus der Eingangs erwähnten Monographie
von
Dr. Brandeis, die schon 1845 erschien, dem Verfasser aber erst bei
Abfassung des gegenwärtigen Programms zu Gesichte kam,
anzuführen, in
den die nämliche Parallele mit demselben Schlusse gezogen ist.
Derselbe
bemerkt p. 53. Note 49): "Psychologisch merkwürdig ist die
entgegengesetzte moralische Wirkung, welche die athenische Krankheit
und die im sechsten Jahrhundert in Constantinopel herrschende Pest
hervorbrachte- ....Wohl muß diese Verschiedenheit der
Wirkung in der
Verschiedenheit der Religion zu suchen sein. Der Altgrieche suchte
möglichst noch zu genießen, weil er keine Strafe jenseits
des Grabes zu
fürchten hatte; der christliche Sünder aber bekehrte sich und
that
Buße, weil ihn die Schrecken der Hölle und des Fegefeuers
umgaben." Dem
Verfasser jener Monographie wird aber Niemand, der letztere gelesen
hat, eine Tendenz obiger Art unterstellen wollen. Es scheint demnach,
daß sowohl die beregte Vergleichung, als auch die darauf basirte
Schlußfolgerung dem unbefangenen Urtheile überhaupt nicht so
fern
liege.
65) M. s. die oben angeführte Stelle bei Thukydides III.
87.
66) Plutarch. Leben des Perikles, cap. 37.
67) Ebendaselbst.
68) M. s. das Nähere hierüber bei Hermann, griech.
Staats-Alterth.
I. Par. 118, und Curtius, griech. Gesch. II. p. 343. Ff.
69) Xenoph. Hellen. I. 6. 24.
70) Thukyd. II. 14. 16.
71) Aristoph. Ritter v. 1070.
72) Protagoras, cap. 10 und 16.
73) Platon, der in seinen Dialogen nicht nur die auftretenden
Personen mit unübertrefflicher Kunst bis auf die kleinsten
Einzelheiten
zu charakterisiren, sondern auch die ganze Scenerie ihrer Umgebung mit
der lebendigsten Anschaulichkeit auszumalen weiß, schildert auch
in dem
vorgenannten Dialoge in seiner meisterhaften Weise das Treiben bei
Kallias, der für die fremden Sophisten offenes Haus halt, und bei
der
großen Zahl der zu beherbergenden Gäste sogar eine
Vorrathskammer in
der Eile zu einem Gastzimmer hat einrichten müssen, von dem
Hausherrn
bis herab zu dem Gebühren des Thürhüters; der Letztere,
ein treuer
Diener des Hauses, scheint, wie Terzky's Kellermeister in
Schiller's
Piccolomini, eine Ahnung zu haben, welches Ende die tolle Wirthschaft
seines Herrn nehmen werde. Als daher am frühen Morgen Sokrates und
der
junge Hippokrates, um den Sophisten Protagoras zu hören, der bei
Kallias abgestiegen ist, dort Einlaß begehren, schlägt
jener, in der
Meinung, es seien ebenfalls Sophisten, die halb geöffnete
Hausthüre
ihnen derb wieder vor der Nase zu.
74) Hell. Alterth.-Kunde I. § 70. p. 588.
75) So faßt auch Thukydides II. 53 die Sachlage auf,
indem er sagt:
"Und sie (die Seuche) gab zuerst Veranlassung zur Lossagung von
Sitte
und Gesetz... in weiterem Umfange." Offenbar deutet er damit an,
daß
die Entsittlichung noch zur Zeit, wo er dies schrieb, fortdauerte.
76) Das Nähere bei Wachsmuth, hell. Alterth.-Kunde I. p.
246 -248
77) M. s. hierüber den Abschnitt "die Volksversammlung
und die
Demagogie" in Wachsmuth, hell. Alterth.-Kunde I. pag. 592 &c.
78) Isokrates, περι
αντιδοσεως,
p. St. 314: "Οιμαι
δ'υμας ουκ
αγνοειν οτι
τηι πολει
πολλακις
ουτως ηδη
μεταμελησε
των κρισεων
των
μετ'οργης
και μη
μετ'ελεγχουγεμενων
κτλ. Gegen den Schluss dieser Rede,
welche überhaupt zur Würdigung des Sykophanten-Unwesens sehr
wichtig
ist, von p. St. 344 an, werden die wesentlichsten Verschuldigungen der
Sykophantie in mächtigem, von der sittlichen Indignation des
Verfassers
gehobenen Rede-Flusse der Reihe nach aufgeführt. - M. s.
auch Wachsmuth
I. p. 596 ff. Hermann, gr. St.-Alterth. I Par. 69, und Curtius, gr.
Gesch. II. p. 364. Ff.
79) Plat. de republ. II. pag. 364. - Bernhard, griech.
Lit-Geschichte I. p. 328. - Curtius, Geschichte Griechenlands II.
p.
344.
80) Eine reichhaltige Zusammenstellung hieraus
bezüglicher Stellen
aus Aristophanes findet man in Wachsmuth, hellen. Alterth.-Kunde., I.
p. 603.
81) Das bekannte Schlagwort: "Τον
ηττω λογον
κρειττω
ποιειν". - Wer
erinnert sich hier nicht des trefflichen Aristophanischen Witzes
(Νεφελαι u. 113 seqq.)
bezüglich der Art und Weise, wie der Landmann
Strepsiades den Sinn jenes von ihm nur halb verstandenen Schlagwortes
in seiner Weise sich zurecht legt.
82) So namentlich im Platonischen Dialoge Gorgias von den
Sophisten-Jüngern Polos und Kallikles.
83) Unter vielem Trefflichen über das Wesen und die
Bedeutung der
Sophistik sollen hier zunächst nur die Einleitungen zur Apologie
und
zum Protagoras in Platons ausgewählt. Schriften, erklärt von
Cron und
Deuschle, angeführt werden.
84) In Bezug auf den Stand der Kunst, dann der Literatur und
der
Geistesbildung überhaupt s. m. O. Müller, Archäol. par.
103, und
beziehungsweise Bernhardy, Grundriβ der griech Literatur, 3te
Bearbeitung, I. Th. p. 436 ff.
85) Schwegler, Rom. Gesch. II. p. 620.
86) Zeit und Lebens-Verhältnisse des Hippokrates, im
Philologus,
Jahrg. IV. 2. pag. 233 ff.
87) Letzteres Bedenken wird auch nicht vollständig
beseitigt, wenn
man mit Ullrich (Beiträge zur Erklärung des Thukydides, p.
69) annimmt,
Thukydides habe den Krieg zuerst nur bis auf den Frieden des Nikias als
ein Ganzes zusammengefaßt und beschrieben, und
berücksichtige daher
Späteres nicht als ausnahmsweise in einzelnen Einschiebseln.
Naar boven
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